Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mehrerer Einrichtungen ist die wirksamste Art und Weise, auf operativer und strategischer Ebene auf häusliche Gewalt zu reagieren. Aus- und Fortbildung sowie organisatorische Unterstützung und Supervision sind unerlässlich.
Häusliche Gewalt hat schädliche Auswirkungen auf Einzelpersonen, Familien und Beziehungen. Häusliche Gewalt beeinträchtigt Gesundheit und Wohlbefinden von Erwachsenen und Kindern – unabhängig davon, ob sie häusliche Gewalt beobachten oder selbst davon betroffen sind. Sie macht weitere Gesundheits- und Sozialdienstleistungen erforderlich. Alle diese Organisationen und Behörden behandeln die gleichen Probleme auf unterschiedliche Weise, mit verschiedenen Maßnahmen und Ergebnissen.
Um eine erfolgreiche Kooperation zu gewährleisten, müssen Prinzipien entwickelt und vereinbart werden, auf die sich alle Beteiligten einigen können. Die unten aufgeführten Punkte können Fachleuten und Organisationen dabei helfen, Grundsätze für eine funktionierende Zusammenarbeit zu etablieren.
Verstehen, dass ohne wirksame Prävention und frühzeitige Intervention häusliche Gewalt oft eskaliert. Deshalb ist es wichtig, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Erwachsene und Kinder als Betroffene von häuslicher Gewalt möglichst rasch zu erkennen und zu unterstützen.
Bei möglichen Interventionen immer die Sicherheit der Betroffenen und ihrer Kinder priorisieren.
Risikosituationen zu erkennen: In bestimmten Situationen (z. B. Trennung, Hilfesuche, Schwangerschaft) sind Betroffene von Partnergewalt besonders gefährdet.
Vertraulichkeit und Privatsphäre respektieren, wo immer möglich; die Risiken verstehen, die mit dem Informationsaustausch im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt verbunden sind.
Gewährleisten, dass Gewaltbetroffene mit Respekt und Würde behandelt werden, indem man ihnen zuhört, ihren Berichten Glauben schenkt und ihnen versichert, dass sie niemals selbst schuld an der Gewalt sind.
Ermächtigen Sie Betroffene, gut informierte Entscheidungen für sich selbst zu treffen, wo immer möglich. Treffen Sie keine Entscheidungen für sie ohne ihre Beteiligung.
Bei der ersten Kontaktaufnahme mit den anderen eingebundenen Einrichtungen die informierte Zustimmung des/der Betroffenen einholen, um sicherzustellen, dass Informationen zwischen allen Akteuren bei Bedarf ohne Verzögerung ausgetauscht werden können.
Informationen über Patient:innen in der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung unterliegen der Schweigepflicht. Es ist wichtig zu wissen, wann Sie die interne und externe Schweigepflicht brechen dürfen bzw. müssen.
Alle Vorfälle häuslicher Gewalt sollten erfasst, analysiert und regelmäßig in anonymisierter Form mit den Verantwortlichen der kooperierenden Einrichtungen geteilt werden.
Gemeinsame Richtlinien und Verfahren für den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Organisationen entwickeln.
Sicherstellen, dass alle Einrichtungen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Betroffenen eingehen. Dabei sind zu berücksichtigen: Alter, Geschlecht, Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Behinderung oder andere Merkmale. Erkennen, dass solche Unterschiede nicht als Entschuldigung oder Rechtfertigung für häusliche Gewalt oder andere schädliche Praktiken dienen dürfen.
Ermutigen Sie die Zusammenarbeit mit Täter:inneneinrichtungen, um Risiken auf multiprofessioneller Basis zu bewerten und neue Gewalttaten zu verhindern.
Herausforderungen der einrichtungsübergreifenden Zusammenarbeit2
Grundsätzlich haben verschiedene Einrichtungen unterschiedliche organisatorische Aufgaben, Visionen, Werte, Ziele und Absichten. Sie können auch unterschiedliche Regeln, Vorschriften und Arbeitsmechanismen haben. Dies kann eine effektive Zusammenarbeit erschweren.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Unterschiede in den Definitionen und Bezeichnungen, die verwendet werden, um sich auf gewaltbetroffene Personen zu beziehen: im Strafrechtssystem ist von Opfern die Rede, Schutzeinrichtungen für Frauen sprechen gelegentlich von „Überlebenden“, im Gesundheitssystem ist die Rede von „Patientinnen und Patienten“. In der Arbeit mit Täter:innen wird ebenfalls der Opferbegriff im strafrechtlichen Sinne verwendet, es kann sich aber auch allgemein um „Klienten und Klientinnen“ handeln.
Die von verschiedenen Behörden und Einrichtungen gesammelten Daten sind im Regelfall nicht vergleichbar: aufgrund von Unterschieden in der Art der Daten, in deren Erfassung oder in der Datenspeicherung. Es kann auch Unterschiede im Verständnis dessen geben, was häusliche Gewalt ausmacht und was ihre Auswirkungen sind. Eine hohe Personalfluktuation ist ebenfalls ein Hindernis und beeinträchtigt die Kommunikation.
Einrichtungen kommunizieren nicht immer miteinander oder dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Informationen austauschen. Folglich müssen von Gewalt betroffene Personen sämtliche Erfahrungen, einschließlich der Einzelheiten von erlebtem Missbrauch, wiederholt schildern. Die Erinnerung an das Erlebte kann für Betroffene traumatisch sein und sie folglich davon abhalten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Wie kann man von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen helfen?
Der folgende Aufklärungsfilm des WEISSEN RINGS erklärt, wie sie Personen unterstützen können, die sexualisierter Gewalt erleben oder erlebt haben, wenn sie den Täter oder die Täterin verlassen möchten.
2. Risikobewertung
Die Risikobewertung ist ein wichtiger Baustein der Prävention von häuslicher Gewalt.3 Ihr Ziel ist es, weitere Gewalttaten zu verhindern, indem das Rückfallrisiko des Täters/der Täterin4, Umstände, die das Gewaltrisiko erhöhen können, und die Gefährdungsfaktoren für die Gewaltbetroffenen sowie die Umsetzung von Schutzmaßnahmen ermittelt werden.
Eine Risikobewertung ist für die Sicherheitsplanung und für das Management des vorhandenen Risikos erforderlich. Das sind die wichtigsten Punkte:
Es ist wichtig, Betroffenen dabei zu helfen ihre gegenwärtige und zukünftige Sicherheit sowie die ihrer Kinder einzuschätzen.
Betroffenen von häuslicher Gewalt wollen sich oft nicht sofort an spezialisierte Einrichtungen oder die Polizei wenden. Daher ist es wichtig, dass medizinisches Fachpersonal über Wissen zur Risikobewertung ebenso wie zum Umgang mit Gewaltbetroffenen und deren Unterstützung verfügt. Es ist jedoch nicht notwendig, eine umfassende Risikobewertung durchzuführen.
Eine umfassende Risikobewertung beinhaltet das Sammeln sachdienlicher Informationen über das häusliche Umfeld, das Erfragen der Risikowahrnehmung des Gewaltbetroffenen und eine professionelle Einschätzung der aktuellen Risikofaktoren.5 Dies wird in der Regel von Opferschutzeinrichtungen (oder der Polizei) durchgeführt.
Eine Risikobewertung und ein klarer Ablauf der Überweisung von verletzten Patient:innen zu weiteren Maßnahmen nach einem Aufenthalt in der Notaufnahme sind erforderlich. Von häuslicher Gewalt zu erfahren ist mit Melde-, Mitteilungs- und Anzeigepflichten verbunden, die je nach Berufsgruppe unterschiedlich sind.
Dies betrifft die Melde- und Mitteilungspflichten von pädagogischen und psychosozialen Berufsgruppen bei Verdacht auf unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung und bei Kindeswohlgefährdung.
Auch für medizinische Berufe gelten Melde- und Anzeigepflichten, die in den jeweiligen Berufsgesetzen geregelt sind.
Darauf sollten Sie achten:
Verfolgen Sie einen opferzentrierten Ansatz.
Verfolgen Sie einen geschlechtersensiblen Ansatz.
Verfolgen Sie einen intersektionalen Ansatz: Bei der Ermittlung der individuellen Sicherheitsbedürfnisse der von Gewalt betroffen Personen werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls berücksichtigt, einschließlich des Geschlechts und der Geschlechtsidentität von Betroffenen, der ethnischen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Ausrichtung, einer Behinderung, des Aufenthaltsstatus, Sprachbarrieren, Beziehung zum Täter/der Täterin oder der Abhängigkeit von ihm/ihr und früherer Straftaten. 6
Es wird dringend empfohlen, ein standardisiertes Instrument für die Risikobewertung zu verwenden, anstatt sich auf das „Bauchgefühl“ zu verlassen. Es gibt unterschiedliche standardisierte Instrumente, welche von den Gewaltschutzzentren, der Polizei und teilweise in Krankenhäusern genutzt werden.
Hier folgt eine Darstellung der international am häufigsten eingesetzten Instrumente. Sie wurden grundsätzlich für die Konstellation weibliches Opfer – männlicher Täter entwickelt, vereinzelt erfolgten später Adaptierungen für lesbische Beziehungen (DA) bzw. Beziehungen zwischen LGBTIQ+-Personen (DASH).
Damit kann der Grad der Gefahr bestimmt werden, dass eine gewaltbetroffene Frau von ihrem Partner getötet wird.
Das Instrument besteht aus zwei Teilen: einem Kalender und einem 20-Punkte-Bewertungsinstrument. Der Kalender hilft bei der zeitlichen Beurteilung der Schwere und Häufigkeit der Misshandlungen im vergangenen Jahr. Der Kalenderteil wurde konzipiert, um das Bewusstsein des Betroffenen zu schärfen und das Leugnen und Bagatellisieren von Gewalt zu verringern, zumal die Verwendung eines Kalenders das Erinnerungsvermögen in anderen Situationen erhöht.
Das Instrument, bestehend aus 20 Fragen, verwendet ein gewichtetes System zur Bewertung von Ja/Nein-Antworten auf abgefragte Risikofaktoren im Zusammenhang mit Tötungsdelikten an Intimpartnerinnen. Zu diesen Risikofaktoren gehören frühere Morddrohungen, der Beschäftigungsstatus des Partners und dessen Zugang zu einer Waffe.
Leitfaden zur Risikobewertung bei häuslicher Gewalt (DVRAG)10
Der Leitfaden zur Risikobewertung bei häuslicher Gewalt (Domestic Violence Risk Appraisal Guide, DVRAG) enthält die gleichen Punkte wie die Risikobewertung bei häuslicher Gewalt in Ontario (Ontario Domestic Assault Risk Assessment, ODARA), berücksichtigt aber auch die Ergebnisse der überarbeiteten Psychopathie-Checkliste (PCL-R). Der DVRAG ist ein versicherungsmathematisches Instrument mit 14 Fragen, mit dem die Wahrscheinlichkeit von Partnergewalt gegen eine weibliche Partnerin bewertet wird. Beide Instrumente können die Geschwindigkeit und Anzahl erneuter Übergriffe und die Schwere der dadurch verursachten Verletzungen vorhersagen.11
Der DVRAG setzt Zugang zu vertiefenden Informationen sowie Wissen um spezifische Prognosemethodiken voraus.
DASH steht für häusliche Gewalt, Stalking und „Ehre“-basierte Gewalt. Das Risikobewertungsinstrument war das Ergebnis der Dokumentation von 47 Tötungsdelikten in Beziehungen und in der Familie sowie der Katalogisierung der wichtigsten Risikovariablen zur Entwicklung des CAADA – DASH-Risikomodells. Zweck der DASH-Risiko-Checkliste ist es, Praktiker:innen, die mit erwachsenen Betroffenen von häuslicher Gewalt arbeiten, ein konsistentes und einfaches Instrument an die Hand zu geben.
Das Domestic Abuse Intervention Program (DAIP) in Duluth, Minnesota, USA, hat 26 Fragen entwickelt, um die Gefährlichkeit eines Täters einzuschätzen. Das Modell von Duluth betont die Bedeutung einer institutionenübergreifenden Zusammenarbeit und einer koordinierten Reaktion auf Gewalt.
DyRiAS steht für Dynamisches Risiko Analyse System. Seit Januar 2012 wird das DyRiAS-Intimpartner in Deutschland, Österreich und der Schweiz verwendet. Das Instrument misst das Risiko für schwere Gewalttaten gegen die Intimpartnerin. In einer eigenen Skala wird zusätzlich das Risiko für leichte bis mittelschwere körperliche Gewalt erfasst. DyRiAS-Intimpartner eignet sich ausschließlich für Gewalt in heterosexuellen Beziehungen, ausgehend vom männlichen (ehemaligen) Partner. Dabei ist die Dauer der aktuellen oder früheren Beziehung unwesentlich und kann von einer kurzen bis hin zu einer langjährigen Beziehung reichen. Insgesamt umfasst DyRiAS-Intimpartner 39 Items.
Bitte beachten Sie, dass die meisten Risikobewertungen die Aspekte Geschlecht/Gender nicht ausdrücklich berücksichtigen. Oftmals sind in diesen Instrumenten entweder beide Geschlechter in den Checklisten nicht vorgesehen oder es wird ausschließlich die männliche Form verwendet, wenn von Täter:innen die Rede ist. Hier finden Sie weitere Informationen.
3. Zusammenarbeit zwischen Behörden – Fokus auf den Gesundheitssektor
Fallstudie: Auswirkung von häuslicher Gewalt auf Kinder
Gabby heiratete nach einer langen Beziehung Nick und zog kurz darauf auf den Bauernhof ihres Mannes. Das Paar war auf dem Bauernhof glücklich und bald bekamen sie das erste Kind. Während der Schwangerschaft begann sich Nicks Verhalten zu verändern, und als die Tochter der beiden geboren wurde, fühlte sich die Beziehung nicht mehr an wie zuvor. Nick wirkte zurückgezogen und verbrachte viel Zeit allein. Er begann, Gabby an Nicks Vater zu erinnern, der Nick gegenüber immer sehr streng gewesen war.
Nicks Verhalten wurde bedrohlich und kontrollierend, insbesondere in Bezug auf Geld und soziale Kontakte. Er wurde bei Auseinandersetzungen zunehmend aggressiv, schrie oft und warf Gegenstände durch den Raum. Gabby dachte, da er sie nicht körperlich verletze, handle es sich nicht um Gewalt. Nick zeigte kein großes Interesse an der Tochter Jane – außer in der Öffentlichkeit, wo er ein vernarrter und liebevoller Vater zu sein schien.
Jane war im Allgemeinen ein wohlerzogenes Kind, aber Gabby stellte fest, dass sie sie nicht allein bei jemand anderem lassen konnte. Dann weinte Jane und verzweifelte sichtlich. Das war für Gabby belastend und bedeutete auch, dass ihre sozialen Aktivitäten weiter eingeschränkt wurden. Jane brauchte lange Zeit, um zu krabbeln, zu gehen und zu sprechen. Ihr Schlafmuster war unregelmäßig und Gabby schlief nachts oft nicht durch, selbst als Jane über 12 Monate alt war. Als Jane zu sprechen begann, entwickelte sie ein Stottern, das ihre Sprachentwicklung weiter behinderte. Gabby machte sich große Sorgen um Jane. Ihr Hausarzt sagte ihr, dass das passieren könne und normal sei und dass sie, wenn die Sprachprobleme fortbestünden, Jane jederzeit zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Spezialisten schicken könne.
Nach einigen Jahren wurde Nicks Verhalten für Gabby inakzeptabel. Während der Auseinandersetzungen nahm er nun oft das Gewehr, das er für die Jagd gekauft hatte, in die Hand. Gabby empfand dies als sehr bedrohlich. Immer häufiger wurde Gabby von Gegenständen, die Nick warf, getroffen. Sie hatte zunehmend Angst um ihre Tochter. Gabby beschloss, Nick zu verlassen und wandte sich an das Gewaltschutzzentrum. In Begleitung einer der Beraterinnen erstattete sie Anzeige bei der Polizei, die ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen Nick verhängte.
Als Jane keinen Kontakt mehr zu Nick hatte, änderte sich ihr Verhalten. Janes Entwicklung schien sich zu beschleunigen, und Gabby konnte zuerst nicht verstehen, warum. Bei einer Familienberatungsstelle erörterte sie dieses Thema. Ihre Beraterin erklärte, dass die Entwicklungsverzögerung, das Stottern und die Trennungsangst bei Jane daher gerührt hätten, dass sie in einer Gewaltsituation gelebt hatte.
Aufgabe zur Reflexion
(1) Was hätten der Hausarzt besser machen können?
(2) Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um zu überlegen, welche Einrichtungen schon früher hätten beteiligt werden müssen, um Gabby zu unterstützen
Zu den zahlreichen Fachleuten und Einrichtungen, die für die Unterstützung von Betroffenen von häuslicher Gewalt von Bedeutung sein können, gehören unter anderem – aber nicht ausschließlich – Polizei, Gewaltschutzzentren, praktische und Fachärzt:innen, Kinder- und Jugendhilfe, psychosoziale Dienste, Opferschutzeinrichtungen für Betroffene von sexueller Gewalt, Sozialämter, Einrichtungen für Drogenmissbrauch, , Wohnberatungen/Wohnungsämter.
Angehörige der Gesundheitsberufe tragen eine große Verantwortung, wenn es darum geht, Fälle von häuslicher Gewalt zu erkennen und zu bekämpfen.
Fünf Schlüsselthemen tragen dazu bei, Angehörige der Gesundheitsberufe darauf vorzubereiten, wirksam gegen häusliche Gewalt vorzugehen:
1. Engagement zeigen 2. Eine parteiliche Haltung einnehmen 3. Aufbau vertrauensvoller Beziehungen 4. Zusammenarbeit im Team 5. Die Unterstützung durch das Gesundheitssystem
Diese Elemente bilden die Grundlage des CATCH-Modells, das für Engagement, Sich-Einsetzen für Betroffene, Vertrauen, Zusammenarbeit und Unterstützung durch das Gesundheitssystem (im Englischen: Commitment, Advocacy, Trust, Collaboration, Health System Support) steht.
Das CATCH-Modell hilft zu verstehen, wie organisationale Strukturen die Bereitschaft medizinische Fachkräfte von Gewalt Betroffene zu unterstützen prägen. Daraus lassen sich in weiterer Folge Schritte für die Organisationsentwicklung ableiten. Es kann außerdem Trainer:innen dabei unterstützen maßgeschneiderte Angebote für die jeweiligen Einrichtungen und ihre Mitarbeiter:innen zu entwickeln.
Strafverfahren bei häuslicher Gewalt werden mehrere wesentliche Schritte unternommen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.
Häusliche Gewalt tritt auf: Das Verfahren beginnt in der Regel mit einem Vorfall von häuslicher Gewalt im häuslichen oder familiären Umfeld oder in einer (früheren) Beziehung. Dabei kann es sich um verschiedene Formen von Gewalt handeln, darunter körperliche, psychische, sexuelle, digitale oder finanzielle.
Anzeige: Die Anzeige des Vorfalls erfolgt häufig durch die von häuslicher Gewalt betroffene Person oder eine betroffene Partei und dient als formale Einleitung des rechtlichen Verfahrens. Eine Anzeige zu erstatten, kann für die Betroffenen eine schwierige Entscheidung sein, und die Entscheidung keine Anzeige zu erstatten, sollte respektiert werden. Die Anzeige der Gewalt kann jedoch ein wichtiger Schritt sein, um Hilfe zu erhalten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. In einigen europäischen Ländern, z. B. in Frankreich, werden die polizeilichen Ermittlungen auch dann fortgesetzt, wenn der oder die Betroffene keine Anzeige erstatten möchte.
Dokumentation: Bei der Dokumentation werden Aussagen der betroffenen Person, von Zeugen und des mutmaßlichen Täters oder Täterin gesammelt. Zusätzlich zu den mündlichen Aussagen können die Beamten:innen auch physische Beweise wie Fotos von Verletzungen sammeln und alle relevanten Dokumente oder Gegenstände sicherstellen, die vor Gericht als Beweismittel verwendet werden könnten.
Unterstützung: Gleichzeitig wird der von Gewalt betroffenen Person sofortige Unterstützung und Schutz angeboten. Dies kann die medizinische Versorgung von Verletzungen, Beratungsdienste oder Schutzräume umfassen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Sozialarbeiter oder Hilfsorganisationen können eingeschaltet werden, um die emotionalen und praktischen Bedürfnisse der betroffenen Person in dieser schwierigen Zeit zu erfüllen.
Untersuchung: Eine entscheidende Phase des Verfahrens ist die Ermittlungsphase. Die Strafverfolgungsbehörden führen eine gründliche Untersuchung des Falles durch, mit dem Ziel, eine umfassende Akte anzulegen. Dazu gehört die Sammlung zusätzlicher Beweise, die Befragung von Zeugen und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit aller beteiligten Parteien. Ziel ist es, festzustellen, ob genügend Beweise vorliegen, um eine Strafanzeige gegen den mutmaßlichen Täter/die mutmaßliche Täterin zu unterstützen.
Strafverfolgung: Wenn die Ermittlungen genügend Beweise ergeben, wird der Fall schließlich an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall und entscheidet, ob sie Anklage gegen den mutmaßlichen Täter/die mutmaßliche Täterin erhebt. Wenn Anklage erhoben wird, wird das Verfahren fortgesetzt. Dies kann Gerichtsverhandlungen, Gerichtsverfahren und mögliche Strafen für die Beschuldigten beinhalten, um Gerechtigkeit zu gewährleisten, die betroffene Person zu schützen und die Täter:innen für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.
Die folgende Abbildung zeigt die einzelnen Schritte des Strafverfahrens bei häuslicher Gewalt und erklärt, wie sie zusammenhängen. Bitte klicken Sie auf die blauen Kreise, um mehr Informationen zu den einzelnen Schritten zu erhalten. In der Abbildung der Schritte: Klicken Sie bitte auf das Kreuz im entsprechenden Kreis, um mehr Informationen zu erhalten.
5. Strafverfahren bei häuslicher Gewalt in Deutschland
In Deutschland können sich die Betroffenen von häuslicher Gewalt an die Polizei wenden. Die Notrufnummer für die Kontaktaufnahme mit den Strafverfolgungsbehörden lautet 110.
Wie läuft ein Polizeieinsatz ab?
Wenn die Polizei durch einen Notruf gerufen wurde, begibt sich ein Team des Streifendiensts zum Einsatzort. Häufig wissen die Beamt:innen nicht genau, was sie erwartet und auf welche Situation sie vor Ort treffen werden (bspw. ob durch einen Aggressor, eventuell zusätzlich unter Alkoholeinfluss, weiterhin akute Gefahr für beteiligte Personen oder auch sie selbst besteht).
Vor Ort ist es das Ziel des Einsatzes, die Situation zu erfassen und möglichst die Sicherheit aller Beteiligten wiederherzustellen. Dies kann teilweise dadurch erschwert werden, dass bspw. Nachbar:innen die Polizei verständigt haben, die Personen aus der betroffenen Wohnung der Polizei allerdings den Zutritt verwehren können. Es ist Aufgabe der Polizei, in jeder Konstellation die Gefahr einzuschätzen und die Sicherheit der Beteiligten zu gewährleisten. Ebenfalls sind die Beamt:innen gesetzlich verpflichtet, das Opfer über seine Rechte aufzuklären. Hierzu können Sprachmittlung und Unterlagen genutzt werden. Da sowohl die Gefahrensituation als auch der Polizeieinsatz einen stressvollen Moment für Betroffene darstellt, gestaltet sich dieses Informationsgebot häufig sehr herausfordernd.
Vor Ort ist es für die Gewaltbetroffenen möglich, Strafanzeige zu erstatten. Sobald dies geschehen ist, ist die Polizei verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und Beweise zu sichern. Eine Anzeige kann auch im Nachgang erfolgen.
Im Jahr 2001 wurde das Gewaltschutzgesetz eingeführt, welches sich mit dem Opferschutz, dem Umgang mit dem Täter/der Täterin und der damit einhergehenden Polizeiarbeit befasst. Zusätzlich wurde 2021 eine deutschlandweite Definition von häuslicher Gewalt in das Gewaltschutzgesetz aufgenommen, sodass alle Bundesländer den gleichen Rahmen für lokale Gesetze zu häuslicher Gewalt verwenden können. Diese Definition ist jedoch noch nicht zwangsläufig in den einzelnen Landesgesetzen umgesetzt.
Es ist wichtig zu wissen, dass die Strafverfolgung in Deutschland in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, was bedeutet, dass das Verfahren von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein kann. In einigen Bundesländern wird die Räumung des Täters/der Täterin nicht unbedingt von den Verwaltungsgerichten, sondern eher von den örtlichen Polizeibehörden oder den kommunalen Ordnungsämtern durchgeführt, z.B. in Baden-Württemberg. Es ist daher ratsam, sich mit einer lokalen Polizeibehörde in Verbindung zu setzen, um eine Ansprechperson im Falle des Bedarfs zu haben. In vielen Bundesländern gibt es sog. Interventionsstellen für häusliche Gewalt, in denen polizeiliche Sachbearbeitende in Opferschutzfragen arbeiten. Sich ein interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen kann helfen, betroffenen Personen schnell die passende Unterstützung anzubieten.
Was passiert nach einem Polizeieinsatz?
In akuten Gefahrensituationen ist die Polizei befugt, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, die die Entfernung des Täters/der Täterin aus der Wohnung in der akuten Situation und ein Rückkehrverbot für bis zu zehn Tage beinhaltet. Außerdem kann die Polizei ein Kontaktverbot sowie ein Annäherungsverbot aussprechen. Täter:innen, die gegen eine dieser Schutzmaßnahmen verstoßen, können mit einer Geldstrafe belegt werden.
Je nach Region und/oder Polizeidienststelle verteilt die Polizei Flyer (oder auch: Opferschutzblatt) an Betroffene, die Kontaktdaten von relevanten Akteuren der Unterstützungssysteme enthalten, wie z. B. das bundesweite Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen (116 016), Beratungsstellen und Kontaktpersonen für Frauenhäuser. Viele Polizeidienststellen in Deutschland arbeiten mit Opferhilfsdiensten zusammen und fragen die gewaltbetroffene Person ob eine Beratungsstelle proaktiv Kontakt zu ihnen aufnehmen kann, um z.B. Unterstützung bei der Strafanzeige und dem anschließenden Verfahren anzubieten. Die Kosten der Unterbringung in den Frauenhäusern werden für viele Frauen und ihre Kinder über den Bezug von Sozialleistungen gedeckt. Frauen, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, müssen die Kosten selbst tragen.
Das folgende Video zeigt, wie eine Mitarbeiterin eines Opferhilfsdienstes nach einem Polizeieinsatz Kontakt mit der betroffenen Frau aufnimmt:
In dem folgenden Aufklärungsfilm des WEISSEN RINGS wird erklärt, wie der WEISSE RING Betroffenen hilft, wenn diese einen Täter oder eine Täterin verlassen wollen. Der WEISSE RING unterstützt zudem zahlreiche Personen, die unter sexualisierter Gewalt gelitten haben oder leiden.
Sobald die Polizei über eine Straftat informiert wird, ist sie zur Strafverfolgung verpflichtet. Wenn die betroffenen Personen über die Straftat schweigen und nicht aussagen wollen, nimmt die Polizei den Fall auf und stellt ihn ein, wenn die Straftat nicht schwerwiegend genug ist oder wenn keine weiteren Beweise vorliegen. Er kann wieder aufgenommen werden, wenn neue Vorfälle auftreten.
Wenn Kinder Zeugen oder selbst von häuslicher Gewalt betroffen sind, meldet die Polizei den Vorfall in jedem Fall dem Jugendamt. Jede mögliche Schädigung eines Kindes oder eines Jugendlichen wird hierbei als relevant angesehen. Das Jugendamt bietet Eltern und Kindern (rechtliche) Unterstützung, setzt sich für den Kinderschutz ein und hat durch seine Entscheidungsbefugnis eine „Schutzfunktion“ inne. Ihm obliegt die Entscheidung über das weitere Vorgehen zum Wohlergehen des Kindes.
In vielen deutschen Städten gibt es die Möglichkeit, Verletzungen oder andere Anzeichen von Gewalt durch medizinisches Fachpersonal dokumentieren zu lassen. Dieser Service ist kostenlos und soll die Hemmschwelle senken, