Modul 7: Prinzipien interorganisationaler Zusammenarbeit und Risikoanalyse bei Fällen häuslicher Gewalt in multiprofessionellen Teams

1. Organisationsübergreifende-Zusammenarbeit
2. Risikobewertung
3. Zusammenarbeit zwischen Behörden mit Fokus auf die Polizei
4. Strafverfahren in Fällen von häuslicher Gewalt
5. Strafverfahren bei häuslicher Gewalt in Deutschland
6. Exkurs: Häusliche Gewalt in Krisenzeiten – Herausforderungen für behördenübergreifende Zusammenarbeit
7. Modulares Instrument – Integration der Risikobewertung in die Ersthilfe bei häuslicher Gewalt
8. Beispiele guter Praxis

Quellen

Lernziele
+ Verstehen der Arbeitsweise von Ersthelfer:innen.
+ Erkennen, warum die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams im Fall von häuslicher Gewalt ausschlaggebend ist.
+ Wissen über den Ablauf von polizeilichen Ermittlungen und Strafverfahren bei häuslicher Gewalt.


Dieses Video erklärt, weshalb die Zusammenarbeit in Fällen häuslicher Gewalt von besonderer Bedeutung ist.

1. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit1

Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mehrerer Einrichtungen ist die wirksamste Art und Weise, auf operativer und strategischer Ebene auf häusliche Gewalt zu reagieren. Aus- und Fortbildung sowie organisatorische Unterstützung und Supervision sind unerlässlich.

Häusliche Gewalt hat schädliche Auswirkungen auf Einzelpersonen, Familien und Beziehungen. Häusliche Gewalt beeinträchtigt Gesundheit und Wohlbefinden von Erwachsenen und Kindern – unabhängig davon, ob sie häusliche Gewalt beobachten oder selbst davon betroffen sind. Sie macht weitere Gesundheits- und Sozialdienstleistungen erforderlich. Alle diese Organisationen und Behörden behandeln die gleichen Probleme auf unterschiedliche Weise, mit verschiedenen Maßnahmen und Ergebnissen.

Prinzipien einrichtungsübergreifender Zusammenarbeit

Um eine erfolgreiche Kooperation zu gewährleisten, müssen Prinzipien entwickelt und vereinbart werden, auf die sich alle Beteiligten einigen können. Die unten aufgeführten Punkte können Fachleuten und Organisationen dabei helfen, Grundsätze für eine funktionierende Zusammenarbeit zu etablieren.

  • Verstehen, dass ohne wirksame Prävention und frühzeitige Intervention häusliche Gewalt oft eskaliert. Deshalb ist es wichtig, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Erwachsene und Kinder als Betroffene von häuslicher Gewalt möglichst rasch zu erkennen und zu unterstützen.
  • Bei möglichen Interventionen immer die Sicherheit der Betroffenen und ihrer Kinder priorisieren.
  • Risikosituationen zu erkennen: In bestimmten Situationen (z. B. Trennung, Hilfesuche, Schwangerschaft) sind Betroffene von Partnergewalt besonders gefährdet.
  • Vertraulichkeit und Privatsphäre respektieren, wo immer möglich; die Risiken verstehen, die mit dem Informationsaustausch im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt verbunden sind.
  • Gewährleisten, dass Gewaltbetroffene mit Respekt und Würde behandelt werden, indem man ihnen zuhört, ihren Berichten Glauben schenkt und ihnen versichert, dass sie niemals selbst schuld an der Gewalt sind.
  • Ermächtigen Sie Betroffene, gut informierte Entscheidungen für sich selbst zu treffen, wo immer möglich. Treffen Sie keine Entscheidungen für sie ohne ihre Beteiligung.
  • Bei der ersten Kontaktaufnahme mit den anderen eingebundenen Einrichtungen die informierte Zustimmung des/der Betroffenen einholen, um sicherzustellen, dass Informationen zwischen allen Akteuren bei Bedarf ohne Verzögerung ausgetauscht werden können.
  • Alle Vorfälle häuslicher Gewalt sollten erfasst, analysiert und regelmäßig in anonymisierter Form mit den Verantwortlichen der kooperierenden Einrichtungen geteilt werden.
  • Gemeinsame Richtlinien und Verfahren für den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Organisationen entwickeln.
  • Sicherstellen, dass alle Einrichtungen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Betroffenen eingehen. Dabei sind zu berücksichtigen: Alter, Geschlecht, Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Behinderung oder andere Merkmale. Erkennen, dass solche Unterschiede nicht als Entschuldigung oder Rechtfertigung für häusliche Gewalt oder andere schädliche Praktiken dienen dürfen.
  • Ermutigen Sie die Zusammenarbeit mit Täter:inneneinrichtungen, um Risiken auf multiprofessioneller Basis zu bewerten und neue Gewalttaten zu verhindern.
Herausforderungen der einrichtungsübergreifenden Zusammenarbeit2

Grundsätzlich haben verschiedene Einrichtungen unterschiedliche organisatorische Aufgaben, Visionen, Werte, Ziele und Absichten. Sie können auch unterschiedliche Regeln, Vorschriften und Arbeitsmechanismen haben. Dies kann eine effektive Zusammenarbeit erschweren.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Unterschiede in den Definitionen und Bezeichnungen, die verwendet werden, um sich auf gewaltbetroffene Personen zu beziehen: im Strafrechtssystem ist von Opfern die Rede, Schutzeinrichtungen für Frauen sprechen gelegentlich von „Überlebenden“, im Gesundheitssystem ist die Rede von „Patientinnen und Patienten“. In der Arbeit mit Täter:innen wird ebenfalls der Opferbegriff im strafrechtlichen Sinne verwendet, es kann sich aber auch  allgemein um „Klienten und Klientinnen“ handeln.

Die von verschiedenen Behörden und Einrichtungen gesammelten Daten sind im Regelfall nicht vergleichbar: aufgrund von Unterschieden in der Art der Daten, in deren Erfassung oder in der Datenspeicherung. Es kann auch Unterschiede im Verständnis dessen geben, was häusliche Gewalt ausmacht und was ihre Auswirkungen sind. Eine hohe Personalfluktuation ist ebenfalls ein Hindernis und beeinträchtigt die Kommunikation.

Einrichtungen kommunizieren nicht immer miteinander oder dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Informationen austauschen. Folglich müssen von Gewalt betroffene Personen sämtliche Erfahrungen, einschließlich der Einzelheiten von erlebtem Missbrauch, wiederholt schildern. Die Erinnerung an das Erlebte kann für Betroffene traumatisch sein und sie folglich davon abhalten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Quelle: Polizei Berlin

Wie kann man von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen helfen?

Der folgende Aufklärungsfilm des WEISSEN RINGS erklärt, wie sie Personen unterstützen können, die sexualisierter Gewalt erleben oder erlebt haben, wenn sie den Täter oder die Täterin verlassen möchten.


2. Risikobewertung

Die Risikobewertung ist ein wichtiger Baustein der Prävention von häuslicher Gewalt.3 Ihr Ziel ist es, weitere Gewalttaten zu verhindern, indem das Rückfallrisiko des Täters/der Täterin4, Umstände, die das Gewaltrisiko erhöhen können, und die Gefährdungsfaktoren für die Gewaltbetroffenen sowie die Umsetzung von Schutzmaßnahmen ermittelt werden.

Eine Risikobewertung ist für die Sicherheitsplanung und für das Management des vorhandenen Risikos erforderlich. Das sind die wichtigsten Punkte:

  • Es ist wichtig, Betroffenen dabei zu helfen ihre gegenwärtige und zukünftige Sicherheit sowie die ihrer Kinder einzuschätzen.
  • Eine umfassende Risikobewertung beinhaltet das Sammeln sachdienlicher Informationen über das häusliche Umfeld, das Erfragen der Risikowahrnehmung des Gewaltbetroffenen und eine professionelle Einschätzung der aktuellen Risikofaktoren.5 Dies wird in der Regel von Opferschutzeinrichtungen (oder der Polizei) durchgeführt.
  • Von häuslicher Gewalt zu erfahren, ist mit Melde-, Mitteilungs- und Anzeigepflichten verbunden, die je nach Berufsgruppe unterschiedlich sind.
  • Dies betrifft die Melde- und Mitteilungspflichten von pädagogischen und psychosozialen Berufsgruppen bei Verdacht auf unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung und bei Kindeswohlgefährdung.
  • Auch für medizinische Berufe gelten Melde- und Anzeigepflichten, die in den jeweiligen Berufsgesetzen geregelt sind.

Darauf sollten Sie achten:

  • Verfolgen Sie einen opferzentrierten Ansatz.
  • Verfolgen Sie einen geschlechtersensiblen Ansatz.
  • Verfolgen Sie einen intersektionalen Ansatz: Bei der Ermittlung der individuellen Sicherheitsbedürfnisse der von Gewalt betroffenen Personen werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls berücksichtigt, einschließlich des Geschlechts und der Geschlechtsidentität von Betroffenen, der ethnischen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Ausrichtung, einer Behinderung, des Aufenthaltsstatus, Sprachbarrieren, Beziehung zum Täter/der Täterin oder der Abhängigkeit von ihm/ihr und früherer Straftaten.6
Dieses Video ist eine Einführung in die Techniken der Risikobewertung bei der Arbeit mit Frauen und Kindern, die Gewalt erleben. Es sollte in Verbindung mit der Einführung in die Sicherheitsplanung Risikobewertung verwendet werden.
Untertitel aktivieren: Klicken Sie während des Abspielens im Bildschirmbereich unten auf das Untertitel-Symbol (kleines Viereck mit Strichen). Der Untertitel wird direkt eingeblendet. Um die Untertitelsprache zu ändern, klicken Sie auf das Zahnrad daneben und wählen unter „Untertitel“ die gewünschte Sprache aus. Hier geht es zu einem Erklärvideo.

Es wird dringend empfohlen, ein standardisiertes Instrument für die Risikobewertung zu verwenden, anstatt sich auf das „Bauchgefühl“ zu verlassen. Es gibt unterschiedliche standardisierte Instrumente, welche von den Gewaltschutzzentren, der Polizei und teilweise in Krankenhäusern genutzt werden.


Hier folgt eine Darstellung der international am häufigsten eingesetzten Instrumente. Sie wurden grundsätzlich für die Konstellation „weibliches Opfer – männlicher Täter“ entwickelt, vereinzelt erfolgten später Adaptierungen für lesbische Beziehungen (DA) bzw. Beziehungen zwischen LGBTIQ+-Personen (DASH).

Danger Assessment (DA)8,9
  • Damit kann der Grad der Gefahr bestimmt werden, dass eine gewaltbetroffene Frau von ihrem Partner getötet wird.
  • Das Instrument besteht aus zwei Teilen: einem Kalender und einem 20-Punkte-Bewertungsinstrument. Der Kalender hilft bei der zeitlichen Beurteilung der Schwere und Häufigkeit der Misshandlungen im vergangenen Jahr. Der Kalenderteil wurde konzipiert, um das Bewusstsein des Betroffenen zu schärfen und das Leugnen und Bagatellisieren von Gewalt zu verringern, zumal die Verwendung eines Kalenders das Erinnerungsvermögen in anderen Situationen erhöht.
  • Das Instrument, bestehend aus 20 Fragen, verwendet ein gewichtetes System zur Bewertung von Ja/Nein-Antworten auf abgefragte Risikofaktoren im Zusammenhang mit Tötungsdelikten an Intimpartnerinnen. Zu diesen Risikofaktoren gehören frühere Morddrohungen, der Beschäftigungsstatus des Partners und dessen Zugang zu einer Waffe.

Weitere Informationen: https://www.dangerassessment.org/About.aspx

Leitfaden zur Risikobewertung bei häuslicher Gewalt (DVRAG)10

Der Leitfaden zur Risikobewertung bei häuslicher Gewalt (Domestic Violence Risk Appraisal Guide, DVRAG) enthält die gleichen Punkte wie die Risikobewertung bei häuslicher Gewalt in Ontario (Ontario Domestic Assault Risk Assessment, ODARA), berücksichtigt aber auch die Ergebnisse der überarbeiteten Psychopathie-Checkliste (PCL-R). Der DVRAG ist ein versicherungsmathematisches Instrument mit 14 Fragen, mit dem die Wahrscheinlichkeit von Partnergewalt gegen eine weibliche Partnerin bewertet wird. Beide Instrumente können die Geschwindigkeit und Anzahl erneuter Übergriffe und die Schwere der dadurch verursachten Verletzungen vorhersagen.11

Der DVRAG setzt Zugang zu vertiefenden Informationen sowie Wissen um spezifische Prognosemethodiken voraus.

Weitere Informationen: https://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/BM-Online/bm-online8.pdf

DASH Risk Risikobewertung12

DASH steht für häusliche Gewalt, Stalking und „Ehre“-basierte Gewalt. Das Risikobewertungsinstrument war das Ergebnis der Dokumentation von 47 Tötungsdelikten in Beziehungen und in der Familie sowie der Katalogisierung der wichtigsten Risikovariablen zur Entwicklung des CAADA – DASH-Risikomodells. Zweck der DASH-Risiko-Checkliste ist es, Praktiker:innen, die mit erwachsenen Betroffenen von häuslicher Gewalt arbeiten, ein konsistentes und einfaches Instrument an die Hand zu geben.

Weitere Informationen: https://www.dashriskchecklist.com/

BIG 2613

Das Domestic Abuse Intervention Program (DAIP) in Duluth, Minnesota, USA, hat 26 Fragen entwickelt, um die Gefährlichkeit eines Täters einzuschätzen. Das Modell von Duluth betont die Bedeutung einer institutionenübergreifenden Zusammenarbeit und einer koordinierten Reaktion auf Gewalt.

Weitere Informationen: https://www.theduluthmodel.org/

DyRiAS-Intimpartner14

DyRiAS steht für Dynamisches Risiko Analyse System. Seit Januar 2012 wird das DyRiAS-Intimpartner in Deutschland, Österreich und der Schweiz verwendet. Das Instrument misst das Risiko für schwere Gewalttaten gegen die Intimpartnerin. In einer eigenen Skala wird zusätzlich das Risiko für leichte bis mittelschwere körperliche Gewalt erfasst. DyRiAS-Intimpartner eignet sich ausschließlich für Gewalt in heterosexuellen Beziehungen, ausgehend vom männlichen (ehemaligen) Partner. Dabei ist die Dauer der aktuellen oder früheren Beziehung unwesentlich und kann von einer kurzen bis hin zu einer langjährigen Beziehung reichen. Insgesamt umfasst DyRiAS-Intimpartner 39 Items.

Weitere Informationen: https://www.dyrias.com/de/

Bitte beachten Sie, dass die meisten Risikobewertungen die Aspekte Geschlecht/Gender nicht ausdrücklich berücksichtigen. Oftmals sind in diesen Instrumenten entweder beide Geschlechter in den Checklisten nicht vorgesehen oder es wird ausschließlich die männliche Form verwendet, wenn von Täter:innen die Rede ist. Hier finden Sie weitere Informationen.



3. Zusammenarbeit zwischen Behörden mit Fokus auf die Polizei

Beschreibung: Das Video stellt den fiktiven Fall „Rita“ vor. Es zeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen Ersthelfer:innen, einschließlich medizinischem Fachpersonal, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Polizei und Sozialarbeiter:innen idealerweise aussehen kann.
Fallstudie: Auswirkung von häuslicher Gewalt auf Kinder

Gabby heiratete nach einer langen Beziehung Nick und zog kurz darauf auf den Bauernhof ihres Mannes. Das Paar war auf dem Bauernhof glücklich und bald bekamen sie das erste Kind. Während der Schwangerschaft begann sich Nicks Verhalten zu verändern, und als die Tochter der beiden geboren wurde, fühlte sich die Beziehung nicht mehr an wie zuvor. Nick wirkte zurückgezogen und verbrachte viel Zeit allein. Er begann, Gabby an Nicks Vater zu erinnern, der Nick gegenüber immer sehr streng gewesen war.

Nicks Verhalten wurde bedrohlich und kontrollierend, insbesondere in Bezug auf Geld und soziale Kontakte. Er wurde bei Auseinandersetzungen zunehmend aggressiv, schrie oft und warf Gegenstände durch den Raum. Gabby dachte, da er sie nicht körperlich verletze, handle es sich nicht um Gewalt. Nick zeigte kein großes Interesse an der Tochter Jane – außer in der Öffentlichkeit, wo er ein vernarrter und liebevoller Vater zu sein schien.

Jane war im Allgemeinen ein wohlerzogenes Kind, aber Gabby stellte fest, dass sie sie nicht allein bei jemand anderem lassen konnte. Dann weinte Jane und verzweifelte sichtlich. Das war für Gabby belastend und bedeutete auch, dass ihre sozialen Aktivitäten weiter eingeschränkt wurden. Jane brauchte lange Zeit, um zu krabbeln, zu gehen und zu sprechen. Ihr Schlafmuster war unregelmäßig und Gabby schlief nachts oft nicht durch, selbst als Jane über 12 Monate alt war. Als Jane zu sprechen begann, entwickelte sie ein Stottern, das ihre Sprachentwicklung weiter behinderte. Gabby machte sich große Sorgen um Jane. Ihr Hausarzt sagte ihr, dass das passieren könne und normal sei und dass sie, wenn die Sprachprobleme fortbestünden, Jane jederzeit zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Spezialisten schicken könne.

Nach einigen Jahren wurde Nicks Verhalten für Gabby inakzeptabel. Während der Auseinandersetzungen nahm er nun oft das Gewehr, das er für die Jagd gekauft hatte, in die Hand. Gabby empfand dies als sehr bedrohlich. Immer häufiger wurde Gabby von Gegenständen, die Nick warf, getroffen. Sie hatte zunehmend Angst um ihre Tochter. Gabby beschloss, Nick zu verlassen und wandte sich an das Gewaltschutzzentrum. In Begleitung einer der Beraterinnen erstattete sie Anzeige bei der Polizei, die ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen Nick verhängte.

Als Jane keinen Kontakt mehr zu Nick hatte, änderte sich ihr Verhalten. Janes Entwicklung schien sich zu beschleunigen, und Gabby konnte zuerst nicht verstehen, warum. Bei einer Familienberatungsstelle erörterte sie dieses Thema. Ihre Beraterin erklärte, dass die Entwicklungsverzögerung, das Stottern und die Trennungsangst bei Jane daher gerührt hätten, dass sie in einer Gewaltsituation gelebt hatte.

Zu den zahlreichen Fachleuten und Einrichtungen, die für die Unterstützung von Betroffenen von häuslicher Gewalt von Bedeutung sein können, gehören unter anderem – aber nicht ausschließlich – Polizei, Gewaltschutzzentren, praktische und Fachärzt:innen, Kinder- und Jugendhilfe, psychosoziale Dienste, Opferschutzeinrichtungen für Betroffene von sexueller Gewalt, Sozialämter, Einrichtungen für Drogenmissbrauch, Wohnberatungen/Wohnungsämter.

Adaptiert nach einer Fallstudie aus RACGP (2014): Abuse and Violence: Working with our patients in general practice


Überweisungen an Anbieter von Gesundheits- und Sozialdiensten

Zusammenarbeit mit anderen Dienstleistungsanbietern, um integrierte Protokolle und effektive Überweisungsnetzwerke zu entwickeln und zu implementieren:

  • Vernetzung der Opfer mit den erforderlichen Gesundheits- und Sozialdiensten wie Notunterkünften sowie medizinischen und psychologischen Versorgungseinrichtungen
  • Koordination von Folgemaßnahmen und deren Institutionalisierung
  • Entwickeln von Standards für Überweisungsdienste
  • Sicherstellen, dass die gesamte Kommunikation zwischen den Dienstleistungs-anbietern urteilsfrei, einfühlsam und unterstützend ist
  • Feststellen des Bedarfs an standardisierten Datenaustauschprotokollen
Kommunikation zwischen Justizbehörden

Gewährleistung eines wirksamen Informationsaustauschs zwischen den Anbietern von Justizdienstleistungen:

  • Opfer oder Überlebende und/oder die Eltern/Erziehungsberechtigten und Rechtsvertreter/innen werden, wo immer möglich, um eine informierte Zustimmung zur Weitergabe von Informationen gebeten.
  • Informationen werden im Rahmen der Datenschutz- und Vertraulichkeitserfordernisse weitergegeben.
  • Informationen sollten nur für den Zweck, für den sie beschafft oder zusammengestellt wurden, oder für eine mit diesem Zweck übereinstimmende Verwendung offengelegt werden.
  • Protokolle und Überweisungsmechanismen, die einen zeitnahen und effizienten Informationsfluss zwischen den verschiedenen Diensten fördern, sollten entwickelt werden.
Verfahren und Informationsaustausch

Die verschiedenen Dienstleister legen schriftliche Verfahren zur Risikobewertung und zum Risikomanagement fest, insbesondere zu Zielen, Verantwortlichkeiten und Rollen der Fachleute sowie zu Dauer und Methoden der Risikobewertung und des Risikomanagements, nämlich:

  • zur Ermittlung relevanter Informationsquellen, wie z. B. die vom Opfer/Überlebenden aufgedeckte Geschichte der Gewalt,
  • zur Definition der zu verwendenden Instrumente,
  • zum Entwurf von Plänen zur Situationssicherheit.

Die aus der Risikoabschätzung gewonnenen Informationen sollten in einem klaren und objektiven schriftlichen Bericht enthalten sein und mehrere Bereiche abdecken: Gewaltgeschichte, psychosoziale Vorgeschichte, aktuelle psychosoziale Anpassung des Täters/der Täterin, Kontext der Erfahrungen der Opfer/Überlebenden und eine schlüssige Stellungnahme zum dargestellten Gewaltrisiko.

Die multiinstitutionelle Zusammenarbeit ist für eine erhöhte Sicherheit von Frauen und Kindern von größter Bedeutung und erfordert einen Prozess des Informationsaustausches. 

Der Informationsaustausch zwischen verschiedenen Organisationen kann dazu beitragen:

  • neue Ideen und Lösungen im Bereich der Prävention und Intervention zu finden und diese kohärenter und effektiver zu gestalten,
  • die Komplexität der Gewaltdynamik des Falles zu erfassen,
  • erneute häusliche Gewalt zu reduzieren.

Der Informationsaustausch kann mit einem der Grundprinzipien der Intervention in Konflikt geraten: der Vertraulichkeit und dem Recht auf Privatsphäre. Strategien der Informationssammlung und -verbreitung müssen anerkannte ethische Standards unter Achtung der Menschenrechte berücksichtigen.

Die Weitergabe von Informationen sollte den folgenden Prinzipien entsprechen: 

  • Sicherheit: Informationen sollten auf sichere Weise weitergegeben werden und das Risiko für das Opfer/den/die Überlebende/n und die Kinder nicht dadurch erhöhen, dass sie sich in einer verletzlicheren Situation befinden;
  • Objektivität: Informationen sollten auf objektive Weise und ohne Beurteilung/Verurteilung übermittelt werden;
  • Notwendigkeit: Es sollten nur Informationen berücksichtigt werden, die für die Erstellung eines wirksamen Sicherheitsplans relevant sind.
Abbildung: Grundlegende Anforderungen an einen Informationsaustauschprozess
Quelle: übersetzt aus Avaliação e Gestão de Risco em Rede: Manual para Profissionais [Vernetzte Risikobewertung und -management: Handbuch für Fachleute], herausgegeben von der Frauenvereinigung gegen Gewalt (AMCV), Lissabon: 2013 (nur portugiesische Fassung) ISBN: 978-989-98600-1-8

Szenario: Opfer erstattet Anzeige ohne aktuellen Vorfall

Das Opfer kommt auf ein Polizeirevier und erstattet Anzeige, ohne dass ein aktueller Vorfall vorliegt.

Aufgabe

Diskutieren Sie Folgendes:
Welche Maßnahmen stehen Ihnen zur Verfügung?

Die Antworten auf diese Aufgabe sind in den entsprechenden Abschnitten dieses Moduls zu finden.

Mögliche Antworten
  • Klärung und Aufnahme des Sachverhalts: Wer ist der Täter/die Täterin? Wie viele Vorfälle häuslicher Gewalt gab es? Über welchen Zeitraum? In welcher Intensität? Etc.
  • Suche nach Möglichkeiten nachträglicher Beweissicherung: Gab es Zeug*innen? Gab es Arztbesuche? Gibt es Anvertraute? Gibt es Beweise in anderer Form?
  • Aufklärung über Rechte und Pflichten sowie den Verfahrensablauf
  • Gefährdungsbewertung und ggf. Initiierung der notwendig erscheinenden Schutzmaßnahmen (mit Bezug auf den Täter beispielsweise: Gefährderansprache, Wegweisung, Annäherungs- und Kontaktverbot, Ingewahrsamnahme; mit Bezug auf das Opfer: Opferschutzgespräch, ggf. Schutzunterkunft)
  • Weitergabe von Informationen über Unterstützungsangebote (NGOs, öffentlicher Sektor)
  • Vermittlung ins Hilfsnetzwerk, bspw. durch proaktiven Ansatz
  • Informieren des Opfers über Opferrechte und zivilrechtliche (Schutz-)Möglichkeiten

4. Strafverfahren in Fällen von häuslicher Gewalt

In Strafverfahren bei häuslicher Gewalt werden mehrere wesentliche Schritte unternommen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

  • Häusliche Gewalt tritt auf: Das Verfahren beginnt in der Regel mit einem Vorfall von häuslicher Gewalt im häuslichen oder familiären Umfeld oder in einer (früheren) Beziehung. Dabei kann es sich um verschiedene Formen von Gewalt handeln, darunter körperliche, psychische, sexuelle, digitale oder finanzielle.
  • Anzeige: Die Anzeige des Vorfalls erfolgt häufig durch die von häuslicher Gewalt betroffene Person oder eine betroffene Partei und dient als formale Einleitung des rechtlichen Verfahrens. Eine Anzeige zu erstatten, kann für die Betroffenen eine schwierige Entscheidung sein, und die Entscheidung keine Anzeige zu erstatten, sollte respektiert werden. Die Anzeige der Gewalt kann jedoch ein wichtiger Schritt sein, um Hilfe zu erhalten und die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen. In einigen europäischen Ländern, z. B. in Frankreich, werden die polizeilichen Ermittlungen auch dann fortgesetzt, wenn der oder die Betroffene keine Anzeige erstatten möchte.
  • Dokumentation: Bei der Dokumentation werden Aussagen der betroffenen Person, von Zeugen und des mutmaßlichen Täters oder der mutmaßlichen Täterin gesammelt. Zusätzlich zu den mündlichen Aussagen können die Beamt:innen auch physische Beweise wie Fotos von Verletzungen sammeln und alle relevanten Dokumente oder Gegenstände sicherstellen, die vor Gericht als Beweismittel verwendet werden könnten.
  • Unterstützung: Gleichzeitig wird der von Gewalt betroffenen Person sofortige Unterstützung und Schutz angeboten. Dies kann die medizinische Versorgung von Verletzungen, Beratungsdienste oder Schutzräume umfassen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Sozialarbeiter:innen oder Hilfsorganisationen können eingeschaltet werden, um die emotionalen und praktischen Bedürfnisse der betroffenen Person in dieser schwierigen Zeit zu erfüllen.
  • Untersuchung: Eine entscheidende Phase des Verfahrens ist die Ermittlungsphase. Die Strafverfolgungsbehörden führen eine gründliche Untersuchung des Falles durch, mit dem Ziel, eine umfassende Akte anzulegen. Dazu gehört die Sammlung zusätzlicher Beweise, die Befragung von Zeug:innen und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit aller beteiligten Parteien. Ziel ist es, festzustellen, ob genügend Beweise vorliegen, um eine Strafanzeige gegen den mutmaßlichen Täter oder die mutmaßliche Täterin zu unterstützen.
  • Strafverfolgung: Wenn die Ermittlungen genügend Beweise ergeben, wird der Fall schließlich an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall und entscheidet, ob sie Anklage gegen den mutmaßlichen Täter oder die mutmaßliche Täterin erhebt. Wenn Anklage erhoben wird, wird das Verfahren fortgesetzt. Dies kann Gerichtsverhandlungen, Gerichtsverfahren und mögliche Strafen für die Beschuldigten beinhalten, um Gerechtigkeit zu gewährleisten, die betroffene Person zu schützen und die Täter:innen für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.

Die folgende Abbildung zeigt die einzelnen Schritte des Strafverfahrens bei häuslicher Gewalt und erklärt, wie sie zusammenhängen. Bitte klicken Sie auf die blauen Kreise, um mehr Informationen zu den einzelnen Schritten zu erhalten. In der Abbildung der Schritte: Klicken Sie bitte auf das Kreuz im entsprechenden Kreis, um mehr Informationen zu erhalten.


5. Strafverfahren bei häuslicher Gewalt in Deutschland

In Deutschland können sich die Betroffenen von häuslicher Gewalt an die Polizei wenden. Die Notrufnummer für die Kontaktaufnahme mit den Strafverfolgungsbehörden lautet 110.

  • Wenn die Polizei durch einen Notruf gerufen wurde, begibt sich ein Team des Streifendiensts zum Einsatzort. Häufig wissen die Beamt:innen nicht genau, was sie erwartet und auf welche Situation sie vor Ort treffen werden (bspw. ob durch einen Aggressor, eventuell zusätzlich unter Alkoholeinfluss, weiterhin akute Gefahr für beteiligte Personen oder auch sie selbst besteht).
  • Vor Ort ist es das Ziel des Einsatzes, die Situation zu erfassen und möglichst die Sicherheit aller Beteiligten wiederherzustellen. Dies kann teilweise dadurch erschwert werden, dass bspw. Nachbar:innen die Polizei verständigt haben, die Personen aus der betroffenen Wohnung der Polizei allerdings den Zutritt verwehren können. Es ist Aufgabe der Polizei, in jeder Konstellation die Gefahr einzuschätzen und die Sicherheit der Beteiligten zu gewährleisten. Ebenfalls sind die Beamt:innen gesetzlich verpflichtet, das Opfer über seine Rechte aufzuklären. Hierzu können Sprachmittlung und Unterlagen genutzt werden. Da sowohl die Gefahrensituation als auch der Polizeieinsatz einen stressvollen Moment für Betroffene darstellt, gestaltet sich dieses Informationsgebot häufig sehr herausfordernd.
  • Vor Ort ist es für die Gewaltbetroffenen möglich, Strafanzeige zu erstatten. Sobald dies geschehen ist, ist die Polizei verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und Beweise zu sichern. Eine Anzeige kann auch im Nachgang erfolgen.
  • Im Jahr 2001 wurde das Gewaltschutzgesetz eingeführt, welches sich mit dem Opferschutz, dem Umgang mit dem Täter/der Täterin und der damit einhergehenden Polizeiarbeit befasst. Zusätzlich wurde 2021 eine deutschlandweite Definition von häuslicher Gewalt in das Gewaltschutzgesetz aufgenommen, sodass alle Bundesländer den gleichen Rahmen für lokale Gesetze zu häuslicher Gewalt verwenden können. Diese Definition ist jedoch noch nicht zwangsläufig in den einzelnen Landesgesetzen umgesetzt.
  • Es ist wichtig zu wissen, dass die Strafverfolgung in Deutschland in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, was bedeutet, dass das Verfahren von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein kann. In einigen Bundesländern wird die Räumung des Täters/der Täterin nicht unbedingt von den Verwaltungsgerichten, sondern eher von den örtlichen Polizeibehörden oder den kommunalen Ordnungsämtern durchgeführt, z.B. in Baden-Württemberg. Es ist daher ratsam, sich mit einer lokalen Polizeibehörde in Verbindung zu setzen, um eine Ansprechperson im Falle des Bedarfs zu haben. In vielen Bundesländern gibt es sog. Interventionsstellen für häusliche Gewalt, in denen polizeiliche Sachbearbeitende in Opferschutzfragen arbeiten. Sich ein interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen kann helfen, betroffenen Personen schnell die passende Unterstützung anzubieten.

  • In akuten Gefahrensituationen ist die Polizei befugt, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, die die Entfernung des Täters/der Täterin aus der Wohnung in der akuten Situation und ein Rückkehrverbot für bis zu zehn Tage beinhaltet. Außerdem kann die Polizei ein Kontaktverbot sowie ein Annäherungsverbot aussprechen. Täter:innen, die gegen eine dieser Schutzmaßnahmen verstoßen, können mit einer Geldstrafe belegt werden.
  • Je nach Region und/oder Polizeidienststelle verteilt die Polizei Flyer (oder auch: Opferschutzblatt) an Betroffene, die Kontaktdaten von relevanten Akteuren der Unterstützungssysteme enthalten, wie z. B. das bundesweite Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen (116 016), Beratungsstellen und Kontaktpersonen für Frauenhäuser. Viele Polizeidienststellen in Deutschland arbeiten mit Opferhilfsdiensten zusammen und fragen die gewaltbetroffene Person ob eine Beratungsstelle proaktiv Kontakt zu ihnen aufnehmen kann, um z.B. Unterstützung bei der Strafanzeige und dem anschließenden Verfahren anzubieten. Die Kosten der Unterbringung in den Frauenhäusern werden für viele Frauen und ihre Kinder über den Bezug von Sozialleistungen gedeckt. Frauen, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, müssen die Kosten selbst tragen.

Das folgende Video zeigt, wie eine Mitarbeiterin eines Opferhilfsdienstes nach einem Polizeieinsatz Kontakt mit der betroffenen Frau aufnimmt:

In dem folgenden Aufklärungsfilm des WEISSEN RINGS wird erklärt, wie der WEISSE RING Betroffenen hilft, wenn diese einen Täter oder eine Täterin verlassen wollen. Der WEISSE RING unterstützt zudem zahlreiche Personen, die unter sexualisierter Gewalt gelitten haben oder leiden.


  • Sobald die Polizei über eine Straftat informiert wird, ist sie zur Strafverfolgung verpflichtet. Wenn die betroffenen Personen über die Straftat schweigen und nicht aussagen wollen, nimmt die Polizei den Fall auf und stellt ihn ein, wenn die Straftat nicht schwerwiegend genug ist oder wenn keine weiteren Beweise vorliegen. Er kann wieder aufgenommen werden, wenn neue Vorfälle auftreten.
  • Wenn Kinder Zeug:innen oder selbst von häuslicher Gewalt betroffen sind, meldet die Polizei den Vorfall in jedem Fall dem Jugendamt. Jede mögliche Schädigung eines Kindes oder eines Jugendlichen wird hierbei als relevant angesehen. Das Jugendamt bietet Eltern und Kindern (rechtliche) Unterstützung, setzt sich für den Kinderschutz ein und hat durch seine Entscheidungsbefugnis eine „Schutzfunktion“ inne. Ihm obliegt die Entscheidung über das weitere Vorgehen zum Wohlergehen des Kindes.
  • In vielen deutschen Städten gibt es die Möglichkeit, Verletzungen oder andere Anzeichen von Gewalt durch medizinisches Fachpersonal dokumentieren zu lassen. Dieser Service ist kostenlos und soll die Hemmschwelle senken, Fälle von häuslicher Gewalt anzuzeigen. Wenn die betroffene Person beschließt, Strafanzeige zu erstatten, können diese Beweise verwendet werden. Das medizinische Personal ist rechtlich nicht befugt, ohne die Zustimmung der gewaltbetroffenen Person Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben.
  • Fälle häuslicher Gewalt, die in Deutschland nicht die Kriterien für eine Strafverfolgung erfüllen oder bei denen betroffene Personen keine Strafanzeige erstatten, werden in der Regel als Verwaltungsangelegenheit behandelt. Dieses Verfahren umfasst in der Regel die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und kann je nach Bundesland unterschiedlich sein. Der Täter/die Täterin hat das Recht, gegen den Verwaltungsakt Einspruch zu erheben oder ihn in Revision zu bringen. In diesen Fällen können sich weitere rechtliche Schritte und Verfahren anschließen.
  • Sobald eine gewaltbetroffene Person Anzeige erstattet hat und die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, leitet die Polizei die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter, die den Inhalt prüft und den Fall entweder einstellt oder zur Verhandlung an das Gericht weiterleitet. Die Betroffenen können auch direkt bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige erstatten, was jedoch kaum geschieht. Je nach individuellem Verlauf (oft aufgrund von Beweisen und der Schwere der Straftat) kann die Staatsanwaltschaft entweder einen Strafbefehl erlassen (ohne Verhandlung vor einem Gericht) oder Anklage erheben. Die Mehrzahl der zur Strafanzeige gebrachten Fälle häuslicher Gewalt werden wegen geringfügiger Beweislast oder fehlender Aussagebereitschaft von Opfer-Zeug:innen eingestellt.
  • Wenn die Kriterien für eine Strafverfolgung erfüllt sind, sind möglicherweise zwei Gerichte beteiligt: Fälle von Sorgerecht, Unterhalt und Vereinbarungen über gemeinsame Wohnungen werden vor dem Familiengericht verhandelt. Fälle von Gewalt zwischen zwei Partnern vor dem Strafgericht. In der Regel erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Täter oder die Täterin. In Fällen von schwerer Gewalt können die davon betroffenen Personen zusätzlich Anzeige erstatten. Dies ermöglicht eine aktive Rolle während des Gerichtsverfahrens.
  • Während des Gerichtsverfahrens haben Minderjährige und solche, die von schwerer Gewalt bedroht sind, ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung. In diesen Fällen begleitet dieser kostenlose Dienst die betroffenen Personen während des Prozesses, unterstützt sie und erklärt ihnen den Ablauf des Verfahrens. Auch andere Betroffene können diese Leistung beantragen oder gegen private Bezahlung in Anspruch nehmen. In der Regel sagen der Täter/die Täterin und die von Gewalt betroffene Person persönlich im Gerichtssaal aus, aber sie können beantragen, in einem separaten Raum oder per Video befragt zu werden. Migrant:innen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und deren Aufenthaltsstatus an ihren Ehepartner:innen gebunden ist, können einen besonderen Härtefall im Aufenthaltsrecht beantragen.
  • Die Strafen für häusliche Gewalt variieren je nach Schwere der Straftat(en) zwischen Geld- und Freiheitsstrafen. Die Täter/die Täterin können dazu verurteilt werden, an Kursen teilzunehmen, um beispielsweise Selbstregulierungsfähigkeiten oder Konfliktlösungsstrategien zu erlernen. Zu berücksichtigen ist, dass alle Möglichkeiten der Täter:innenberatung und Intervention nur erfolgreich sein können, wenn die gewalttätige Person bereit ist, ihr (gewaltvolles) Beziehungsverhalten zu bearbeiten und zu ändern.

In dem folgenden Video wird gezeigt, wie man durch Einzel- und Gruppenberatung Männer dabei unterstützen kann, Gewalt zu überwinden:



6. Exkurs: Häusliche Gewalt in Krisenzeiten – Herausforderungen für behördenübergreifende Zusammenarbeit

Quarantäne, Einschränkungen im täglichen Leben, geschlossene Schulen, Homeoffice, Kurzarbeit, finanzielle Sorgen und Zukunftsängste – all diese Faktoren können zu erhöhtem Stress in Beziehungen und im Familienleben führen. Als Beispiel wird hier an Beobachtungen aus der COVID-19-Phase erinnert:


Am 16. März 2020 wurde in den 16 deutschen Bundesländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten lokale Lockdowns wegen der Risiken der Covid-19-Pandemie von den Behörden angeordnet. Die Durchsetzung der Quarantänevorschriften war hierbei unterschiedlich geregelt. Im April kam jedoch fast ganz Deutschland zum Stillstand: Home-Office und Online-Unterricht wurden eingeführt.

Einige Risikofaktoren für die Zunahme von häuslicher Gewalt waren:
  • Gesundheitliche und psychische Probleme können sich während eines Lockdowns verstärken, da gesundheitsrelevante Serviceleistungen nur eingeschränkt zugänglich sind. Dies kann sich wiederum negativ auf den Gesundheitszustand Einzelner auswirken, ihr Stressniveau erhöhen und eine Zunahme gewalttätiger Übergriffe begünstigen.
  • Mit wirtschaftlichrn Unsicherheit oder Arbeitslosigkeit gehen finanzielle Sorgen einher, die destruktive Bewältigungsmechanismen verstärken können.
  • Gewalt hat immer auch etwas mit Machtanspruch zu tun. In Zeiten von Krise und Isolation und damit verbundener gefühlter Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Machtlosigkeit ist Gewalt vermeintlich ein Mittel, um Kontrolle und Macht zurückzugewinnen.
  • Sprachbarrieren, Schließungen von Anlaufstellen oder die eingeschränkte Präsenz von Sozialarbeitenden aufgrund der Schutzmaßnahmen erschweren den Zugang zu Unterstützungsangeboten deutlich.
  • Betroffene von häuslicher Gewalt zögerten zudem aus Angst, sich mit COVID-19 anzustecken, Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.
  • Die soziale Distanzierung kann die sozialen Kontakte Einzelner so stark einschränken, dass es gewaltbetroffene Personen ohne die Nähe und Ermutigung von Bezugspersonen nicht wagen, Hilfe zu suchen. Ebenso werden Bezugspersonen, Bekannte oder Außenstehende wie Arbeitgeber:innen oder pädagogische Fachkräfte nicht auf Gewalt aufmerksam und können nicht unterstützend agieren. Andererseits sind Nachbarn und Nachbarinnen wachsamer und präsenter und aufgrund der Ausgangsbeschränkungen als protektiver Faktor zu berücksichtigen.15

Empfehlungen zur Bekämpfung und besseren Erkennung von häuslicher Gewalt während der Pandemie

Die Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus im Frühjahr 2020 rückten auch das Thema der häuslichen Gewalt vermehrt in die öffentliche und polizeiliche Aufmerksamkeit. In den Medien, von der Politik und von NGOs wurde mehrheitlich berichtet, dass unter den Corona-Bedingungen vor allem Frauen und Kinder verstärkt Gewalt erfahren würden. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) hatte Forderungen an die EU und ihre Mitgliedstaaten unterstützt, die COVID 19-Pandemie als Gelegenheit zu nutzen, ihre Bemühungen zum Schutz der Frauenrechte zu verstärken.16

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die UN-Frauen unterstrichen die Bedeutung der Datenerhebung während der COVID-19-Pandemie. Sie sei ein entscheidendes Instrument, um nachteilige Auswirkungen auf gewaltbetroffene Frauen und Mädchen wahrzunehmen und Präventionsstrategien für künftige Krisen zu entwickeln.17,18 Für die Zukunft sei es von entscheidender Bedeutung, dass die Forschung kurz- und längerfristige politische und praktische Antworten liefert.

Folgende Empfehlungen wurden formuliert:

  • Strafverfolgungsbehörden müssen sicherstellen, dass Vorfälle häuslicher Gewalt hohe Priorität erhalten und dass die im Zusammenhang mit COVID-19 auftretenden Gewaltmanifestationen bekämpft werden.
  • Der Gesundheitssektor muss den Betroffenen von häuslicher Gewalt stets den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit gewährleisten.
  • Unterstützungseinrichtungen des sozialen Sektors sollten verstärkt Online-Krisenangebote wie Hotlines und Chats ausbauen. Notfallbetreuungen/Tagesbetreuungen sollten auf alle Familien ausgeweitet werden – nicht nur auf Elternteile, die in systemrelevanten Berufen tätig sind.
Wie können Betroffene von häuslicher Gewalt während einer Pandemie unterstützt werden?
  • Wenn sich Gewaltbetroffene nicht an die Polizei oder Hilfseinrichtungen wenden wollen, weil sie den staatlichen Institutionen nicht vertrauen oder bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben, kann mit Hilfetelefonen oder -chats der erste Schritt aus der Gewaltsituation getan werden, falls das zu Hause gefahrlos möglich ist. Weitere Hilfe wird dann möglich.
  • Es ist wichtig, dass den betroffenen Personen immer wieder bewusst zu machen, dass die Schuld nie bei ihnen liegt und dass das, was gerade passiert, Unrecht ist. Eine klare Stellungnahme und Verurteilung der Gewalt in den Medien – gerade in Pandemiezeiten – kann helfen, dass die Betroffenen sich weitere Unterstützung suchen.
  • Die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen einer Trennung kann es betroffenen Personen erschweren, sich von ihrem Partner/ihrer Partnerin zu trennen: Manche sind finanziell vom Partner/der Partnerin abhängig, beispielsweise weil sie aufgrund der Pflege von Familienmitgliedern und der Kinderbetreuung nicht mehr in vollem Umfang einer bezahlten Arbeit nachgehen können, oder weil sie im Zuge der COVID-19-Pandemie entlassen wurden.
  • Schriftliche Informationen über Gewalt in Paarbeziehungen und häusliche Gewalt sollten im öffentlichen Raum in Form von Plakaten und Broschüren oder Faltblättern verfügbar sein, die in geschützten Bereichen wie Waschräumen aufgelegt werden (mit entsprechenden Warnungen, sie nicht mit nach Hause zu nehmen, wenn sich dort der/die Täter:in aufhält). Das Anbieten eines QR-Codes, der zu einer Website mit weiteren Informationen führt, kann hier Abhilfe leisten. Die Plakate, Broschüren oder Faltblätter sollten sich an weibliche und männliche Betroffene von häuslicher Gewalt richten und keine Stereotype bedienen. Die Benennung konkreter Ansprechpersonen vor Ort und die Breitstellung von Telefonnummern von Beratungsstellen oder Internetseiten, die (anonyme) Beratung anbieten, können einen Beitrag dazu leisten, dass sich Betroffene von häuslicher Gewalt Hilfe suchen.

7. Modulares Instrument – Integration der Risikobewertung in die Ersthilfe bei häuslicher Gewalt

Lernziele
Die Lernziele dieses modularen Instruments bestehen darin, sich mit dem Prozess der Risikobewertung bei häuslicher Gewalt, den Risiko- und Gefährdungsfaktoren, sowie dem Zweck einer multiprofessionalen Zusammenarbeit beim Risikomanagement vertraut zu machen.

Einführung
Liebe Ersthelfer und Ersthelferinnen, seien Sie hier herzlich willkommen, um etwas über den Prozess der Risikobewertung häuslicher Gewalt in einem multiprofessionellen Kontext zu erfahren!

Dieses modulare Instrument soll verschiedene Risikobewertungsverfahren miteinander verknüpfen und die Identifizierung häuslicher Gewalt bei den wichtigsten Stellen (z.B. Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen, Fachkräfte der Sozialarbeit und des Gesundheitswesens, NRO-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Pädagogen und Pädagoginnen), die mit Opfern/Überlebenden und Tätern und Täterinnen in Kontakt kommen, verbessern. Dieses Instrument stellt die verschiedenen Risikofaktoren und unterschiedlichen Ansätze zur Identifizierung von und Reaktion auf die identifizierten Risiken vor.

Sie können dieses Instrument z.B. als Schulungsmaterial oder als Datenbank verwenden.

Wir stellen die vier Schritte des Risikobewertungsprozesses bei häuslicher Gewalt vor – von der Risikobewertung bis hin zur Nachbereitung.

Im Abschnitt „Lesenswertes“ finden Sie empfehlenswerte Lektüre. Im Abschnitt „Materialien“ finden Sie ausdruckbare Dokumente wie beispielsweise Checklisten. Vergessen Sie nicht, Ihre eigene Checkliste für die Risikobewertung auszudrucken – mit ihr können Sie vielleicht das Leben eines Menschen retten.

Inhalt:
1. Schritt: Identifizierung von Risikofaktoren
2. Schritt: Risikobewertung
3. Schritt: Beschreibung der erforderlichen Maßnahmen
4. Schritt: Nachbereitung
Lesenswertes
Materialien


1. Schritt: Identifizierung von Risikofaktoren

Lernziele
Die Lernziele dieses Schritts bestehen darin, sich mit den Risiko- und Gefährdungsfaktoren häuslicher Gewalt vertraut zu machen und zu verstehen, warum alle Fachkräfte über grundlegende Kenntnisse zur Risikoerkennung verfügen sollten.

Die Risikobewertung ist ein Prozess, der damit beginnt, das Vorhandensein von Risikofaktoren zu ermitteln und die Wahrscheinlichkeit des erneuten Auftretens eines unerwünschten Ereignisses, seiner Folgen und seines Zeitpunkts zu bestimmen.19,20

Das ist Nora. Sie wird uns durch die einzelnen Schritte der Risikobewertung führen.

Lesen Sie sich zunächst den Fall von Nora durch und erfahren Sie anschließend mehr über die Risikoermittlung.

Fallbeispiel: Nora

Nora ist eine 34-jährige Frau mit Migrationshintergrund. Sie lebt seit drei Jahren mit ihren Eltern und Schwestern in Ihrem Land. Nora hat vor zwei Jahren Peter geheiratet. Peter ist der Sohn eines Familienfreundes von Noras Eltern. Noras Familie stammt aus einer patriarchalischen Kultur, in der die Gemeinschaft über dem Individuum steht.

