1. Hindernisse beim Ansprechen häuslicher Gewalt
2. Kommunikationsstrategien
3. Screening-Fragen zu häuslicher Gewalt
4. Reaktion auf das Ansprechen häuslicher Gewalt
5. Fragen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt auftreten können
6. Visuelle Kommunikation
Im Blickpunkt: Schulsektor – Kommunikation mit Eltern & Schüler:innen
Quellen
Einleitung
Willkommen zu Modul 3 über „Kommunikation in Fällen von häuslicher Gewalt“. In diesem Modul befassen wir uns mit den wichtigsten Aspekten der Kommunikation beim Umgang mit häuslicher Gewalt. Das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen dem Ansprechen von häuslicher Gewalt und der Verwendung wirksamer Kommunikationsstrategien ist von entscheidender Bedeutung für eine gute Betreuung von Betroffenen.
Lernziele
+ Verstehen, welche bestehenden Barrieren betroffene Personen davon abhalten, über häusliche Gewalt zu sprechen.
+ Kommunikationsstrategien erlernen, die auf die spezifischen Herausforderungen von Fällen häuslicher Gewalt zugeschnitten sind.
+ Screening-Fragen kennenlernen.
+ Angemessen und einfühlsam reagieren, wenn häusliche Gewalt angesprochen wird, damit sich Betroffene unterstützt und verstanden fühlen.
+ Verstehen und Anwenden von visuellen Kommunikationsmethoden, um die Kommunikation in Fällen häuslicher Gewalt zu verbessern.
+ Verstehen, was als Nächstes zu tun ist, wenn Betroffene häusliche Gewalt ansprechen.
1. Hindernisse beim Ansprechen häuslicher Gewalt
2. Kommunikationsstrategien
3. Screening-Fragen zu häuslicher Gewalt2
Wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen bejaht:
Wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen verneint:
- Achten Sie weiter bewusst auf Anzeichen von Gewalt.
- Stellen Sie Anzeichen von Fremdeinwirkung fest, benennen Sie diese und stellen Sie spezifische Fragen.
- Auch wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen verneint, sollten Sie Ihren Verdacht dokumentieren und Informationen über Hilfsangebote geben.
Lassen Sie in keinem Fall Familienangehörige, Kinder oder Freund:innen übersetzen. Achten Sie auf eine zugewandte und geschützte Gesprächssituation.4
Verwenden Sie Aussagen wie diese, um das Thema Gewalt anzusprechen, bevor Sie direkte Fragen stellen. Offene Fragen sollten gestellt werden, um gewaltbetroffene Personen zum Reden zu ermutigen, anstatt nur Ja oder Nein zu sagen. Vermeiden Sie Fragen, die die von Gewalt betroffenen Personen die Schuld für die Gewalt zuschieben.
Hier sind einige einfache und direkte Fragen, mit denen Sie beginnen können. Sie zeigen, dass Sie etwas über die Probleme erfahren wollen. Stellen Sie je nach Antwort weitere Fragen und hören Sie sich die Geschichte an. Wenn die gewaltbetroffene Person eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, bieten Sie Unterstützung an.
Sagen Sie nicht, dass es nicht so schlimm sei, und spielen Sie den Schmerz nicht herunter.
4. Reaktion auf das Ansprechen von häuslicher Gewalt
Sprechen Sie mit der betroffenen Person über Sicherheitsmaßnahmen und Risikobewertung. Weitere Informationen finden Sie in Modul 5: Risikobewertung und Sicherheitsplanung.
Nach dem Bekanntwerden von häuslicher Gewalt müssen Sie über das Hilfsangebot der Sozialdienste informieren. Weitere Informationen finden Sie in Modul 4: Unterstützungsangebote des sozialen Sektors.
Weitere Informationen über die strafrechtlichen Verfahren nach einer Anzeige bei der Polizei finden Sie hier.
5. Fragen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt aufkommen können
6. Visuelle Kommunikation
Für Menschen, die häusliche Gewalt erleben, ist es oft schwierig, Informationen oder Beratungs- und Unterstützungsangebote zu finden. Visuelle Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung für häusliche Gewalt. Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Postern (z. B. mit QR-Codes), Broschüren oder Faltblättern, die strategisch in Wartezimmern, Toiletten und anderen Bereichen platziert werden, ist von wesentlicher Bedeutung. Legen Sie Informationen im Scheckkartenformat über Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten in Waschräumen auf (mit entsprechenden Warnungen, sie nicht mit nach Hause zu nehmen, wenn der:die Täter:in sie finden könnte).
