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Zwei exemplarische Fälle häuslicher Gewalt
Szenarienbasiertes Lernen
Polizeiliche Ermittlung
Polizeiliche Ermittlungsarbeit
Lernziele
In diesem Modul werden die wichtigsten Aspekte vorgestellt, die nach Offenlegung häuslicher Gewalt, bei der polizeilichen Ermittlung und im nachfolgenden Gerichtsverfahren zu beachten sind.
Experteninterview mit Michael Eichinger zu Modul 4: Welche Vorgehensweise ist maßgeblich bei der Ermittlungsarbeit für spätere Strafverfahren bei häuslicher Gewalt?
Zwei exemplarische Fälle häuslicher Gewalt
Fallstudie: Mann als Opfer häuslicher Gewalt
16:34 Streit auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums
Ein Aufschrei von Frau E. ist hörbar, als ihr Kopf gegen das Autodach oberhalb des Fahrereinstiegs stößt. Passanten nehmen danach einen lauten Streit und Gerangel zwischen dem Ehepaar E. wahr. Als das Ehepaar E. in den Wagen steigt, um loszufahren, blockiert eine Autofahrerin sie mit ihrem Fahrzeug. Herr E. flieht daraufhin.
16:37 Notruf in der Einsatzleitzentrale
Jemand der Umstehenden ruft die Polizei.
16:50 Eintreffen eines Funkwagens am Tatort
Die Anhörung von Frau E. und den umstehenden Zeug*innen kann den Tathergang nicht gänzlich klären. Zeug*innen äußern, Gewalt gegen Frau E. wahrgenommen zu haben. Frau E. hingegen erklärt, sie und ihr Mann hätten lediglich gestritten, woraufhin sie hektisch ins Auto gestiegen und sich dabei den Kopf verletzt habe. Sie hätten danach weiter gestritten und nach Hause fahren wollen, seien jedoch daran gehindert worden. Herr E. habe wohl aufgrund der heftigen verbalen Angriffe der Umstehenden aus Panik die Flucht ergriffen.
Die Polizisten nehmen die Aussagen und Personalien der Zeug*innen sowie von Frau E. auf. Hierbei werden Frau E. auch Fragen gestellt, die der Gefährdungseinschätzung dienen. Frau E. lehnt eine ärztliche Untersuchung ab und wird auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre Verletzung auch in den folgenden Tagen noch rechtssicher, kostenfrei und ggf. anonym in einer Gewaltschutzambulanz dokumentieren zu lassen. Nachdem Frau E. über ihre Opferrechte informiert wurde, spricht einer der beiden Polizisten sensibel das Thema häusliche Gewalt an und weist sie auf die Möglichkeiten spezialisierter Beratung und den proaktiven Ansatz hin. Frau E. hört sich diese Hinweise sowie die Erläuterung polizeilicher Schutzmöglichkeiten (gerichtliche Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, Gefährderansprache, Wegweisung, Unterbringung in einem Frauenhaus) an, bleibt jedoch dabei, zuhause sei alles in Ordnung. Sie lehnt jede Unterstützung sowie den ihr angebotenen Informationsflyer ab. Da die Gesamtumstände auf einen Fall der häuslichen Gewalt hindeuten, informieren die Polizisten Frau E. darüber, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen ihren Ehemann wegen Körperverletzung einleiten könne, und händigen ihr ein Opferschutzmerkblatt mit der Vorgangsnummer der Polizei aus.
Frau E. tritt schließlich den Heimweg allein und aufgrund ihrer Kopfverletzung mit dem öffentlichen Nahverkehr an.
19:14 Notruf in der Einsatzleitzentrale
In der Einsatzleitzentrale geht durch Nachbarn ein Notruf wegen ruhestörenden Lärms in der Wohnung des Ehepaars E. ein.
19:35 Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaares E.
Zwei Funkwagen fahren die Adresse des Ehepaares E. an, da der Einsatz am Nachmittag und die Adresse des Ehepaares E. bereits im polizeilichen System hinterlegt sind. Es besteht die Annahme, es könne ein weiterer Vorfall häuslicher Gewalt vorliegen. Die Funkwagenbesatzung stellt vor Ort fest, dass das Ehepaar E. sowie die anwesende Mutter von Frau E. alkoholisiert sind. Getrennt vernommen, bagatellisieren alle drei Beteiligten den Vorfall und erklären, sie seien darüber in Aufregung geraten, dass Herr E. am Nachmittag geflüchtet war und seine Frau mit Polizei und Kopfverletzung allein zurückgelassen habe. Da weder beim Ehepaar E. noch der Mutter von Frau E. Verletzungen sichtbar sind und keine konkreten Hinweise auf eine Straftat vorliegen, werden die Anwesenden zur Ruhe ermahnt und darauf hingewiesen, dass bei einem erneuten Polizeieinsatz eine Ordnungswidrigkeiten-Anzeige wegen ruhestörenden Lärms eingeleitet werde.
21:44 Notruf in der Einsatzleitzentrale
Erneut geht ein Notruf der Nachbarn wegen Ruhestörung ein. Die Nachbarn äußern: „Nebenan geht es wirklich hoch her. Die haben sich wohl mal wieder in der Wolle.“
22:10 Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaares E.
Aufgrund des Verdachtsfalls, dass es sich um einen Einsatz häuslicher Gewalt handelt, rücken erneut zwei Funkwagen an. Darunter sind auch Einsatzdienstkräfte des vorherigen Einsatzes in der Wohnung der Familie E. Diese stellen fest, dass der Grad der Alkoholisierung des Ehepaars E. sowie der Mutter von Frau E. im Vergleich zum vorherigen Einsatz deutlich fortgeschrittener wirkt. Weiterhin weisen alle Anwesenden Blutspuren, Verletzungen an Händen, Armen und im Gesicht auf. Herrn E.s Verletzungen sind besonders gravierend.
Abermals werden alle drei Personen getrennt voneinander angehört, wobei Frau E. und ihre Mutter übereinstimmend erklären, dass Herr E. angefangen habe, ihnen gegenüber gewalttätig zu werden, und dass sie sich hätten wehren müssen.
Herr E. bricht gegenüber einem Beamten weinend zusammen und äußert, dass er die seit Jahren andauernde Gewalt durch seine Ehefrau und Schwiegermutter nicht mehr aushalte und er sich an diesem Abend nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, als ebenfalls gewalttätig zu werden. Trotz seiner starken Alkoholisierung wirkt Herr E. glaubwürdig und macht schlüssige Angaben zum Tatgeschehen sowie der bisherigen Gewaltbeziehung. Herr E. wird über seine Opferrechte und die polizeilichen Schutzmöglichkeiten informiert. Er willigt einer Fotodokumentation durch den Beamten zu.
Frau E. und ihre Mutter werden mit den Angaben von Herrn E. konfrontiert, woraufhin sie verbal äußerst aggressiv reagieren und beide auf Herrn E. losgehen wollen, um ihm zu „zeigen, was es heißt, solche Lügen über [sie] zu verbreiten“. Weitere gewalttätige Übergriffe auf Herrn E. können durch die eingesetzten Polizeikräfte verhindert werden.
Herr E. möchte die Wohnung verlassen und kann mangels einer speziellen Unterkunft für gewaltbetroffene Männer lediglich in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden. Er möchte gleich am nächsten Tag eine Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer kontaktieren und seine Verletzungen in einer Gewaltschutzambulanz dokumentieren lassen. Einer sofortigen ärztlichen Versorgung der Verletzungen stimmt er im Gegensatz zu Frau E. und ihrer Mutter zu. Zur Versorgung seiner Verletzungen wird Herr E. durch einen Rettungswagen der Feuerwehr in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren. Von dort aus begibt er sich eigenständig in die Notunterkunft. Auf eine Gefährderansprache bei Frau E. und ihrer Mutter wird aufgrund ihres Grades der Alkoholisierung verzichtet. Diese wird am nachfolgenden Tag durch die zuständige Polizeidienststelle durchgeführt. Abermals beteuern beide Frauen, dass sie sich lediglich gegen die Angriffe von Herrn E. „wehren mussten“. Im Ergebnis schätzt die Polizei die Gefährdung von Herrn E., erneut Opfer gewalttätiger Übergriffe durch seine Ehefrau und deren Mutter zu werden, als sehr wahrscheinlich ein.
In den folgenden Tagen und Wochen
Im Rahmen der weiteren Ermittlungen werden die Zeug*innen der ersten Auseinandersetzung auf dem Parkplatz und ein Nachbar der Familie E. von der Polizei vernommen. Herr E. macht eine umfangreiche Aussage bei der Polizei, in der er nochmals die Entwicklung und sukzessive Zunahme der Gewalt gegen ihn sowie seine Angst vor „Entdeckung“ der Gewaltbeziehung schildert. In die Ermittlungen fließt auch die rechtsmedizinische Anamnese der Gewaltschutzambulanz ein, welche den durch Herrn E. geschilderten Tatablauf untermauert. Frau E. und ihre Mutter machen lediglich Aussagen zu der Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen Herrn E. Hierbei bleiben sie bei ihren ursprünglichen Aussagen, dass Herr E. die Ursache für die Gewalteskalation gesetzt habe, verstricken sich jedoch in Widersprüche, welche dokumentiert werden. Bezüglich der Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung gegen Herrn E. machen beide von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Herr E. lässt sich von einer spezialisierten Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer beraten und erwirkt eine Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Ihm wird die alleinige Nutzung der ehelichen Wohnung zugesprochen.
Die polizeilichen Ermittlungen werden nach vier Wochen mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass Herr E. offenbar ein Opfer jahrelanger Gewalt durch seine Ehefrau und deren Mutter geworden ist. Beide Vorgänge werden zur weiteren Entscheidung der Spezialabteilung für Fälle häuslicher Gewalt der Amtsanwaltschaft übersandt.
Hier finden von häuslicher Gewalt betroffene Männer in Österreich Hilfe:
Fallstudie: Häusliche Gewalt nimmt im Laufe der Zeit an Schwere zu
Frühjahr 2016
Familie F. lebt mit zwei kleinen Kindern seit kurzer Zeit in der eigenen Wohnung, als Herr F. arbeitslos wird. Frau F. baut ihre Bürotätigkeiten, die sie von zuhause aus als Selbständige erledigt, erfolgreich weiter aus und kann so gewährleisten, dass der Kredit auf das Haus weiter abbezahlt werden kann. Sie nimmt wahr, wie sehr ihr Mann unter der Situation leidet und unterstützt ihn, wo sie kann.
August 2016
Die Situation zwischen dem Ehepaar F. ist inzwischen sehr angespannt. Seit die Kinder tagsüber in der Kita sind, entlädt Herr F. in dieser Zeit ungehemmt seine Enttäuschung und Wut über Bewerbungsabsagen und finanzielle Engpässe an ihr, kritisiert und demütigt sie.
Frau F. leidet so stark unter den Vorwürfen, dass sie eine Eheberatung vorschlägt. Sie hat große Hoffnung, dass sich alles noch bessern kann. Sie erkennt ihren Mann nicht wieder, glaubt aber fest daran, dass er wieder ganz der Alte wird, wenn er nur erst Arbeit findet.
Herr F. reagiert für Frau F. unerwartet heftig auf den Vorschlag, sich Hilfe zu holen und schlägt seine Frau unmittelbar ins Gesicht. Frau F. ist verzweifelt, hält dies aber für einen einmaligen Ausrutscher.
Oktober 2016
Ohrfeigen, Schütteln und Stöße gehören inzwischen zur wöchentlichen Normalität. Frau F. verteidigt das Verhalten ihres Mannes vor sich selbst, verheimlicht es vor anderen und hofft auf Besserung durch eine neue Anstellung ihres Mannes.
August 2017
Die Situation hatte sich mit den Kindern zuhause in den Sommerferien ein kleines bisschen entspannt. Frau F. schöpft Hoffnung, denn ihr Mann beginnt nun auch eine Tätigkeit in Teilzeit.
September 2017
Frau F. kann tagsüber aufatmen, da ihr Mann aus dem Haus ist. Nachmittags und abends verbringt sie jede Minute mit den Kindern und schläft nachts größtenteils bei ihnen – halb selbst davon überzeugt, die Kinder hätten Einschlaf- und Durchschlafprobleme und wenigstens ihr Mann müsse durchschlafen.
Dezember 2017
Herr F. ist erneut erwerbslos und setzt von einem Tag auf den nächsten das alte Muster der Vorwürfe, Demütigungen und Körperverletzungen gegenüber seiner Frau fort.
Durch ein Plakat in der Kita wird Frau F. darauf aufmerksam, dass es eine Hotline gibt, die Frauen berät, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Die Anzeige kommt ihr vertraut vor, sie muss wohl unzählige Male schon daran vorbeigegangen sein. Aber erstmalig bringt sie sie mit sich selbst in Verbindung. Sie hält aber ihre Situation nicht für gravierend genug, um Hilfe für sich zu beanspruchen.
Februar 2018
Die Vorfälle häuslicher Gewalt erfolgen in immer kürzeren Intervallen und es fällt Frau F. zunehmend schwerer, ihren fahrigen und verzweifelten Zustand, ihre zerrüttete Beziehung sowie ihre zahlreichen Verletzungen vor ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und dem sozialen Umfeld ihrer Kinder zu erklären beziehungsweise zu verbergen. Sie zieht sich immer mehr zurück.
September 2019
Familie F. ist inzwischen nahezu vollständig isoliert: Ihr soziales Umfeld hat zunächst immer verständnisloser über die vielen Absagen reagiert, zunehmend enttäuscht und gereizt, da es auch zu Streitigkeiten kam. Schließlich aber zog sich ihr Umfeld resigniert zurück. Viele führen die Situation auf die merklich angespannte finanzielle Situation der Familie zurück und gehen davon aus, dass sich irgendwann alles wieder findet, wenn diese schwierige Phase vorbei ist.
Nach einem besonders heftigen Vorfall körperlicher Übergriffe abends im Schlafzimmer, von dem Frau F. vermutet, dass auch die Kinder etwas gehört haben könnten, ruft Frau F. das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen an. Es tut ihr gut, dass jemand ihr verständnisvoll zuhört.
Oktober 2019
Immer wieder ruft Frau F. nach Vorfällen die Hotline an. Sie lässt sich schließlich auch an eine Beratungsstelle vor Ort vermitteln und gerät zunehmend unter Druck, weil ihr bewusst wird, dass auch ihre Kinder inzwischen mehr wissen und mitbekommen, als ihr lieb ist. Der Schritt zu einer Anzeige und/oder einer Trennung erscheint Frau F. dennoch unmöglich.
Durch eine Kiezmutter, deren Aufgabe es ist, konkrete Hilfen für Familien im Bezirk zu vermitteln, erfährt Frau F., dass auch die Polizei Bürger*innen anonym berät. Sie hatte noch nie Berührung mit der Polizei, dafür aber großen Respekt und eher wenig Vertrauen, dass jemand dort für ihre Situation Verständnis aufbringen könnte. Dennoch ruft sie schließlich die Opferschutzbeauftragte ihres Bezirks mit unterdrückter Telefonnummer an. Überrascht, besonnen informiert, nicht verurteilt oder zu einer Anzeige gedrängt zu werden, fasst sie schließlich mehr Mut. Ihr ist durch die polizeiliche Beratung umso mehr bewusst geworden, was sie eigentlich längst wusste: Einen einfachen Ausweg gibt es nicht und ihr Familienleben ist zu zerrüttet, um weiterhin auf Veränderung zu hoffen. Gleichzeitig ist Frau F. bewusst, dass sie nie die Kraft haben wird, sich ihrem Mann allein zu widersetzen oder die Trennung auszusprechen.
November 2019
Frau F. lässt sich von ihrer Beraterin in der Fraueneinrichtung zur Polizei begleiten und erstattet Anzeige. Ihre Beraterin hat sie vorab angekündigt und so nimmt eine Polizeibeamtin, die speziell für Fälle häuslicher Gewalt ausgebildet ist und bereits eine Vielzahl solcher Fälle bearbeitet hat, ihre Anzeige auf. Ihre Beraterin bleibt die ganze Zeit bei ihr. Frau F. spürt während der Vernehmung, in der die Beamtin sehr behutsam und emphatisch vorgeht, dass es offenbar ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Mitarbeiterin der Beratungsstelle und der Polizeibeamtin gibt. Das macht es ihr leichter, von ihrem Leidensweg zu berichten. Die Polizeibeamtin befragt sie auch zu ihrer derzeitigen Gefährdung und der ihrer Kinder. Frau F. kann die Situation nicht einschätzen und hat Angst vor der Konfrontation mit ihrem Mann. Sie wird über ihre Opferrechte, den weiteren Verlauf des Strafverfahrens und die polizeilichen Schutzmöglichkeiten informiert. Die Polizeibeamtin informiert mit Frau F.s Wissen das Jugendamt über die Situation.
Frau F. fasst den Mut, ihren Bruder von der Polizeidienststelle aus anzurufen und einzuweihen. Dieser verlässt umgehend seinen Arbeitsplatz, um sie und die Kinder erst einmal über Nacht aufzunehmen.
Im Nachgang der Anzeigenerstattung wird Herr F. von der Polizei aufgesucht und der gemeinsamen Wohnung verwiesen. Darüber hinaus führt die Polizei eine Gefährderansprache durch. Herr F. wirkt auf die Polizeibeamten vollkommen überrascht und äußerst wütend. Er kann nicht fassen, der Wohnung verwiesen zu werden. Nachdem ihm die Rechtslage eindringlich vor Augen geführt wurde und er Informationen von den Polizeibeamten über Notunterkünfte sowie auch Beratungsmöglichkeiten erhalten hat, sagt er fest zu, sich bis auf Weiteres von seiner Frau und den Kindern fernzuhalten.
Frau F. nimmt, mit Unterstützung ihrer Beraterin in der Frauenschutzeinrichtung, die Möglichkeit wahr, eine Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) beim Familiengericht zu beantragen.
Dezember 2019
Im Rahmen der dreiwöchigen polizeilichen Ermittlungen macht Herr F. von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und lässt sich anwaltlich vertreten. Frau F. kann die jahrelange Gewaltbeziehung in ihrer erneuten Vernehmung schlüssig darlegen; auch dieses Mal wird sie von ihrer Beraterin der Frauenschutzeinrichtung begleitet. Auf eine Anhörung der Kinder wird aufgrund von deren Alter verzichtet. Nach der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht werden medizinische Unterlagen von Frau F.s Hausärztin in den Vorgang aufgenommen; sie belegen Frau F.s Angaben.
Die Strafanzeige wird nach Abschluss der Ermittlungen durch die Polizei der zuständigen Abteilung der Amtsanwaltschaft für Fälle häuslicher Gewalt zur weiteren Entscheidung übersandt.
Vor einem Familiengericht werden die umgangsrechtlichen Regelungen bzgl. der gemeinsamen Kinder des Ehepaares F. festgelegt. In einem späteren Gerichtsverfahren wird Herr F. wegen mehrfacher Körperverletzung verurteilt. Er erhält die Weisung, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen.
Hier finden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen in Österreich Hilfe:
https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/beratung/frauennotruf/
https://www.gewaltschutzzentrum.at/
https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser
https://www.frauenhaeuser-wien.at/hilfe.htm
Hier finden Täter häuslicher Gewalt in Österreich Hilfe:
Szenarienbasiertes Lernen
Szenario: Betreten einer Wohnung nach Notruf
Das Opfer, Kinder des Opfers oder Nachbarn senden einen Notruf und Streifenbeamte kommen in die Wohnung.
Aufgabe
Diskutieren Sie Folgendes:
Welche Maßnahmen stehen Ihnen bei Bedarf in einem solchen Einsatz zur Verfügung?
Die Antworten auf diese Aufgabe sind in den entsprechenden Abschnitten dieses Moduls zu finden.
Mögliche Antworten
- Der allererste Schritt: Gewährleistung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für alle intervenierenden und anwesenden Personen
- Erste-Hilfe-Maßnahmen
- Notruf an ärztlichen Rettungsdienst (abhängig von der Schwere der Verletzung und ggf. dem Einverständnis des Opfers)
- Aufklärung über Rechte und Pflichten von Opfer/Täter/Zeugen sowie den Verfahrensablauf
- Getrennte Befragung von Opfer/Täter/Zeugen
- Beweissicherung und -Dokumentation
- Hinweis auf Möglichkeit der Dokumentation von Verletzungen (durch Polizei, Arzt oder Gewaltschutzambulanz)
- Opferschutzgespräch
- Gefährderansprache
- Gefährdungsbewertung
- Wegweisung des Täters
- Annäherungs- und Kontaktverbot für Täter
- Ingewahrsamnahme des Täters
- Sind Minderjährige dem Opfer zugehörig: Information des Vorfalls an das Jugendamt
- Weitergabe von Informationen über Unterstützungsangebote (NGOs, öffentlicher Sektor) für Opfer/Täter/Angehörige
- Unterstützungsangebote in Österreich:
- Für Frauen:
- http://www.frauenhelpline.at/
- https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/beratung/frauennotruf/
- https://www.gewaltschutzzentrum.at/
- https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser
- https://www.frauenhaeuser-wien.at/hilfe.htm
- https://tamar.at/
- https://www.weisser-ring.at/
- Für Männer:
- https://www.neustart.at/
- https://www.maenner.at/
- https://men-center.at/beratung/
- https://www.weisser-ring.at/
- Vermittlung der Opfer ins Hilfsnetzwerk, bspw. durch proaktiven Ansatz
- Ggf. Unterbringung des Opfers in Schutzunterkunft
- Informieren des Opfers über Opferrechte und zivilrechtliche (Schutz-)Möglichkeiten
Szenario: Opfer erstattet Anzeige ohne aktuellen Vorfall
Das Opfer kommt auf ein Polizeirevier und erstattet Anzeige, ohne dass ein aktueller Vorfall vorliegt.
Aufgabe
Diskutieren Sie Folgendes:
Welche Maßnahmen stehen Ihnen zur Verfügung?
Die Antworten auf diese Aufgabe sind in den entsprechenden Abschnitten dieses Moduls zu finden.
Mögliche Antworten
- Klärung und Aufnahme des Sachverhalts: Wer ist der Täter/die Täterin? Wie viele Vorfälle häuslicher Gewalt gab es? Über welchen Zeitraum? In welcher Intensität? Etc.
- Suche nach Möglichkeiten nachträglicher Beweissicherung: Gab es Zeug*innen? Gab es Arztbesuche? Gibt es Anvertraute? Gibt es Beweise in anderer Form?
- Aufklärung über Rechte und Pflichten sowie den Verfahrensablauf
- Gefährdungsbewertung und ggf. Initiierung der notwendig erscheinenden Schutzmaßnahmen (mit Bezug auf den Täter beispielsweise: Gefährderansprache, Wegweisung, Annäherungs- und Kontaktverbot, Ingewahrsamnahme; mit Bezug auf das Opfer: Opferschutzgespräch, ggf. Schutzunterkunft)
- Weitergabe von Informationen über Unterstützungsangebote (NGOs, öffentlicher Sektor)
- Vermittlung ins Hilfsnetzwerk, bspw. durch proaktiven Ansatz
- Informieren des Opfers über Opferrechte und zivilrechtliche (Schutz-)Möglichkeiten
Szenario: Mann droht, seine Frau zu töten
Am 19. November 2011 wurde um 21.27 Uhr das Notrufzentrum der Polizeidirektion von XY angerufen. Der Anrufer sagte dem Polizeibeamten, wer er sei und teilte mit, er werde seine Frau töten. Er sagte, er sei zu Hause, was die Polizei dazu veranlasste, einen Streifenwagen an den Tatort zu schicken. Als er von Polizeibeamten befragt wurde, sagte er in der Befragung durch den Polizisten, dass er und seine Frau Streitigkeiten über Wohnungen und Wochenendplätze gehabt hätten, die sie gemeinsam nutzen würden. Er sagte den Polizeibeamten auch, dass er ständig von seiner Frau und ihrem jetzigen Freund belästigt werde, und wenn die Beamten die Angelegenheit nicht sofort lösen würden, werde er zu ihr nach Hause gehen und die Frau abschlachten. Er wiederholte diese Drohung mehrere Male.
Der Mann ist aufgrund von Vorfällen häuslicher Gewalt bereits polizeibekannt.
Aufgabe
Diskutieren Sie Folgendes:
Welche Maßnahmen müssen Sie als Polizeibeamter/-beamtin ergreifen?
Die Antworten auf diese Aufgabe sind in den entsprechenden Abschnitten dieses Moduls zu finden.
Mögliche Antworten
- Der allererste Schritt: Gewährleistung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für alle intervenierenden und anwesenden Personen
- Erste-Hilfe-Maßnahmen
- Notruf an ärztlichen Rettungsdienst (abhängig von der Schwere der Verletzung und ggf. dem Einverständnis des Opfers)
- Aufklärung über Rechte und Pflichten von Opfer/Täter/Zeugen sowie den Verfahrensablauf
- Getrennte Befragung von Opfer/Täter/Zeugen
- Beweissicherung und Dokumentation
- Hinweis auf Möglichkeit der Dokumentation von Verletzungen (durch Polizei, Arzt oder Gewaltschutzambulanz)
- Opferschutzgespräch
- Gefährderansprache
- Gefährdungsbewertung
- Wegweisung des Täters
- Annäherungs- und Kontaktverbot für Täter
- Ingewahrsamnahme des Täters
- Sind Minderjährige dem Opfer zugehörig: Information des Vorfalls an das Jugendamt
- Weitergabe von Informationen über Unterstützungsangebote (NGOs, öffentlicher Sektor) für Opfer/Täter/Angehörige
- Unterstützungsangebote in Österreich:
- Für Frauen:
- http://www.frauenhelpline.at/
- https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/beratung/frauennotruf/
- https://www.gewaltschutzzentrum.at/
- https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser
- https://www.frauenhaeuser-wien.at/hilfe.htm
- https://tamar.at/
- https://www.weisser-ring.at/
- Für Männer:
- https://www.neustart.at/
- https://www.maenner.at/
- https://men-center.at/beratung/
- https://www.weisser-ring.at/
- Prozessbegleitung:
- https://www.pb-fachstelle.at/fuer-fachleute/anspruch-auf-prozessbegleitung/
- Vermittlung der Opfer ins Hilfsnetzwerk, bspw. durch proaktiven Ansatz
- Ggf. Unterbringung des Opfers in Schutzunterkunft
- Informieren des Opfers über Opferrechte und zivilrechtliche (Schutz-)Möglichkeiten
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Polizeiliche Ermittlung
IMPRODOVA: Was passiert, wenn man die Polizei ruft?
Das Video zeigt, wie die Polizei in Fällen häuslicher Gewalt arbeitet.
Geschlechtsaspekte bei der polizeilichen Ermittlung
In der polizeilichen Praxis besteht ein Zusammenspiel zwischen Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen als Ersthelfenden und den Opfern häuslicher Gewalt. Dieses wird von geschlechtsspezifischen Einstellungen und Vorurteilen beeinflusst, da diese Wechselwirkungen von Natur aus nicht geschlechtsneutral sind; man sollte sich dessen bewusst sein. Bei der Reaktion auf häusliche Gewalt macht es einen Unterschied, ob das Opfer männlich oder weiblich ist oder ob der Ersthelfende männlich oder weiblich ist, da ca. 80 % der Opfer weiblich sind. Dies kann zu Fehleinschätzungen aufgrund von Stereotypen über häusliche Gewalt führen.
Das Geschlecht kann auch bei der behördenübergreifenden Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den anderen, hauptsächlich weiblichen Ersthelfern anderer Berufsgruppen eine Rolle spielen und die Zusammenarbeit erschweren.
Weitere Quellen
Erstkontakt
Es ist entscheidend, dass der erste Kontakt mit der Polizei von Gewaltopfern als positiv wahrgenommen wird. Alle Leistungen müssen für Opfer verfügbar und einfach zugänglich sein. Vor allem aber muss der Erstkontakt dem Opfer zeigen, dass das Justizsystem und die Polizei sich für seine/ihre Gesundheit und Sicherheit einsetzen, seine/ihre Beschwerde ernst nehmen und sicherstellen wollen, dass es auf seinem Weg durch das Justizsystem unterstützt wird. Die wichtigsten Aspekte werden im Folgenden beschrieben.
Verfügbarkeit
- Informieren Sie die Opfer über verfügbare Serviceleistungen – unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, sozialer Schicht, Migranten- oder Flüchtlingsstatus, Alter, Religion, Sprache und Alphabetisierungsgrad, sexueller Orientierung, Familienstand, Behinderungen oder anderen Merkmalen, die berücksichtigt werden müssen.
- Dienste sollten 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr zur Verfügung stehen.
Erreichbarkeit
- Es ist zu gewährleisten, dass die Polizeidienste örtlich gut erreichbar sind. Wo das nicht der Fall ist, sollte ein Mechanismus vorhanden sein, der es den Opfern sicher ermöglicht, sich an die Serviceeinrichtungen der Polizei zu wenden.
- Polizeidienste müssen benutzerfreundlich sein und die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen, einschließlich beeinträchtigter Opfer, erfüllen.
- Verfahren und Anweisungen sind in verschiedenen Formaten verfügbar zu machen, um den Zugang maximal zu erleichtern (z. B. schriftlich, elektronisch, mündlich, über Medien, per Telefon).
- Kinderfreundliche Räume sind anzubieten.
- Polizeidienste müssen kostenfrei und ohne weitere finanzielle Belastungen sein.
Ansprechbarkeit
- Stellen Sie sicher, dass ein Opfer jederzeit und an einem sicheren, privaten und für das Opfer angenehmen Ort Anzeige erstatten kann.
- Stellen Sie sicher, dass ein Opfer die Möglichkeit hat, seine/ihre Geschichte zu erzählen, angehört zu werden und genau aufnehmen zu lassen.
- Stellen Sie sicher, dass Opfer im Kindesalter in der Lage sind, ihre Ansichten und Sorgen entsprechend ihren Fähigkeiten, ihrem Alter, ihrer intellektuellen Reife und ihrer Entwicklungsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen.
- Beschränken Sie die Anzahl der Personen, denen ein Opfer seine Geschichte erzählen muss, auf ein Minimum.
- Gewährleisten Sie, dass sich das Opfer aus freiem Willen entscheiden kann, ob es sich am rechtlichen Verfahren beteiligen will.
- Stellen Sie Informationen bereit, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.
- Bieten Sie Hilfe und Unterstützung bei der Einreichung der Klage an.
- Dokumentieren Sie alle gemeldeten Vorfälle häuslicher Gewalt, unabhängig davon, ob es sich um ein Verbrechen handelt oder nicht.
- Bewahren Sie alle erhaltenen Informationen und Berichte vertraulich und an einem sicheren Ort auf.
- Stellen Sie sicher, dass sofortige Maßnahmen eingeleitet werden, wenn ein Opfer ein Gewaltdelikt meldet, das gegenüber ihm oder ihr begangen wurde.
- Stellen Sie sicher, dass Verdächtige den zum Schutz der Opfer ergriffenen Maßnahmen Folge leisten.
- Stellen Sie sicher, dass die Bedürfnisse der Opfer berücksichtigt werden, z. B. wenn das Opfer mit einem/einer bestimmten Polizeibeamten oder Polizeibeamtin sprechen möchte.