Noras Heirat mit Peter war eine Erleichterung für Noras Familie, denn in ihrer Kultur sollte eine Frau in Noras Alter nicht unverheiratet sein. Doch schon bald nach der Heirat begann Peter ihr tägliches Verhalten zu kontrollieren. Peter lässt Nora weder ihre Freunde sehen noch darf sie irgendwo ohne ihn hingehen. Ein verpflichtender Sprachkurs ist der einzige Ort, an den Nora allein hin gehen kann.

Peter nimmt Nora ihre Kreditkarte weg und unter ihrem Namen Kredite auf. Als Nora versucht, sich zu wehren, wird Peter gewalttätig und misshandelt sie. Peter droht damit, Nora in ihr Heimatland zurückzuschicken.

Nora berichtet ihren Eltern von der Situation und bittet sie um Hilfe. Zunächst nehmen die Eltern Peters gewalttätiges Verhalten ernst, doch plötzlich verstirbt Noras Vater. Noras trauernde Mutter ist nicht in der Lage, sich allein gegen Peters Willen zu wehren.

Gleichzeitig streut Peter Gerüchte über Noras unmoralisches Verhalten, um seine gewalttätigen Handlungen vor der Gemeinschaft zu rechtfertigen. Die Gerüchte demütigen Noras Familie. Die Gemeinde setzt Noras Mutter und die Familien ihrer Schwestern unter Druck, ihren Namen reinzuwaschen.

Noras Mutter bittet Nora, bei Peter zu bleiben, um die Situation zu beruhigen, und ihre Schwestern bitten sie, ihre Mutter nicht mehr mit diesem Thema zu belästigen. Nora fühlt sich für die Gewalt und den Ruf ihrer Familie verantwortlich und akzeptiert, dass eine Scheidung von Peter nicht in Frage kommt.

Mit der Zeit wird die Gewalt immer schlimmer und häufiger. Einmal würgt Peter Nora so lange, dass sie das Bewusstsein verliert. Nach der Strangulation beginnt sie, vor allem in Stresssituationen, Probleme mit der Sprache zu entwickeln. Nora fühlt sich isoliert, hilflos und deprimiert.

Peter hat damit gedroht, einige private Bilder von Nora öffentlich zu zeigen, wenn Nora „seinen Ruf als Ehemann ruiniert“. Nora ist verunsichert, da sie mit niemandem – auch nicht mit ihrer Familie – über ihre Gefühle sprechen kann.

Aufgaben
Das war Noras Geschichte. Nehmen Sie sich eine Minute lang Zeit, um über die folgenden Fragen nachzudenken:

(1) Welche Handlungen, Situationen oder Bedingungen gefährden Nora?

(2) Welche der in der Geschichte beschriebenen Situationen halten Sie zwar nicht angenehm für Nora, aber nicht zu ihrem Aufgabenbereich als Ersthelfer oder als Ersthelferin gehörend?

Möglicherweise gibt es einige Risikofaktoren, die außerhalb Ihres beruflichen Aufgabenbereichs liegen. Es ist jedoch wichtig, diese Risikofaktoren dennoch zu identifizieren und zu dokumentieren, um ein umfassendes Verständnis des Gesamtrisikos zu erhalten. Dies ist in der Phase des Risikomanagements notwendig.

Lesen Sie jetzt mehr über die Identifizierung und Dokumentation von Risikofaktoren.

Zu identifizierende Risikofaktoren

Die wichtigsten Risikofaktoren für häusliche Gewalt

Wichtigste Punkte
Möglicherweise gibt es einige Risikofaktoren, die außerhalb Ihres beruflichen Aufgabenbereichs liegen. Es ist jedoch wichtig, diese Risikofaktoren dennoch zu identifizieren und zu dokumentieren, um ein umfassendes Verständnis des Gesamtrisikos zu erhalten. Dies ist in der Phase des Risikomanagements notwendig.

Mehrere Faktoren können auf eine Eskalation häuslicher Gewalt hinweisen. Jeder Ersthelfer und jede Ersthelferin sollten über ausreichende Ausbildung und Kenntnisse verfügen, um die wichtigsten Risikofaktoren zu erkennen. Damit meinen wir Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen, Kriminalbeamte und Kriminalbeamtinnen, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen, Ärzte und Ärztinnen, Erzieher und Erzieherinnen oder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von NROs.

In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Risikofaktoren und ihre Erklärungen aufgeführt.

*) = beim Vergleich von Opfern von Femizid (n = 220) und zufällig identifizierten misshandelten Frauen (n = 343).
*) = beim Vergleich von Opfern von Femizid (n = 220) und zufällig identifizierten misshandelten Frauen (n = 343).

Risikofaktoren, die von jeder Fachkraft überprüft werden sollten

Die in Fällen von häuslicher Gewalt involvierten Behörden sollten sich auf ein gemeinsames Risikoverständnis verständigen. Die Perspektive eines Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin unterscheidet sich von der Perspektive eines Sozialarbeiters bzw. einer Sozialarbeiterin. In der folgenden Tabelle sind Risikofaktoren aufgeführt, die sich auf die verschiedenen Perspektiven der jeweiligen Fachkräfte beziehen.

Faktoren mit hohem Gefährdungspotential für Opfer

Wichtigste Punkte
Die Identifizierung der Faktoren, die ein Opfer gefährden können, hilft den Fachkräften, die entsprechend relevanten Dienste in die Zusammenarbeit einzubeziehen, das Opfer damit ganzheitlich zu unterstützen und die Fähigkeit des Opfers zu stärken, die Sicherheitsmaßnahmen zu befolgen.

Die Faktoren, die sich auf die Gefährdung eines Opfers beziehen häusliche Gewalt zu erleiden, haben mit dem Opfer und seiner Lebensumstände zu tun. Sie können sich z.B. auf die Fähigkeit des Opfers beziehen, den Behörden zu vertrauen, den Täter bzw. die Täterin zu verlassen, oder auf Ausmaß der Abhängigkeit vom Täter bzw. von der Täterin. Dies sind jedoch nicht die einzigen Gründe, warum der Missbrauch stattfindet. Die Täter und Täterinnen können sich beispielsweise auch dafür entscheiden, die Schwachstellen der Opfer auszunutzen oder die Lebenserfahrungen und -umstände einiger Opfer können es schwieriger machen dem Missbrauch zu entkommen. Im Folgenden haben wir diese Faktoren aufgelistet und erläutert, wie sich diese auf die Ressourcen und Lebensumstände des Opfers sowie auf seine Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Fachkräften auswirken können.

Ältere Person

  • Ein Opfer kann von einem gewalttätigen Familienmitglied abhängig sein, oder das Opfer kann die einzige verantwortliche Betreuungsperson für ein gewalttätiges Familienmitglied sein. Das Verlassen des gewalttätigen Familienmitglieds kann daher für das Opfer keine Option sein. Das Opfer ist möglicherweise bereits sozial isoliert.
  • Ein Täter bzw. eine Täterin als Pflegeperson hat möglicherweise ein Burnout.
  • Ältere Menschen schämen sich unter Umständen sehr für die Situation, insbesondere wenn es sich bei dem Täter oder der Täterin um ein erwachsenes Kind handelt.
  • Missbrauch kann in vielen Formen auftreten, z.B. körperlicher, sexueller, emotionaler oder finanzieller Missbrauch, Vernachlässigung, Isolation und Einsamkeit. Achten Sie auch auf Anzeichen für die Verletzung der Würde des Opfers (z.B. unordentliches Erscheinungsbild, verschmutzte Kleidung) oder den Verlust der Entscheidungsfreiheit über alltägliche Angelegenheiten, Anzeichen für unzureichende Pflege (z.B. Druckgeschwüre) oder Über- oder Untermedikation.21

Kind

  • Minderjährige sind fast immer von den Tätern und Täterinnen abhängig.
  • Das Aufwachsen in einem feindseligen Umfeld normalisiert die Gewalterfahrungen, so dass die Opfer ihre Erlebnisse möglicherweise nicht als Gewalt wahrnehmen.
  • Minderjährige denken vielleicht, dass ihre Erfahrungen von Außenstehenden nicht geglaubt werden.
  • Die Muster der Zwangskontrolle, wie Einschränkung, Isolierung und Entzug der persönlichen Freiheit, können schwer von der elterlichen Erziehung und den Schutzmaßnahmen zu unterscheiden sein.
  • Hinweis: In einigen Familien mit Migrationshintergrund oder anderweitig sozial oder religiös stark kontrollierten Familien können Unterschiede zwischen kulturellen Werten, Lebensstilen und Ansichten zu Konflikten zwischen den Minderjährigen und ihren Eltern führen. Kulturell unsensible Kontaktaufnahme oder unüberlegte Maßnahmen der Behörden können das Risiko erhöhen, dass die Eltern das Kind in ihrem Heimatland in ein Internat schicken oder es von Verwandten aufziehen lassen. Dies kann das Risiko von weiblicher Genitalverstümmelung, Kinderheirat sowie Brüchen in der Ausbildung, den sozialen Beziehungen und fehlende Integration erhöhen.

Behinderte Person

  • Behinderte Personen können im Alltag grundlegend vom Täter bzw. von der Täterin abhängig sein und Hilfe beim Bewegen, Essen, Kommunizieren oder bei der Einnahme von Medikamenten benötigen.
  • Die gewalttätigen Familienmitglieder oder Betreuer bzw. Betreuerinnen können unter einem Burnout leiden.
  • Opfer und Überlebende können Schwierigkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen, verstanden oder geglaubt zu werden.
  • Der Täter bzw. die Täterin kann Verletzungen als Unfälle erklären, die durch Bewegungsungeschicklichkeiten verursacht wurden.

Abhängig von dem Täter bzw. von der Täterin

Es gibt verschiedene Formen der Abhängigkeit, z.B. finanzielle und emotionale Abhängigkeit. Auch strukturelle Gründe wie hierarchische Geschlechterbeziehungen oder Leben auf dem Land tragen zu Abhängigkeiten bei; so sind Frauen in ländlichen Gebieten im Vergleich zu Frauen in der Stadt häufiger von Gewalt betroffen, leben aber weiter entfernt von verfügbaren Ressourcen.22

Geflüchtete

Die Häufigkeiten psychischer Störungen wie Angststörungen, PTBS und Depressionen sind in der Flüchtlingsbevölkerung höher als in der Allgemeinbevölkerung. Diese erhöhte Anfälligkeit steht im Zusammenhang mit den Erfahrungen vor der Migration, wie z.B. Belastungen und Traumata.23 Darüber hinaus können Sprachbarrieren oder negative Erfahrungen mit der Polizei und Misstrauen gegenüber Behörden die Opfer davon abhalten, Hilfe zu suchen.

Obdachlose Person

Obdachlosigkeit ist häufig eine Folge von häuslicher Gewalt und erhöht die Verletzlichkeit und Abhängigkeit des Opfers. Die soziale Ausgrenzung kann die Opfer davon abhalten, Hilfe zu suchen.

Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit

Sprachbarrieren, negative oder diskriminierende Erfahrungen mit der Polizei, die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, Rassismuserfahrungen, soziale Ausgrenzung oder die Macht von Parallelgesellschaften können die Opfer davon abhalten, Hilfe zu suchen.

Gehört einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit an

Ein Opfer kann befürchten, vor Familienmitgliedern, Freunden und Freundinnen und Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen „geoutet“ zu werden, wenn es bei der Polizei Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattet. Ein Opfer kann Diskriminierung oder respektlose Behandlung durch die Polizei befürchten.

Starke Angst

Die Angst vor einem misshandelnden Partner bzw. einer misshandelnden Partnerin kann die Fähigkeit von Frauen schwächen, ihre Lebenssituation zu verbessern.24 Eine Atmosphäre der Angst verstärkt wahrscheinlich fehlerhafte Denkmuster, die das Lösen von Problemen behindern und Verleugnung und Vermeidung verstärken.25

Fragen der psychischen Gesundheit

Abgesehen davon, dass eine posttraumatische Belastungsstörung eine Folge von häuslicher Gewalt ist, kann z.B. dies auch ein Risikofaktor für eine erneute Viktimisierung durch Gewalt in Paarbeziehungen sein.26

Familie oder Gemeinschaft rechtfertigt Gewalt aus Gründen der Ehre/Kultur/Religion

Wenn die Familie oder die Gemeinschaft des Opfers Gewalt billigt und rechtfertigt, kann das Opfer extrem verängstigt, isoliert, gezwungen und kontrolliert sein. Das Opfer kann sich machtlos fühlen, Hilfe zu suchen. Für viele Opfer ist es undenkbar, ihre gesamte Gemeinschaft zu verlassen, um ohne Gewalt zu leben, und selbst wenn sie es täten, könnte das Verlassen der Familie oder Gemeinschaft die Gewalt eskalieren lassen.

Leitlinien für die Falldokumentation

Wichtigste Punkte
Die Falldokumentation von häuslicher Gewalt ist ein wichtiges Verfahren. Die Fachkräfte benötigen möglicherweise zuvor dokumentierte Informationen für die dynamische Risikobewertung und das Risikomanagement. Standardisierte Risikobewertungsinstrumente unterstützen die Arbeit der Ersthelfer und Ersthelferinnen bei der Dokumentation des Falles.

Da die Risikobewertung ein dynamischer Prozess ist – oder zumindest sein sollte -, der neu begonnen werden muss, wenn sich die Risikosituation ändert, ist die Falldokumentation der häuslichen Gewalt und ihrer Risikofaktoren ein wichtiges Verfahren. Eine sorgfältige Falldokumentation sollte sicherstellen, dass die Fachkraft früher dokumentierte Informationen findet, um die Risikobewertung zu überarbeiten. Standardisierte Risikobewertungsinstrumente unterstützen die Arbeit der Fachkräfte bei der Dokumentation des Falles. Dennoch sollte die Risikobewertung die Sicherheit des Opfers zu keinem Zeitpunkt gefährden. Daher sollte es klare Protokolle und Sicherheitsbeschränkungen für die Dokumentation der Risikobewertung, des Risikomanagements und bestimmter Risikofaktoren geben. So sollten diese Daten beispielsweise nicht in die Ermittlungsakten aufgenommen werden, die Teil des Gerichtsverfahrens sind: Der Täter bzw. die Täterin sollte keinen Zugang zu den Unterlagen über die Risikobewertung des Opfers haben. Der Datenschutz und das Bewusstsein um die Grenzen der Vertraulichkeit sowie die Zustimmung des Opfers/der Überlebenden zur Weitergabe von Informationen sind zentrale Themen bei der Intervention bei häuslicher Gewalt und Missbrauch.27

In den folgenden Tabellen sind die allgemeinen Leitlinien für die Falldokumentation aufgeführt.


2. Schritt: Risikobewertung

Lernziele
Die Lernziele dieses Schritts bestehen darin, sich mit dem Verfahren zur Risikobewertung häuslicher Gewalt, verschiedenen Instrumenten zur Risikobewertung und Situationen, die das Risiko erhöhen können, vertraut zu machen.

Die Risikobewertung ist eine Phase, in der das Ausmaß des Risikos und was für eine Art von Risiko vorhanden ist, beurteilt werden. Lesen Sie zunächst, wie die Risiken im Fall von Nora bewertet werden. Werfen Sie dann einen Blick auf Risikofaktoren, Risikobewertung und risikoreiche Situationen sowie auf Aspekte eines optimalen Verfahrens und Instrumente zur Risikobewertung, die in Modul 5 beschrieben werden.

Fallbeispiel: Nora

Eines Tages findet Nora die Telefonnummer einer NRO, die Immigrantinnen hilft. Der Telefondienst ist auch in Noras Muttersprache. Nora ruft das Servicetelefon anonym an und bittet um Rechtsberatung darüber, was im Falle einer Scheidung mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung geschieht. Die NRO-Mitarbeiterin befragt Nora zu ihrer Lebenssituation. Nora schildert ihre schwierige Situation und ihre Ängste.

Eines Tages findet Nora die Telefonnummer einer NRO, die Immigrantinnen hilft. Der Telefondienst ist auch in Noras Muttersprache. Nora ruft das Servicetelefon anonym an und bittet um Rechtsberatung darüber, was im Falle einer Scheidung mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung geschieht. Die NRO-Mitarbeiterin befragt Nora zu ihrer Lebenssituation. Nora schildert ihre schwierige Situation und ihre Ängste.

Die NRO-Mitarbeiterin trifft Nora nach dem Sprachkurs in der Schule, da dies der einzige Ort ist, an den Nora allein gehen kann. Mit Noras Einverständnis kontaktiert die NRO-Mitarbeiterin die Polizei und einen zuständigen Sozialdienstmitarbeiter.

In einigen EU-Ländern erlaubt die Gesetzgebung Fachkräften die gemeinsame Nutzung und den Austausch von Informationen für eine umfassendere Risikobewertung, wenn dies zum Schutz eines Kindes oder zur Verhinderung einer Gewalttat erforderlich ist oder wenn das Opfer seine Zustimmung gegeben hat. In anderen EU-Ländern wiederum gibt es keine gesetzliche Unterstützung für den Informationsaustausch zwischen der Polizei, der Sozialarbeit oder dem Gesundheitswesen. Daher reichen die behördenübergreifenden Mechanismen in der EU von der Annahme formeller oder informeller Überweisungsmechanismen bis hin zu multidisziplinären Teams oder Konferenzen, die durch die Gesetzgebung oder die Politik zur Risikobewertung vorgeschrieben sind.

Nach der Istanbul-Konvention sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle zuständigen Behörden eine Bewertung des Risikos der Tötung, des Ernstes der Situation und des Risikos wiederholter Gewaltanwendung vornehmen, um das Risiko zu bewältigen und, falls erforderlich, koordinierte Sicherheit und Unterstützung zu bieten. Deutschland hat die Istanbul-Konvention ebenfalls ratifiziert.

Das nächste Beispiel, wie Noras Fall in den behördenübergreifenden Risikobewertungsprozess einbezogen wird, basiert auf den Anforderungen der Istanbul-Konvention.

Mit dem Einverständnis von Nora nehmen die Polizei, der Sozialarbeiter, der NRO-Mitarbeiterin und eine Vertreterin des Gesundheitswesens an einer Risikobewertungskonferenz teil. Nora hat ihr Einverständnis gegeben, dass die Fachkräfte Informationen über Nora teilen und austauschen können.

Schauen Sie sich die Kästchen an, um zu sehen, welche Art von Informationen durch die Zusammenarbeit mehrerer Stellen gesammelt werden können:

Wenn Nora zu ihrer Situation befragt wird, kann sie uns dies sagen:

Ihre Sprachprobleme traten vor vier Monaten auf, nachdem Peter sie gewürgt hatte.

Sie befürchtet, dass Peter sie töten wird, wenn sie sich von ihm trennt.

Sie befürchtet, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung aufgehoben wird, wenn sie sich trennt; das hat Peter ihr gesagt.

Sie ist besorgt, dass die Polizei ihr nicht glauben wird, da sie eine Immigrantin ist, Peter aber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Peter hat angekündigt, dass er intime Bilder von ihr veröffentlichen wird, wenn sie jemandem von der Gewalt erzählt oder versucht, ihn zu verlassen.

Peter hat gesagt, dass er dafür sorgen wird, dass kein anständiger Mann Nora jemals auch nur ansehen wird, wenn sie sich von Peter trennt.

Die identifizierten Risikofaktoren

Die Instrumente zur Risikobewertung sollen den Ersthelfern und Ersthelferinnen helfen, alle Risikofaktoren zu ermitteln und sich einen vollständigen Überblick über die Situation des Opfers zu verschaffen, um festzustellen, ob es weiterhin Gefahr läuft, ernsthaft geschädigt zu werden, und sie können bei der Entwicklung eines Sicherheitsplans helfen.

Eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Opfer erneut schwere Gewalt erleben wird, unterstützt die Ersthelfer und Ersthelferinnen dabei, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Opfers und zur Prävention künftiger Gewalt zu ergreifen. In unserem Fall Nora haben die Ersthelfer und Ersthelferinnen die folgenden Risikofaktoren und Gefährdungsfaktoren des Opfers ermittelt:

Peter

  • wendet Gewalt häufiger an
  • wendet zunehmend intensivere (schädlichere, verletzendere) Gewalt an

Peter hat

  • Nora gewürgt
  • Zwangskontrolle angewendet
  • körperliche Gewalt angewendet
  • wirtschaftliche, digitale und psychologische Gewalt angewendet
  • frühere Einträge im Strafregister

Nora

  • plant eine Scheidung
  • hat einen Migrationshintergrund

Nora Erfahrungen

  • starke Angst
  • soziale Isolation
  • Fragen der geistigen Gesundheit

Die Gemeinschaft von Nora und Peter rechtfertigt Gewalt durch

  • Ehre

Aufgabe
Um eine konstruktive und reibungslose Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden zu ermöglichen, sollten die Rechtsvorschriften klar sein und jeder Partner und jede Partnerin sollte seine und ihre Aufgaben und Zuständigkeiten kennen.

(1) Wissen Sie, in welchen Situationen Sie Informationen mit anderen Behörden teilen und austauschen dürfen?


3. Schritt: Beschreibung der erforderlichen Maßnahmen

Lernziele
Die Lernziele dieses Schritts bestehen darin, sich mit der Sicherheitsplanung, dem Risikomanagement und der behördenübergreifenden Zusammenarbeit vertraut zu machen.

Die Festlegung der erforderlichen Maßnahmen ist eine Phase, in der die Ersthelfer und Ersthelferinnen in enger Zusammenarbeit Sicherheitsmaßnahmen planen und Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit des Opfers zu gewährleisten. Auch hier lesen Sie zuerst über Noras Fall. Schauen Sie sich dann die Aufgabenliste an, um zu verstehen, warum ein starkes Kooperationsnetz so wichtig ist.

Fallbeispiel: Nora

Eine umfassende Risikobewertung sollte zu einem wirksamen Risikomanagement führen. Schauen Sie sich die folgenden Kästchen an: Die Unterstützung eines Opfers häuslicher Gewalt erfordert manchmal die Hilfe mehrerer verschiedener Stellen. Alle Einrichtungen haben ihre eigene Rolle bei der Unterstützung des Opfers. Es ist wichtig, rechtliche Schritte einzuleiten und Noras Wohlergehen sowie ihre Beziehung zu ihrer Mutter und ihren Schwestern zu unterstützen. Nora braucht die Unterstützung ihrer Familienmitglieder, um eine missbräuchliche Beziehung verlassen zu können.

Warum brauchen wir ein gut funktionierendes Kooperationsnetz?

Wirksame sektor- und behördenübergreifende Maßnahmen setzen voraus, dass die Politik und alle Akteure und Akteurinnen einbezogen werden und verantwortlich sind, d.h. Strafverfolgung, Justiz, Gesundheits-, Sozialfürsorge- und Kinderbetreuungsdienste, Arbeitsstellen, Bildung sowie allgemeine und spezialisierte Dienste für Opfer. Umfassende Untersuchungen und Bewertungen bestehender koordinierter Maßnahmen zeigen auch, wie wichtig es ist, neben den sektoralen Akteuren und Akteurinnen auch unabhängige Anwälte und Anwältinnen für die Rechte der Opfer und andere einschlägige NROs, die im Bereich der Gewalt gegen Frauen und Männer tätig sind, einzubeziehen. Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Gewalt gegen Frauen und Männer sowie die Verbesserung des Informationsaustauschs und der Risikobewertung durch die Entwicklung gemeinsamer Standards, Leitlinien und Protokolle können wesentlich dazu beitragen, wertvolle Ressourcen zu bündeln und eine systematische Zusammenarbeit aufzubauen. Solche Instrumente tragen auch dazu bei, das aktive Engagement aller Beteiligten zu sichern.28

To-do-Listen für Ersthelfer und Ersthelferinnen
Polizei
  • Informieren Sie das Opfer über Notunterkünfte und begleiten Sie ein Opfer bei Bedarf zu einer Unterkunft.
  • Leiten Sie ein Kinderschutzverfahren ein, falls dies noch nicht geschehen ist.
  • Nehmen Sie eine Strafanzeige auf, falls dies noch nicht geschehen ist.
  • Nehmen Sie, mit dem Einverständnis des Opfers, Kontakt mit dem Opferhilfsdienst auf.
  • Dokumentieren Sie die bei der Risikobewertung gewonnenen Informationen und behandeln Sie sie vertraulich.
  • Informieren Sie das Opfer über die Möglichkeit eines Erlasses einer einstweiligen Verfügung.
  • Informieren Sie das Opfer über mögliche Zeitpunkte, zu denen die Polizei den Täter bzw. die Täterin kontaktieren wird.
  • Informieren Sie das Opfer, wenn der Täter bzw. die Täterin aus dem Gewahrsam entlassen wird, wenn der Täter bzw. die Täterin in Gewahrsam genommen wurde*.
  • Erstellen Sie einen Sicherheitsplan für das Opfer.
  • Kümmern Sie sich darum, dass das Opfer bei körperlichen Verletzungen eine medizinische Versorgung erhält, um diese zu behandeln und dokumentieren zu lassen.
  • Leiten Sie das das Opfer, je nach Unterstützungsbedarf, an die Sozialdienste weiter.
  • Stellen Sie sicher, dass alle relevanten NROs zur Teilnahme an der Risikobewertung eingeladen werden.
  • Unterstützen Sie das Opfer beim Schutz seiner persönlichen Daten.
  • Berücksichtigen Sie die Risiken von digital unterstütztem Stalking und Cyberstalking und helfen Sie dem Opfer, seine digitalen Geräte entsprechend zu schützen.
  • Bedenken Sie die Vorteile eines tragbaren Alarmsystems für das Opfer.
  • Unterstützen Sie den Täter bzw. die Täterin bei der Teilnahme an einem Täterprogramm*.