Die visuellen Hilfsmittel vermitteln, dass dies ein sicherer Ort ist, um über häusliche Gewalt zu sprechen, und machen die Unterstützungsmöglichkeiten bekannt. Durch die Schaffung eines visuellen Umfelds, in dem häusliche Gewalt offen angesprochen wird, fühlen sich die Betroffenen eher ermutigt, sich zu melden und Hilfe zu suchen. Dieser proaktive Ansatz trägt dazu bei, das Schweigen über häusliche Gewalt zu brechen und eine unterstützende Atmosphäre in Gesundheitseinrichtungen zu fördern.
Denken Sie daran:
- Verwenden Sie inklusives Bildmaterial, das die unterschiedlichen Erfahrungen der von Gewalt betroffenen Personen (alle Geschlechter, ohne Stereotypen) genau darstellt.
- Verwenden Sie Informationen in mehreren Sprachen.
- Wählen Sie aussagekräftige Bilder, die eine positive Botschaft vermitteln. Vermeiden Sie traumatisierende Bilder, wie z. B. Darstellungen von körperlicher Gewalt, sexualisierte Darstellungen von Betroffenen sowie Bilder, die sich ausschließlich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen.
Poster
Broschüren
Visitenkarte
Weiteres Material
Mit dem Kind oder Jugendlichen sprechen
Vorbereitung
- Wer führt das Gespräch? Wer genießt das Vertrauen der Schülerin/des Schülers?
- Welches Setting ist angemessen (Spaziergang, Gespräch am Tisch, …)?
- Gibt es einen Raum, in dem eine angenehme Gesprächsatmosphäre hergestellt werden kann?
- Wie kann ich dem/der Schüler/in nach dem Gespräch einen guten Übergang in den Alltag ermöglichen?
- Brauchen Sie Zettel und Stifte, Taschentücher, Informationsmaterial o.ä.?
- Gibt es Beratungsstellen zu der vermuteten Problematik? Informieren Sie sich.
- Versetzen Sie sich in die Lage des Kindes: Will er/sie das Gespräch? Will er/sie es allein führen oder in Anwesenheit einer weiteren Person? Hat der/die Schüler/in hierüber schon mit jemand anderem gesprochen?
1. Phase: Einführung
- Suchen Sie den Kontakt und das Gespräch mit dem Kind oder Jugendlichen.
- Benutzen Sie die Sprachebene des Kindes oder Jugendlichen und stellen Sie offene Fragen (keine Alternativ- oder Suggestivfragen). Ermutigen Sie das Kind oder den Jugendlichen, Ihnen von seiner Situation zu Hause zu erzählen. „Nebensächlichkeiten“, die etwas über Regeln und Kontrolle aussagen, können Ihnen einen Eindruck von der Lebenssituation des Kindes oder Jugendlichen vermitteln.
- „Wie läuft es zu Hause?“/„Viele Kinder, die in der Schule auffällig sind, haben Probleme zu Hause. Gibt es jemanden in deiner Familie, der Druck auf dich ausübt?“
- „Wie kommst du mit deinen Eltern/Geschwistern/anderen Familienmitgliedern aus?“
- „Gibt es etwas, über das du traurig oder besorgt bist?“
- „Manche Kinder können zu Hause Angst bekommen. Was glaubst du, macht ihnen Angst?“/„Gibt es Zeiten, in denen du zu Hause Angst hast?“
- Bauen Sie Spannungen ab, indem Sie Ihr Anliegen verdeutlichen.
- Sprechen Sie den zeitlichen Rahmen und das Ziel ab.
- Reden Sie über das Maß der Vertraulichkeit. Falls Sie Aufzeichnungen machen, erwähnen Sie, wozu sie verwendet werden.
Beispiele:
„Du hast neulich eine Andeutung darüber gemacht, dass der Freund deiner Mutter manchmal grob zu ihr ist, wenn er von ihr genervt ist. Das beschäftigt mich noch, deshalb habe ich dich zu einem Gespräch eingeladen. Ich möchte wissen, ob ich dir helfen kann. Was meinst du?“
„Mir ist seit einigen Wochen aufgefallen, dass du sehr unglücklich aussiehst und im Unterricht oft unkonzentriert und müde wirkst. Neulich, als ich die Klassenarbeiten verteilt habe, sahst du dabei sehr ängstlich/beschämt aus. Ich weiß nicht, wie du das findest, mit mir darüber zu reden, aber vielleicht kann ich dich ja unterstützen. Was meinst du?“
2. Phase: Eingangsfrage
- Überlegen Sie sich eine „erste Frage“, die für den/die Schüler/in einen Einstieg ins Thema markiert.
- Im besten Fall ist es gelungen, in den vorangegangenen Fragen der Einführungsphase eine gute Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
Beispiele:
„Ich frage mich, ob dir vielleicht etwas Sorgen macht, das dich nicht schlafen lässt. Erzähl doch mal: Wie ist das bei dir mit dem Schlafen?“
„War mein Eindruck, dass du in dem Moment, als ich die Klassenarbeit verteilt habe, ängstlich/beschämt warst, richtig? Erzähl doch mal!“
3. Phase: Gesprächsinhalt
- Hören Sie in dieser Phase aktiv zu und nehmen Sie die Kinder und Jugendlichen ernst.
- Helfen Sie dem Kind oder Jugendlichen, über seine Erfahrungen, Gefühle und Nöte sprechen zu können. Wenn das Kind oder der Jugendliche nicht sprechen möchte, bieten Sie ein Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt an.
- Behandeln Sie Äußerungen der von Gewalt betroffenen Kinder wertfrei.
- Stärken Sie das Selbstwertgefühl des Kindes oder Jugendlichen, indem Sie deutlich machen, dass Gewalt niemals in Ordnung ist und es keine Schuld trägt. Bestärken und bestätigen Sie, dass die Gefühle des Kindes oder Jugendlichen richtig sind. Unterstützen Sie das Kind oder den Jugendlichen dabei, die eigenen Grenzen und die der anderen wahrzunehmen und zu respektieren. Ein Geheimnis, das Angst macht und gefährlich ist, sich unheimlich oder bedrohlich anfühlt, von dem man Bauchschmerzen oder sogar Albträume bekommen kann, ist kein richtiges Geheimnis – man darf darüber sprechen, auch wenn man versprochen hat, es nicht zu tun.
- „Gewalt ist niemals in Ordnung.“
- „Du bist nicht schuld.“
- „Du darfst dich wütend/traurig/verunsichert/etc. fühlen.“
- „Du darfst darüber sprechen, auch wenn du versprochen hast, es nicht zu tun.“
- „Wir werden gemeinsam etwas tun, um Hilfe zu bekommen.“
- Glauben Sie dem Kind oder Jugendlichen. Hören Sie aufmerksam zu und bagatellisieren Sie nichts. Sagen Sie dem Kind oder Jugendlichen, dass es hilfreich ist, darüber zu sprechen.
- „Ich glaube dir.“
- „Ich bin froh, dass du zu mir gekommen bist.“
- „Es tut mir leid, dass das passiert ist.“
- Unterstützen Sie die Kinder dabei, eigene Lösungswege vorzuschlagen und respektieren Sie ihre Entscheidungen, solange das Wohl des Kindes nicht gefährdet ist.
- Unterstützen Sie diese Kinder bei der Erstellung eines „Notplans“.
Beispiele:
„Am wichtigsten ist es für mich zu wissen, wie es dir damit geht. Es wäre schön, wenn du dazu etwas sagen würdest.“
„Du sagst, du seist schuld, wenn deine Eltern streiten oder dein Vater/deine Mutter dich ab und zu schlägt/dich anschreit, weil du ihn/sie provozierst. Wie meinst du das?“
„Wie können wir sicherstellen, dass du nicht in Gefahr gerätst, wenn es zwischen deinen Eltern zu Gewalt kommt?“
„An wen kannst du dich wenden, wenn es zu Gewalt zwischen deinen Eltern kommt? Gibt es eine Nachbarin? Wohnt eine Oma/ein Onkel in der Nähe? Hast du ein Telefon?“
4. Phase: Abrundung
- Kommen Sie auf das Gesprächsziel zurück. Es muss klar sein, ob es eine Fortsetzung geben bzw. wie das weitere Vorgehen sein wird.
- Stimmen Sie das weitere Vorgehen mit dem Kind oder Jugendlichen ab, sofern das möglich ist.
- Sie sollten sich versichern, dass eine Kontaktaufnahme zur Unterstützung des Kindes oder Jugendlichen mit Erziehungsberechtigten oder anderen Vertrauenspersonen im Einverständnis mit dem Kind oder Jugendlichen geschieht und seine Lage nicht verschlimmert. Fragen Sie nach den Beziehungen des Kindes oder Jugendlichen zu Vater, Mutter, Geschwistern, anderen Verwandten, Freunden und Bekannten. Nehmen Sie Kontakt mit der Familie oder Bezugspersonen des Kindes oder Jugendlichen behutsam auf.
Beispiele:
„Die halbe Stunde ist fast um und es wird Zeit, dass wir zum Ende kommen. Was möchtest du gerne noch erzählen? Was sollte ich noch wissen?“
„Ich habe gemerkt, dass es nicht immer leicht für dich war, aber …“
„Ich finde, dass wir ein gutes Gespräch hatten. Jetzt weiß ich, was in dir vorgeht. Vielleicht ist es gut, wenn ich dich in einer Woche noch einmal frage, wie es dir geht?“
„Ich danke dir, dass du mir so viel erzählt hast/dass du so ehrlich warst/dass du den Mut hattest, das alles zu erzählen, denn es war für dich bestimmt sehr schwer.“
„Ich werde wie besprochen deine Mutter zu einem Gespräch einladen. Wir bleiben auch im Gespräch.“
„Ich überlege noch, was ich mit den Informationen mache und berate mich mit Fr. Meyer. Ich informiere dich über jeden weiteren Schritt.“
Tipps für schwierige Situationen
Schweigen
- Akzeptieren Sie, wenn der/die Schüler/in nicht reden kann oder zum Thema schweigen möchte.
- Es ist gut, wenn Kinder/Jugendliche wissen, dass Gesprächspausen erlaubt sind.
Loyalitätskonflikte
- Respektieren Sie die Loyalitäten der Kinder.
- Benennen Sie gewalttätiges Verhalten und sprechen Sie sich klar dagegen aus.
- Respektieren Sie gleichzeitig die Menschen, um die es geht.
Geheimhaltungswunsch
- Lassen Sie sich nie auf eine Geheimhaltung ein.
- Bedenken Sie: Gewalt ist ein Thema, das den Kinderschutz berührt!
- Sprechen Sie mit dem/der Schüler/in die nächsten Schritte ab.
Mit den Erziehungsberechtigten sprechen
Vorbereitung
Hilfreiche Haltung im Gespräch
- Zeigen Sie den Eltern Wertschätzung. Machen Sie keine Vorwürfe, äußern Sie keine Anklagen.
- Überprüfen Sie stets kritisch Ihre eigenen Erfahrungen und persönlichen Haltungen zu häuslicher Gewalt.
- Hinterfragen Sie Ihre eigene Einstellung zur betreffenden Familie.
- „Bin ich den Eltern gegenüber innerlich aggressiv?“, „Was könnte dazu beitragen?“
- „Interessiert mich, was sie selbst zu den Problemen zu sagen haben – oder nicht?“
- „Habe ich ein Gespür für ihre Ängste und kann ich verstehen, warum sie lieber nicht darüber reden wollen?“
- Im Zentrum des Gespräches steht die Sorge um den/die Schüler/in.
- Setzen Sie im Gespräch bei den Ressourcen der Kinder (und ggf. der Eltern) an. Es sollte weniger darum gehen herauszufinden, was genau passiert ist, vielmehr sollten Sie im Gespräch darauf achten, dass es möglichst zukunftsorientiert ist.
Vorbereitungen auf das Elterngespräch
- Laden Sie bei einem Verdacht auf häusliche Gewalt in der Familie nur den Elternteil ein, von dem Sie vermuten, dass er/sie das Opfer der Gewalt ist.
- Sammeln und dokumentieren Sie, welche Beobachtungen Sie bzw. Ihre Kolleg/innen gemacht haben.
- Tauschen Sie sich mit Kolleg/innen aus, die mit dem/der betroffenen Schüler/in zu tun haben.
- Lassen Sie sich ggf. von einer Fachstelle beraten.
- Haben Sie Informationsmaterial, Flyer, Hilfeadressen etc. parat.
- Überlegen Sie sich, wie Sie ggf. mit Ihrer Befürchtung umgehen, dass sich die Situation für den/die Schüler/in durch ein Gespräch verschlimmern könnte.
- Informieren Sie ggf. die Schulleitung, auch um „Rückendeckung“ für Ihr weiteres Vorgehen zu erhalten.
- Bieten Sie den Eltern das Gespräch in einer Einladung als Austausch über die Entwicklung des Kindes an.
- Überlegen Sie, was Sie tun werden, wenn das Gespräch nicht zustande kommt.
- Versetzen Sie sich in die Perspektive der Eltern: Wie sehen die Eltern die Situation möglicherweise?
- Entwickeln Sie eigene Vorschläge für die Problemlösung bzw. berücksichtigen Sie die Wünsche der Kinder. Informieren Sie sich in dem Zusammenhang auch über die verschiedenen Unterstützungsmöglichkeiten.
1. Phase: Gesprächseröffnung
- Nennen Sie den Anlass und das Ziel des Gesprächs.
- Sprechen Sie den zeitlichen Rahmen an.
Beispiel:
„Wir haben Sie heute eingeladen, um über Ihre Tochter zu sprechen. Wir alle möchten, dass es ihr gut geht und sie sich gut entwickeln kann. Deshalb möchten wir mit Ihnen gemeinsam überlegen, was jede/r dazu beitragen kann.“
2. Phase: Klärung des Sachverhalts
- Überlegen Sie sich einen Anfangssatz, mit dem Sie das Elterngespräch beginnen wollen.
- Sprechen Sie nicht gleich das Thema Verantwortung an; aus Sicht der Eltern ist dies das Thema Schuld!
- Teilen Sie Ihre Sorge um das Kind oder den Jugendlichen, anstatt ein Fehlverhalten der Erziehungsberechtigten in den Mittelpunkt zu stellen.
- „Machen Sie sich auch manchmal Sorgen um …?“
- „Sie/Er wirkt manchmal so bedrückt, und wir wissen nicht, warum.“
Beispiel:
„Ich beobachte seit ca. zweieinhalb Monaten, dass Ihre Tochter sich verändert hat: Sie meldet sich im Unterricht nicht mehr, wirkt zurückgezogen und hat in den letzten drei Klassenarbeiten eine Vier geschrieben. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?“
- Sprechen Sie mögliche Befürchtungen der Eltern aktiv an und begegnen Sie diesen mit sachlichen Informationen, ohne das kindeswohlgefährdende Verhalten zu verharmlosen oder zu tabuisieren.
- Benennen Sie mögliche Hürden.
- „Ich kann verstehen, warum Ihnen dieses Gespräch schwerfällt.“
- „Wir sehen, dass Ihr Kind verletzt ist. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir sichergehen können, dass das nicht wieder vorkommt.“
- „Ich sehe, dass Sie verletzt sind, und ich mache mir Sorgen um Sie und Ihr Kind.“
- Führen Sie das Gespräch mit „offenen Karten“ und informieren Sie die Eltern, dass bei einer Gefährdung ggf. das Jugendamt informiert werden muss.
- Versuchen Sie, den Eltern die Angst davor zu nehmen, und stellen Sie die Hilfe in den Vordergrund, die die Familie erfahren kann.
Beispiele:
„Ich kann verstehen, dass Ihnen dieses Gespräch schwerfällt. Es geht um Ihr Kind und um familiäre Angelegenheiten, darüber spricht man nicht gern … Ich muss gestehen, mir fällt das auch schwer!“
„Wir führen ein schwieriges Gespräch … Sie wissen nicht, was ich tue, wenn Sie erzählen, dass es zuhause Probleme gibt … Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich weitere Schritte mit Ihnen abspreche.“
- Wenn Sie eine Konfrontation mit dem Verdacht auf häusliche Gewalt vorhaben, sparen Sie den Begriff „Gewalt“ aus.
Beispiele:
„Manchmal liegt der Grund dafür, dass es den Kindern in der Schule nicht gut geht, im häuslichen Kontext. Ist das bei Ihnen möglich? Kann es sein, dass Ihre Tochter/Ihr Sohn sich Sorgen macht? Zum Beispiel um Sie?“
„Es kann sein, dass ich jetzt ganz falsch liege. Doch ich frage mich, ob es möglich ist, dass Ihr Mann/Partner Druck auf Sie ausübt. Kann das sein?“
- Verdeckende oder bagatellisierende Reaktionen sind zunächst verständlich.
- Beim Elterngespräch lassen Sie bitte sämtliche Interpretationen und Bewertungen außen vor!
- Gegenseitiges Nachfragen und Zuhören ist in dieser Phase besonders wichtig!
Beispiele:
„Wir gehen davon aus, dass das stimmt, was Ihr Sohn/Ihre Tochter uns erzählt. Es geht jetzt aber nicht darum zu klären, was genau vorgefallen ist, sondern darum, was geschehen soll, damit es Ihrem Kind besser geht. Was kann dazu passieren?“
„Bei dem, was wir beobachten, sind wir verpflichtet zu reagieren. Es muss gewährleistet sein, dass sich Ihre Tochter/Ihr Sohn gesund entwickeln kann. Wie kann das gelingen?“
„Dieses Gespräch soll dazu beitragen, dass es allen in der Familie besser geht. Manchmal gibt es Situationen, in denen man nicht angemessen reagiert. Wir wollen jetzt überlegen, wie das verändert werden kann.“
„Das Gespräch soll dazu dienen, dass es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn wieder besser geht. Wir wollen jetzt überlegen, was wir alle dafür tun können.“
3. Phase: Lösungssuche
- Sammeln Sie gemeinsam mit den Eltern/dem Elternteil Ideen für das weitere Vorgehen.
- Schlagen Sie Ihre Ideen vor.
4. Phase: Vereinbarung
- Wenn Sie den Eindruck haben, dass persönliche Grenzen erreicht werden, so dass die Weiterführung des Gesprächs nicht möglich ist, ist es sinnvoll, das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen.
- Diese Unterbrechung gibt Gelegenheit, „erstmal über das Gesagte nachdenken“ zu können.
- Jedes Gespräch sollte mit der Verabredung beendet werden, weiter im Austausch zu bleiben.
- Im Falle des Verdachts auf Gewalt in der Familie muss deutlich werden, dass Ihnen erstens daran liegt, Hilfestellung und Unterstützung insbesondere für das Kind/den Jugendlichen anzubieten, sowie zweitens den beteiligten Erwachsenen in offenbar schwieriger Situation zu zeigen, dass es Auswege und Hilfen gibt.
- Sprechen Sie konkrete Verabredungen ab und halten Sie diese schriftlich fest.
- Vereinbaren Sie ggf. einen Folgetermin zur Überprüfung der Einhaltung.
- Vereinbaren Sie einen Maßnahmenplan, der realistisch an die Möglichkeiten der Eltern anknüpft.
Wann führe ich kein Elterngespräch, sondern informiere direkt das Jugendamt?
- Verdacht auf innerfamiliären sexuellen Missbrauch
- Akute Gefährdung/Krisensituation
Fachliche Absicherung
Für Unterstützung bei einem Verdacht von häuslicher Gewalt können Beratungsstellen, Jugendämter und andere Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen kontaktiert werden. Wenn die Lage für das Kind oder den Jugendlichen bedrohlich ist und Sie sicher sind, etwas zu seinem Schutz unternehmen zu müssen, schalten Sie nach Absprache mit der Schulleitung das Jugendamt ein. Bewährt haben sich beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Misshandlung und Vernachlässigung örtliche und regionale Hilfesysteme. Hier findet eine „institutionalisierte Zusammenarbeit“ durch Arbeitskreise statt, in denen sich regelmäßig Fachkräfte der Jugendhilfeträger, Schulen, Polizei, Justiz, der Gesundheits- und Vorsorgeämter, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Ärzteschaft treffen, um ihr Handeln aufeinander abzustimmen.
Quellen
- RACGP, Factsheet: Improving Responses, https://www.racgp.org.au/familyviolence/resources.htm, accessed 10.01.2024 ↩︎
- Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische Praxis. “Ansprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
- Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
- S.I.G.N.A.L. – Leitfaden, https://www.signal-intervention.de/signal-leitfaden ↩︎
- Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎ - www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎ - www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎ - www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎ - Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
- Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎
- World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014, p. 19.
http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎ - World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014.
http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎ - Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
- World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014, p. 19.
http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎ - Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
- World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014.
http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