Vorbereitung der polizeilichen Untersuchung
- Vereinbaren Sie gegebenenfalls eine medizinische Behandlung oder eine rechtsmedizinische Untersuchung.
- Stellen Sie sicher, dass alle verfügbaren Beweise, die der Anschuldigung Glaubwürdigkeit verleihen können, gesammelt werden.
- Sammeln Sie Beweise in einer respektvollen Art und Weise, die die Würde des Opfers wahrt.
- Sammeln, speichern und verarbeiten Sie Beweise auf solche Weise, dass sie den Anforderungen einer Beweiskette genügen.
Weitere Quellen zum Erstkontakt bei Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen
Messner, Sandra & Hoyer-Neuhold Andrea (2017): EinSatz – Interventionen im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes unter besonderer Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen. Bericht zum KIRAS-Projekt 2014-2017. Wien
Guerreiro, Ana Isabel/Sedletzki, Vanessa mit Unterstützung des E-PROTECT Konsortiums (2019): Methode für einen rechtebasierten Ansatz in der individuellen Beurteilung der Bedürfnisse von minderjährigen Opfern. E-PROTECT: JUST-AG-2016-07 GA No. 760270. http://childprotect.eu/#/de/resources
Polizeiliche Ermittlungsarbeit
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Ermittlungen bei Straftaten mit häuslicher Gewalt rechtzeitig eingeleitet und professionell durchgeführt werden, den rechtlichen Anforderungen an die Beweissicherung und Ermittlungsarbeit entsprechen und dass alle verfügbaren Mittel zur Identifizierung und Festnahme des oder der Verdächtigen ausgeschöpft werden. Während des gesamten Verfahrens werden die Sicherheit, der Schutz und die Würde des Opfers berücksichtigt und gewahrt.
Polizeiliche Ermittlung bei häuslicher Gewalt
- Erklären Sie dem Opfer die Schritte der polizeilichen Ermittlungsarbeit und rechtlichen Verfahren, seine jeweiligen Rechte und die ihnen während des gesamten Verfahrens zur Verfügung stehenden Dienste.
- Stellen Sie sicher, dass die gesetzlichen Rechte des Opfers auf einen Anwalt und eine Unterstützungsperson bei der Anhörung erfüllt werden.
- Denken Sie immer an das physische und psychische Trauma, das die Opfer erlebt haben, und an die möglichen Auswirkungen, die Ihre Ermittlungen auf sie, ihre Familie und andere Betroffene haben können.
- Nehmen Sie die Aussage des Opfers unverzüglich und auf professionelle, nicht verurteilende und opfersensible Weise auf.
- Wählen Sie Dolmetscher sorgfältig aus: Das Geschlecht und der ethnische oder nationale Hintergrund können einen entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeit des Opfers haben, Fragen zu beantworten.
- Nehmen Sie die Aussage genau auf, lesen Sie sie dem Opfer vor und lassen Sie sie vom Opfer bestätigen.
- Identifizieren und befragen Sie Zeugen und andere Personen, die relevant sein könnten, so bald wie möglich.
Arbeiten mit Kindern
- Stellen Sie bei der Arbeit mit Kindern sicher, dass Ihre Arbeit auf die besonderen Anforderungen in Bezug auf das Alter des Kindes zugeschnitten ist.
- Interviewräume und die Befragung sollten kinderfreundlich sein:
- niedrige Tische und Stühle;
- richten Sie in Ihrem Warteraum eine Ecke mit altersgerechten Möbeln, Spielen und Spielzeug ein;
- kleiden Sie sich nicht auf eine einschüchternde Weise (vermeiden Sie, wenn möglich, Schwarz und Krawatte);
- führen Sie beispielsweise ein entspanntes zehnminütiges Gespräch über Hobbys usw., um Vertrauen und eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen;
- versuchen Sie immer, das Kind im Zentrum der Aufmerksamkeit zu belassen.
- Stellen Sie sicher, dass die Verfahren kindgerecht sind.
- Stellen Sie sicher, dass der nicht straffällig gewordene Elternteil, Vormund, gesetzliche Vertreter oder die zuständige Behörde für Kinderhilfe an allen geplanten oder ergriffenen Maßnahmen beteiligt ist oder sich daran beteiligen wird.
- Stellen Sie sicher, dass medizinische, psychosoziale und Opferunterstützungsdienste altersgerecht sind.
- Stellen Sie sicher, dass die Vertraulichkeit gewahrt und die Weitergabe von Informationen über das Kind eingeschränkt wird.
- Zur Vertiefung des kindgerechten Verfahrens: Guerreiro, Ana Isabel/Sedletzki, Vanessa mit Unterstützung des E-PROTECT Konsortiums (2019): Methode für einen rechtebasierten Ansatz in der individuellen Beurteilung der Bedürfnisse von minderjährigen Opfern. E-PROTECT: JUST-AG-2016-07 GA No. 760270. http://childprotect.eu/#/de/resources
Umgang mit dem Täter/der Täterin
- Unschuldsvermutung bzgl. des/der Verdächtigen: Auch wenn der/die Verdächtige „offensichtlich schuldig“ erscheint, sollte er/sie neutral behandelt werden. Die Behandlung des/der Verdächtigen gemäß der Gesetzgebung ist immer im besten Interesse des Opfers.
- Identifizierung, Befragung und gegebenenfalls Festnahme des/der Verdächtigen
- Gewährleistung eines genauen und gut dokumentierten Berichts, in dem die durchgeführten Ermittlungen und ergriffenen Maßnahmen im Einzelnen aufgeführt sind
- Aufrechterhaltung einer organisatorischen Verantwortlichkeit während des gesamten Untersuchungsprozesses
Die Rolle der Führungsebene
Bei den Polizeikräften ist die Rolle der Organisation der Arbeit von Ersthelfern von wesentlicher Bedeutung. Häusliche Gewalt betrifft nicht nur die Ersthelfer. Auch die Führungskräfte sollten einen Überblick über Abläufe und vorhandene Partnerschaften haben, um gegebenenfalls die Situation verbessern zu können.
- Führungskräfte sollten Einsatzkräfte bei ihren Ermittlungen unterstützen.
- Führungskräfte sollten sich darum kümmern, dass Einsatzkräfte psychologische Unterstützung erhalten und die Risiken physischer und psychischer Auswirkungen auf Ermittler und Ersthelfer durch häusliche Gewalt nicht aus dem Blick verlieren.
- Führungskräfte sollten gewährleisten, dass Fälle von anderen Professionen weiterverfolgt werden. Dies ist für die richtige Zuweisung von Ressourcen von wesentlicher Bedeutung.
- Führungskräfte sollten für ausreichende Ausbildung und Weiterbildung sorgen, um Fähigkeiten und Kenntnisse der Einsatzkräfte zu verbessern, was auch lokale Partnerschaften einschließt.
- Führungskräfte sollten während ihrer Grundausbildung und ihrer lebenslangen Fortbildung in diesen Fragen geschult werden (Sensibilisierung, Werkzeuge, Tipps usw.).
Abläufe bei der polizeilichen Ermittlung
Nachfolgend finden Sie die zusammengefassten Informationen für die Polizei. Es sollten so viele rechtswidrige Handlungen wie möglich in den Akten oder zumindest im offiziellen Bericht aufgenommen werden:
- eine allgemeine Beschreibung der Beziehung des Opfers,
- eine Beschreibung der Veränderungen in der Beziehung,
- das erste gewalttätige Ereignis,
- ein typisches gewalttätiges Ereignis,
- das schlimmste gewalttätige Ereignis,
- das letzte gewalttätige Ereignis.
Versuchen Sie, gemeinsam mit dem Opfer für jedes Ereignis so gut wie möglich zu bestimmen, wann es stattgefunden hat. Versuchen Sie, vom Opfer die bestmögliche Beschreibung der einzelnen Gewalttaten zu erhalten. Achten Sie bei der Beschreibung psychischer Gewalt besonders darauf:
- warum, aus Sicht des Opfers, eine bestimmte Handlung stattgefunden hat;
- welche Worte der Täter verwendet hat;
- wie sein Verhalten war;
- auf Antrag sollten leichte Verletzungen und sexuelle Übergriffe strafrechtlich verfolgt werden; dies muss, wenn die geschädigte Partei einen Antrag auf Strafverfolgung stellt, ausdrücklich vermerkt werden;
- legen Sie alle Beweise vor: SMS, E-Mail, Ort und Zeit des Geschehens; Ortungsgeräte usw.;
- das Opfer sollte auf Personen hinweisen, die etwas über die ausgeübte Gewalt wissen;
- die Art und Weise, in der Gewalt begangen wird, sollte angegeben werden; dies sind zusätzlich zu der Beschreibung der Formen von Gewalt wie zum Beispiel physischer und sexueller Gewalt, psychische Gewalt, Stalking, Kontrolle und soziale Isolation des Opfers, Manipulation von Kindern und externen Institutionen sowie wirtschaftliche Gewalt;
- wenn der Geschädigte Dokumente und persönliche Aufzeichnungen mitbringt, tragen Sie diese in das Protokoll oder den offiziellen Vermerk ein;
- eine Vertrauensperson des Geschädigten (des Opfers) kann bei der Befragung anwesend sein, ihre Anwesenheit und ihre Rolle müssen aufgezeichnet werden (sie darf Unterstützung anbieten, aber keine Aussagen an Stelle des Geschädigten machen);
- beschreiben Sie auffälliges Verhalten (Weinen, Schütteln, Lachen usw.) neben den ermittelten Fakten und Umständen des Verbrechens im offiziellen Polizeibericht.
Gewalt stets als Verbrechen behandeln
Wenn Ihnen kein Bericht vorliegt, das Opfer sich weigert oder nicht mit Ihnen sprechen kann, Sie aber den Verdacht haben, dass ein Verbrechen begangen wurde, erstellen Sie einen offiziellen Bericht und tragen Sie alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände ein.
Vorläufiger Prozess
Straf-, zivil-, familien- und verwaltungsrechtliche Ermittlungs-/Hörverfahren sollten unvoreingenommen und sensibel auf die besonderen Bedürfnisse von Opfern und Überlebenden häuslicher Gewalt eingehen. Sie sind für die Gewährleistung des Rechts der Opfer auf Gerechtigkeit unerlässlich. Wesentliche Dienste der vorgerichtlichen Strafrechtspflege spiegeln die internationale Verpflichtung des Staates und seiner Justizdienstleister wider: Sie übernehmen die Hauptverantwortung für die Ermittlungen und die Einleitung der Strafverfolgung und wägen gleichzeitig ab, wie wichtig es ist, Opfer und Überlebende in die Lage zu versetzen, sachkundige Entscheidungen bezüglich ihrer Interaktionen mit dem Strafrechtssystem zu treffen.
Vorverhandlungen/Anhörungen in Strafrechtsangelegenheiten umfassen Kautionsverhandlungen, Begräbnisverhandlungen, die Auswahl der Anklagepunkte, die Entscheidung zur Anklageerhebung und die Vorbereitung des Strafprozesses. In Zivil- und Familienangelegenheiten umfassen sie einstweilige Verfügungen über das Sorgerecht für Kinder/Unterhaltszahlungen, Entdeckungsverfahren in Zivilsachen und die Vorbereitung des Prozesses oder der Anhörung. In verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, wie z. B. bei Entschädigungsregelungen für strafrechtliche Verletzungen, wird anerkannt, dass dies in Abwesenheit von oder zusätzlich zu straf- und/oder zivilrechtlichen Verfahren verfolgt werden kann. Außerdem schließt es die Bereitstellung unterstützender Unterlagen für Anträge ein.
Obwohl das vorgerichtliche Verfahren nur zum Teil zur Aufgabenbeschreibung eines Polizeibeamten gehört, sollten die folgenden wichtigsten Aspekte beachtet werden, um zu wissen, was nach Beendigung der Arbeit geschieht.
- Die Hauptverantwortung für die Einleitung der Strafverfolgung sollte bei der Staatsanwaltschaft liegen, nicht beim Opfer.
- Das Opfer muss über alle Entscheidungen bezüglich der Strafverfolgung informiert werden. Es sei denn, es gibt an, dass es diese Information nicht wünscht.
- Eine Entscheidung, mit dem Verfahren nicht fortzufahren, sollte nicht allein auf der Tatsache beruhen, dass es keinen medizinisch-rechtlichen Bericht gibt oder dass der Bericht nicht schlüssig ist.
- Es müssen alle relevanten Informationen gesammelt werden. Dazu können auch der psychosoziale Kontext der Gewalt, medizinische, gerichtsmedizinische und andere relevante Berichte und Informationen gehören.
Was ist, wenn das Opfer auch gewalttätig war?
Erkennen Sie an, dass häusliche Gewalt nicht nur in eine Richtung gehen kann. Eine Episode, in der vom Opfer ebenfalls Gewalt ausgeübt wurde, erfordert eine Untersuchung der Umstände der Aggression und der emotionalen und psychologischen Auswirkungen auf das verdächtige Opfer.
- Durchführung einer psychologischen Untersuchung, um den psychischen Zustand des Verdächtigen zu bestimmen und festzustellen, welche Faktoren mit dem gewalttätigen Verhalten in Zusammenhang stehen könnten, beispielsweise frühere gewalttätige Vorfälle
- Durchführung einer Risikobeurteilung, um festzustellen, ob es bei dem Verdächtigen Risikofaktoren gibt, um herauszufinden, was die Aggression getriggert haben könnte, oder ob die Aggression Teil eines mentalen Bildes war und im Laufe der Zeit entstanden ist
Primäre Aggressor-Analyse
Es gibt Vorfälle, in denen die häusliche Gewalt auf Gegenseitigkeit beruht. Um die richtige Person zu verhaften (und die Verhaftung des Opfers zu vermeiden), sollten Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen den vorherrschenden Aggressor identifizieren. Der vorherrschende Aggressor ist derjenige, der den anderen dominiert. Durch die Verhaftung der falschen Person wird eine falsche Botschaft vermittelt: Die Täter werden für die Manipulation des Systems belohnt; die Opfer werden nicht geschützt und sind nicht bereit, in Zukunft Hilfe bei der Polizei zu suchen. Wenn es um zwei Elternteile geht, die beide verhaftet werden, können Kinder die Polizei mit dem Auseinanderbrechen der Familie in Verbindung bringen. Ineffektives Eingreifen in häusliche Gewalt wird den Kreislauf der Gewalt, der bei wiederholten gewalttätigen Vorfällen zu Frustration der Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen führt, nicht aufhalten.
Um den vorherrschenden Aggressor zu bestimmen, stellen Sie sich die folgenden Fragen:
- Gibt es eine Vorgeschichte früherer häuslicher Gewalt (berichtet und nicht berichtet) und wer war zuvor der Täter oder die Täterin?
- Wer hat Angst vor wem?
- Hat jemand in Notwehr, zur Vergeltung oder als Bestrafung gehandelt?
- Welcher von beiden stellt die größte Gefahr für den anderen dar?
- Was ist die relative Größe der beteiligten Parteien?
- Wer ist einem höheren Risiko künftiger Gewalt ausgesetzt?
- Wessen Version der Ereignisse macht am meisten Sinn?
- Bestätigen die Verletzungen und Beweise die Aussagen?
Lassen Sie diese Faktoren Ihre Entscheidung nicht beeinflussen:
- die mangelnde Bereitschaft des Opfers, zu kooperieren oder auszusagen,
- das Opfer beantragt, dass kein Verbrechensbericht eingereicht wird,
- den emotionalen Zustand des Opfers,
- Zusicherungen, dass die Gewalt aufhören wird,
- Spekulationen darüber, dass der Fall abgewiesen wird.
Quellen:
Gerichtsverfahren
Opfer und Überlebende häuslicher Gewalt, die in Straf- und Zivilprozesse involviert sind, können sich durch das Justizsystem verletzlich und überfordert fühlen oder durch das Verfahren erneut zu Opfern werden. Die internationalen Richtlinien und Standards für Opfer fordern Maßnahmen, um weitere Belastungen und Traumata zu verhindern, die sich aus der Teilnahme am Prozess selbst ergeben können. Außerdem sollen sie sicherstellen, dass die Überlebenden in dem Gerichtsverfahren bestmöglich kooperieren und sie während des Verfahrens handlungsfähig sind. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass bei Strafsachen die Last oder die Pflicht, Gerechtigkeit zu suchen, beim Staat liegt. Die Justizdienste, die während der Gerichtsprozesse als wesentlich angesehen werden, sollen international vereinbarte, vorbildhafte Modelle widerspiegeln: Dazu gehören freundliche Gerichtsumgebungen, in denen sich die Überlebenden sicher und wohl fühlen, wenn sie über das Erlebte berichten, Verfahren zur Minimierung der Re-Viktimisierung und die Präsentation von Beweisketten in nicht diskriminierender Weise.
Wenn möglich, kann ein/e Sozialarbeiter/in den/die Überlebende/n durch die verschiedenen Phasen des Gerichtsverfahrens begleiten. In einigen Ländern steht dieser Dienst auf Anfrage zur Verfügung.
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) können ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, um Überlebende in dieser Phase des Prozesses zu unterstützen. Neben der Bereitstellung eines/einer Rechtsanwalts/-anwältin verfügen sie über die Möglichkeiten und Fähigkeiten, um den Überlebenden diese Zeit des Stresses und der Ungewissheit bezüglich Wohnung, sicherer Unterkünfte, finanzieller Hilfe, Kinder, psychologischer Unterstützung usw. zu erleichtern.
Nach dem Gerichtsverfahren
Das Justizsystem kann eine wichtige Rolle bei der Verhütung künftiger Gewalt spielen. Es sendet eine starke Botschaft an die Gemeinschaft, dass häusliche Gewalt nicht toleriert wird. Darüber hinaus spielt es eine Rolle bei der Gewährleistung der Rechenschaftspflicht und der Rehabilitation der Täter/Täterin und bei der Verringerung von Rückfällen. Die internationalen Normen und Standards fordern die Staaten nachdrücklich auf, Behandlungs- und Wiedereingliederungs-/Rehabilitationsprogramme für Täter/innen zu entwickeln und zu evaluieren. Sie sollen der Sicherheit der Opfer Vorrang einräumen und gewährleisten, dass die Einhaltung dieser Programme überwacht wird. Diese Normen fordern die Staaten auch nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass es geeignete Maßnahmen zur Beseitigung häuslicher Gewalt gibt.
Zu den Aufgaben nach dem Gerichtsverfahren gehören Korrekturen in Bezug auf den Schutz der Opfer/Überlebenden, die Minimierung des Risikos einer erneuten Straftat durch den/die Täter/in und die Rehabilitierung des Täters/der Täterin. Sie umfasst auch Präventions- und Hilfsdienste für Opfer, die inhaftiert sind, und für Opfer in Haft, die häusliche Gewalt erlitten haben.