 * = wenn diese Aufgabe nicht von einer anderen Behörde übernommen wird

Sozialarbeit
  • Wenn eine unmittelbare oder auch nur wahrscheinliche Gefahr für die Sicherheit des Klienten oder der Klientin oder von Kindern besteht, sollten Sie die Polizei einschalten.
  • Leiten Sie ein Kinderschutzverfahren ein, falls dies noch nicht geschehen ist.
  • Informieren Sie das Opfer über Notunterkünfte und begleiten Sie es bei Bedarf zu einer Unterkunft.
  • Helfen Sie dem Opfer, finanzielle Probleme zu lösen.
  • Schaffen Sie für eine sichere Unterbringung desOpfers.
  • Unterstützen Sie das Opfer beim Schutz seiner persönlichen Daten.
  • Helfen Sie dem Opfer, sofortige Krisenhilfe und psychosoziale Unterstützung zu erhalten.
Gesundheitswesen
  • Untersuchen Sie den Patienten bzw. die Patientin immer in Abwesenheit seiner Familienangehörigen oder seines/ihres Ehepartners/Ehepartnerin.
  • Helfen Sie dem Opfer, sofortige Krisenhilfe und psychosoziale Unterstützung zu erhalten.
  • Wenn eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit des Patienten oder der Patientin oder von Kindern besteht, sollten Sie die Polizei einschalten.
  • Leiten Sie ein Kinderschutzverfahren ein, falls dies noch nicht geschehen ist.
  • Holen Sie die Zustimmung des Opfers ein, bevor Sie Besucher oder Besucherinnen einlassen.

4. Schritt: Nachbereitung

Lernziele
Die Lernziele dieses Schritts bestehen darin, sich mit dem Zweck der Nachbereitungsphase vertraut zu machen und die Notwendigkeit eines dynamischen Risikobewertungsprozesses zu verstehen.

Die Nachbereitung ist eine Phase, in der der Ersthelfer oder die Ersthelferin regelmäßig mit dem Opfer in Kontakt steht. Lesen Sie zunächst, warum die Nachbereitung wichtig ist, und sehen Sie dann, wie die Nachbereitung in Noras Fall aussieht.

Warum brauchen wir die Nachbereitung als Teil des Risikobewertungsprozesses?

Trotz einer wirksamen Intervention kann es vorkommen, dass ein Täter bzw. eine Täterin weiterhin gewalttätig gegenüber dem Opfer ist und es weiterhin unterdrückt. Es gibt viele Gründe, warum ein Gewaltopfer nicht in der Lage ist, den Täter bzw. die Täterin zu verlassen: z.B. (gegenseitige) Abhängigkeit, Angst oder finanzielle Probleme. In der Regel bedarf es mehrerer Versuche, den Täter bzw. die Täterin zu verlassen, bevor man sich endgültig von ihm bzw. ihr trennt. Manchmal führt eine Trennung zu einer Eskalation der Gewalt. Das Opfer kann versuchen, die Gewalt zu kontrollieren, indem es in der Beziehung bleibt. Das Opfer kann den Täter bzw. die Täterin verlassen, aber der Täter bzw. die Täterin beginnt, das Opfer zu verfolgen und zu belästigen. Umgangsregelungen mit Kindern können als Mittel benutzt werden, um das Opfer weiterhin der Gewalt auszusetzen. Kurz gesagt, die Situation kann sich verschlimmern.

Idealerweise ist die Risikobewertung ein dynamischer Prozess. Die Risikobewertung muss regelmäßig überprüft werden. Wenn die Bedrohung durch Gewalt weiter besteht, muss der Prozess der Risikobewertung von neuem beginnen. Eine wirksame Prävention von Gewalttaten und die Durchbrechung des Gewaltkreislaufs kann mehrere Maßnahmen erfordern.

Fallbeispiel: Nora

Seit Noras erstem Treffen mit einer NRO-Mitarbeiterin ist viel passiert.

Nora wohnt derzeit in einem Frauenhaus. Sie wird von einem Mitarbeiter des Opferhilfsdienstes und einer NRO unterstützt, die sich um gewaltbetroffene Migrantinnen kümmert. Außerdem hat sie regelmäßige Treffen mit einer psychiatrischen Krankenschwester.

Die Polizei hat eine Anzeige wegen Körperverletzung, Verleumdung, Bedrohung und Betrug gegen Peter erstattet. Nora hat eine einstweilige Verfügung gegen Peter erwirkt. Nora hat von ihrem Anwalt erfahren, dass eine Scheidung keine Auswirkungen auf ihren Einwanderungsstatus hat.

Nora hat ein neues Bankkonto und eine neue geheime Telefonnummer. Sie besucht den Sprachkurs in einer anderen Schule. Nora trifft sich jede Woche mit der NRO-Mitarbeiterin. Die NRO-Mitarbeiterin hat den Konflikt zwischen Nora und ihrer Mutter und ihren Schwestern erfolgreich geschlichtet.

Jetzt scheint alles in Ordnung zu sein, oder?

Doch Nora hat Angst. Sie fürchtet sich vor der Möglichkeit, dass Peter sie finden könnte. Die Angst vor dem Tod nimmt ihr Leben in Beschlag.

Als Nora mit Peter zusammenlebte, hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Angst kontrollieren konnte. Sie konnte Peters Erregung spüren und tat immer alles, um eine Explosion zu vermeiden. Sie versuchte Peter zu gefallen und, mit ihm zu reden. Sie spürte, wie sich die Spannung aufbaute, und als die Gewalttätigkeiten begannen, spürte sie Erleichterung: „Bald wird das für einige Wochen vorbei sein. Bald kann ich wieder aufatmen“.

Traumatisierende Erlebnisse lassen Nora an sich selbst zweifeln und sich Vorwürfe machen.

Die NRO-Mitarbeiterin und die psychiatrische Krankenschwester fragen Nora immer wieder nach ihrer Angst, aber sie kann es ihnen nicht sagen. Sie schämt sich zu sehr, ihren Helfern und Helferinnen gegenüber zuzugeben, dass sie trotz aller Hilfe und Unterstützung, die sie erhalten hat, Angst hat. Das Leben mit einem misshandelnden Partner war einfacher, als sie nicht ständig Angst haben musste. Sie kann diese Gedanken niemandem gegenüber offenbaren.

Nora ist noch verwirrter, als sie zufällig einen Freund von Peter trifft. Der Freund erzählt, dass Peter traurig und bestürzt ist. Der Freund sagt, dass Peter sich große Sorgen um Nora gemacht hat und versucht hat, sie zu finden.

„Es geht ihm nicht sehr gut.“

„Bitte ruf ihn an.“

Was könnte in Noras Fall als nächstes passieren? Was, wenn Nora Peter anruft? Wird Peter Nora finden oder wird Nora zu Peter zurückkehren? Was ist, wenn Nora beim nächsten Treffen mit der NRO-Mitarbeiterin von diesem Vorfall erzählt?

Die Überwachung der Situation und die Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen und sicheren Beziehung zu dem Opfer sind äußerst wichtig. Hier offenbart Nora der NRO-Mitarbeiterin, dass sie sich Sorgen um Peters Zustand macht. Dies führt zu einer Diskussion über Noras Ängste und Selbstvorwürfe. Die NRO-Mitarbeiterin beachtet die Mitteilung, dass Peter versucht hat, Nora zu finden.

Sollte sich Noras Situation ändern, würden die Ersthelfer und Ersthelferinnen die Risikobewertung überarbeiten und neue geeignete Maßnahmen ergreifen. Ein tragbares Alarmsystem könnte die Angst, die Nora erlebt, lindern. Es gibt viele Möglichkeiten.

Vielen Dank, dass Sie Noras Geschichte gelesen haben.

Erfahren Sie mehr über die Risikobewertung bei häuslicher Gewalt im Abschnitt „Lesenswertes“. Vergessen Sie nicht, Ihre eigene Checkliste zur Gefährdungsbeurteilung auszudrucken, die Sie im Abschnitt „Materialien“ finden.


Lesenswertes


Materialien


8. Beispiele guter Praxis

Im Rahmen des EU-Projekts IMPRODOVA wurden verschiedene Beispiele guter Praxis der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams in Deutschland identifiziert.

Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.)29

Die 1993 gegründete „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ (im Folgenden: BIG) setzt sich dafür ein, die Lebensbedingungen von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, einschließlich ihrer Kinder, zu verbessern. BIG setzt sich dafür ein, soziale und berufliche Bedingungen im Bereich der Ersthilfe bei häuslicher Gewalt zu schaffen, die die Inzidenz häuslicher Gewalt verringern und den von häuslicher Gewalt Betroffenen besseren Schutz und angemessene Unterstützung bieten. Dazu gehören die Stärkung der Rechte der Opfer und die Gewährleistung, dass misshandelnde Männer für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Nur wenn die Praktiken in allen relevanten Bereichen verbessert werden, hält man dies für möglich und nachhaltig. Um diese Arbeit durchführen zu können, sind daher ein multiprofessionelles, gut vernetztes und aktives Netzwerk und ein kooperativer Ansatz wie der von BIG erforderlich.

BIG umfasst drei Arbeitseinheiten: BIG-Koordination, BIG-Hotline und BIG-Prävention.

Die BIG-Koordination etabliert eine interorganisationale Zusammenarbeit, indem sie alle relevanten Berufsgruppen und gesellschaftlichen Kräfte, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben, einbezieht und effiziente Kooperationsstrukturen für sie schafft.

Die BIG-Koordination konzentriert sich auf die drei Gruppen, die an häuslicher Gewalt beteiligt sind (Opfer, Kinder und Täter bzw. Täterin), analysiert Praktiken oder Lücken, um dann Praktiken zu entwickeln oder zu verbessern, die den Schutz der Opfer verbessern und erhöhen. Ihre Arbeitsmethoden zielen darauf ab, zunächst Schwächen und Lücken in der Praxis durch Rückmeldungen von Opfern und dem Kooperationsnetzwerk zu identifizieren. Die identifizierten Probleme beziehen sich z. B. auf Schwierigkeiten mit Behörden oder in der Zusammenarbeit, harte Verfahren, fehlende Angebote für bestimmte Zielgruppen, Gesetzeslücken usw. Die BIG-Koordination lädt dann die für ein Problem zuständigen Experten und Expertinnen ein, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die im besten Fall in der Praxis umgesetzt werden können.

Das Kooperationsnetzwerk der BIG-Koordination

Die BIG-Koordination verfügt über ein extrem großes und breit gefächertes Kooperations-netzwerk, an dem alle relevanten Akteure und Akteurinnen verschiedener Berufe und Institutionen beteiligt sind.

  • Psychosozialer Sektor: alle Beratungs- und Interventionsstellen, Projekte und Initiativen im Kontext häuslicher Gewalt und verwandter Bereiche, alle Frauenhäuser in Berlin sowie zahlreiche weitere in Deutschland, Asylunterkünfte, Jobcenter und viele mehr
  • Bereich der Kinder- und Jugendhilfe: insbesondere Jugendämter, Kindernotruf, Mädchennotruf und z. B. ein Kindertheater
  • Gesundheitssektor: Krankenhäuser, Traumakliniken, die Berliner Ambulanz zum Schutz vor Gewalt zur Dokumentation der Verletzungen und S.I.G.N.A.L. e.V., eine weitere koordinierende NGO in Berlin, spezialisiert auf Interventionen im Gesundheitssektor bei sexualisierter und häuslicher Gewalt
  • Exekutive: Beamte und Beamtinnen der Polizei Berlin auf verschiedenen Ebenen von der Basis bis zum Hauptsitz
  • Justizsektor: Rechtsanwälte, Bezirks- und Staatsanwälte, Familiengerichte
  • Bildungssektor: Schulen und andere Bildungseinrichtungen, einschließlich Universitäten
  • Politischer Sektor: alle relevanten Senatsverwaltungen sowie die Landeskommission gegen Gewalt, Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Gleichstellungsbeauftragte der Bezirke
Arbeitsmaßnahmen
  • Arbeitsgruppen kommen oft nur für eine ganz bestimmte Frage oder ein ganz bestimmtes Dilemma zusammen. Ein Beispiel für eine solche Praxis ist eine Expertengruppe, die sich mit Risikobewertung und Fallkonferenzen befasst.
  • Im Gegensatz zu den Arbeitsgruppen, die nur übergangsweise gebildet werden, gibt es auch eine Reihe regelmäßiger runder Tische. Ziel ist der Austausch von Informationen über aktuelle Entwicklungen, Anforderungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit.
Ergebnisse der multiprofessionellen Zusammenarbeit
  • Das Gewaltschutzgesetz (2002) geht auf eine Initiative der BIG-Koordination zurück.
  • Die Berliner Definition häuslicher Gewalt (2001) ist seit fast zwei Jahrzehnten gültig.
  • Das Vorgehen der Polizei bei häuslicher Gewalt beinhaltet einen proaktiven Ansatz. Dieser ist auch in den polizeilichen Qualitätsstandards verankert. Damit soll den Opfern der Zugang zu geeigneten Unterstützungsangeboten erleichtert werden: Mit dem Einverständnis des Opfers gibt die Polizei Berlin die Kontaktdaten an die BIG-Hotline weiter und ein Berater bzw. eine Beraterin nimmt innerhalb kurzer Zeit telefonisch Kontakt mit dem Opfer auf.
  • Gerade im Bereich der Aus- und Fortbildung ist durch die BIG-Koordination, die auch Schulungs- und Informationsveranstaltungen anbietet, viel erreicht worden. Das ist wichtig – schließlich ist die Weiterbildung eine wirksame Maßnahme, um die erzielten Ergebnisse in der Praxis zu festigen.
HAIP-Netzwerk (Hannoveraner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt)30

Das HAIP-Netzwerk wurde 1997 vom „Runden Tisch gegen Männergewalt in der Familie“ (gegründet 1992) entwickelt und als Versuch, die Arbeit gegen häusliche Gewalt zu strukturieren, ins Leben gerufen. Es arbeitet seitdem erfolgreich als interdisziplinär vernetztes Programm.

Ziele des HAIP
  • Den von häuslicher Gewalt Betroffenen umfassenden Schutz, Hilfe und Unterstützung bieten
  • Den Täter bzw. die Täterin zur Rechenschaft und zur Verantwortung ziehen und eine Verhaltensänderung erreichen
  • Häusliche Gewalt durch eine vernünftig vernetzte Intervention aller Beteiligten verringern und eine nachhaltige, langfristige Unterstützung, Beratung und Intervention sicherstellen
  • Prävention, Information und Öffentlichkeitsarbeit fördern
  • Öffentlich Stellung gegen häusliche Gewalt und für Geschlechtergerechtigkeit beziehen und eine an gesellschaftlichen Entwicklungen und Notwendigkeiten orientierte Arbeit leisten
  • Insgesamt strebt HAIP im Kampf gegen häusliche Gewalt eine proaktive, schnelle Reaktion gegenüber Opfern und Tätern bzw. Täterinnen von häuslicher Gewalt an.
Runder Tisch

Das größte Gremium ist der „Runde Tisch“, der zweimal im Jahr zusammenkommt. Mitglieder und HAIP-Ausschüsse informieren sich gegenseitig über ihre Arbeit und Aktivitäten, die entsprechend dem Zweck des „Runden Tisches“ durchgeführt werden. Sie treffen Entscheidungen über die Arbeit von HAIP, einschließlich Entscheidungen, die in die Politik gehen, entwickeln Meinungen zu aktuellen Themen und verteilen dementsprechende Arbeitsaufträge an die HAIP-Ausschüsse. Dazu gehören etwa 40 verschiedene Institutionen, darunter Frauenschutzhäuser, das Jugendamt, das Amt für Chancengleichheit, das medizinische Netzwerk, verschiedene Beratungsstellen, Staatsanwält/innen, Richter/innen, Polizei und Vertreter/innen aller politischen Fraktionen im Stadtrat.

Bausteine

Das Zentrum oder Herzstück des HAIP ist der Ausschuss, der sich mit konkreten Fällen befasst: die elf Bausteine. Sie arbeiten unabhängig und führen z. B. Fallbesprechungen insbesondere bei Fällen mit hoher Risikobewertung durch. Zusätzlich werden dort Aufträge und Themen des „Runden Tisches“ sowie eigene Fragen, Falldarstellungen etc. bearbeitet. Darüber hinaus beteiligen sich die Bausteine an der Öffentlichkeitsarbeit von HAIP und organisieren Fachkurse, Vorträge, Schulungen und Seminare.

Die elf Bausteine sind:

  • Koordinationsstelle „BISS“,
  • Schutzhaus für Frauen und Kinder,
  • Staatsanwaltschaft Hannover,
  • Polizei Hannover,
  • Jugendamt „Waage e.V.“ (Beratung bei Täter-Opfer-Vereinbarungen),
  • Männerbüro Hannover e.V.,
  • Empowerment-Stelle („Bestärkungsstelle“, Beratung für weibliche Opfer),
  • „SUANA“ (Beratung für Migrantinnen),
  • leitende/r Direktor/in des HAIP-Büros,
  • Gleichstellungsbeauftragte/r.

Quellen

  1. https://www.improdova.eu/pdf/IMPRODOVA_D2.4_Gaps_and_Bridges_of_Intra-_and_Interagency_Cooperation.pdf?m=1585673383& ↩︎
  2. https://www.improdova.eu/pdf/IMPRODOVA_D2.4_Gaps_and_Bridges_of_Intra-_and_Interagency_Cooperation.pdf?m=1585673383& ↩︎
  3. Kropp, P. R. (2004). Some Questions Regarding Spousal Assault Risk Assessment. Violence Against Women, 10(6), 676–697. https://doi.org/10.1177/1077801204265019 ↩︎
  4. Svalin, K. & Levander, S. (2019). The Predictive Validity of Intimate Partner Violence Risk Assessments Conducted by Practitioners in Different Settings—a Review of the Literature. Journal of Police and Criminal Psychology. 35. https://doi.org/10.1007/s11896-019-09343-4 ↩︎
  5. Mann, L., & Tosun, Z. (2020, October 23). ASSESSING AND MANAGING RISKS IN CASES OF VIOLENCE AGAINST WOMEN AND DOMESTIC VIOLENCE. Council of Europe, p. 9. ↩︎
  6. EIGE “Risk assessment and risk management – Principle 4: Adopting an intersectional approach”, accessed 06.02.2024. https://eige.europa.eu/gender-based-violence/risk-assessment-risk-management/principle-4-adopting-intersectional-approach ↩︎
  7. https://www.improdova.eu/pdf/IMPRODOVA_D2.3_Risk_Assessment_Tools_and_Case_Documentation_of_Frontline_Responders.pdf?m=1585673380& ↩︎
  8. Campbell, J. C., Webster, D. W., & Glass, N. (2009). The Danger Assessment: Validation of a Lethality Risk Assessment Instrument for Intimate Partner Femicide. Journal of Interpersonal Violence, 24(4), 653-674. https://doi.org/10.1177/0886260508317180. ↩︎
  9. https://www.dangerassessment.org/About.aspx ↩︎
  10. Hilton, N. Z., Harris, G. T., Rice, M. E., Houghton, R., & Eke, A. W. (2008). An indepth actuarial risk assessment for wife assault recidivism: The Domestic Violence Risk Appraisal Guide. Law and Human Behavior, 32, 150-163. doi:10.1007/s10979-007-9088-6. ↩︎
  11. https://books.google.co.uk/books?id=p1JoYbAAN7QC&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false ↩︎
  12. https://safelives.org.uk/practice-support/resources-identifying-risk-victims-face ↩︎
  13. For more details see: https://www.theduluthmodel.org/ ↩︎
  14. https://www.dyrias.com/en/ ↩︎
  15. Kersten, J., Burman, M., Houtsonen, J., Herbinger, P., & Leonhardmair, N. (Eds.). (2023). Domestic Violence and COVID-19: The 2020 Lockdown in the European Union. Springer. ↩︎
  16. https://eige.europa.eu/printpdf/news/eu-rights-and-equality-agency-heads-lets-step-our-efforts-end-domestic-violence ↩︎
  17. https://www.unwomen.de/aktuelles/corona-eine-krise-der-frauen.html ↩︎
  18. https://www.unwomen.de/fileadmin/user_upload/Corona/gender-equality-in-the-wake-of-covid-19-en.pdf ↩︎
  19. Australian Institute of Health and Welfare (2015). Screening for domestic violence during pregnancy: options for future reporting in the National Perinatal Data Collection. Cat. no. PER 71. Canberra: AIHW. Retrieved from: www.aihw.gov.au/getmedia/62dfd6f0-a69a-4806-bf13-bf86a3c99583/19298.pdf.aspx?inline=true ↩︎
  20. Braaf, R., & Sneddon, C. (2007). Family Law Act Reform: the potential for screening and risk assessment for family violence – Issues paper 12. ↩︎
  21. WHO (2020). World Health Organisation. Elder abuse. [Referred 21st of April 2021.] Retrieved from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/elder-abuse ↩︎
  22. Peek-Asa, C., Wallis, A., Harland, K., Beyer, K., Dickey, P., & Saftlas, A. (2011). Rural disparity in domestic violence prevalence and access to resources. Journal of women’s health (2002), 20(11), 1743–1749. https://doi.org/10.1089/jwh.2011.2891 ↩︎
  23. Hameed, S., Sadiq, A., & Din, A. U. (2018). The Increased Vulnerability of Refugee Population to Mental Health Disorders. Kansas journal of medicine, 11(1), 1–12. ↩︎
  24. Sabri, B., Stockman, J. K., Campbell, J. C., O’Brien, S., Campbell, D., Callwood, G. B., Bertrand, D., Sutton, L. W., & Hart-Hyndman, G. (2014). Factors associated with increased risk for lethal violence in intimate partner relationships among ethnically diverse black women. Violence and victims29(5), 719–741. https://doi.org/10.1891/0886-6708.VV-D-13-00018 ↩︎
  25. Calvete E., Susana C. & Este’Vez, A. (2007.) Cognitive and coping mechanisms in the interplay between intimate partner violence and depression. Anxiety, Stress, Coping. 2007;24(4):369–382. ↩︎
  26. Kuijpers, K., van der Knaap, L. & Winkel F. (2012). PTSD symptoms as risk factors for intimate partner violence revictimization and the mediating role of victims’ violent behavior. J Trauma Stress. 2012 Apr;25(2):179-86. doi: 10.1002/jts.21676. PMID: 22522732. ↩︎
  27. Albuquerque, M., Basinskaite, D., Medina Martins, M., Mira, R., Pautasso, E., Polzin, I., Satke, M., Shearman de Madeco, M., Alberta Silva, M., Sliackiene A., Manuel Soares, M., Viegas, P. & Wiemann, S. (2013). E-MARIA: European manual for risk assessment. Bupnet, Göttingen. Retrieved from: https://e-maria.eu/wp-content/uploads/2011/10/Manual-latest-version-light-colours.pdf ↩︎
  28. Krizsan, A. & Pap, E. Implementing a Comprehensive and Co-ordinated Approach: An assessment of Poland’s response to prevent and combat gender-based violence (Council of Europe, 2016), page 12. https://rm.coe.int/168064ecd8 ↩︎
  29. Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.). https://www.big-berlin.info/ ↩︎
  30. Hannoveraner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt (HAIP). https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen-Kommunen/Die-Verwaltung-der-Landeshauptstadt-Hannover/Gleichstellungsbeauf%C2%ADtragte-der-Landeshauptstadt-Hannover/Wir-f%C3%BCr-die-B%C3%BCrgerinnen-und-B%C3%BCrger/Hannoversches-Interventionsprogramm/%C3%9Cber-HAIP ↩︎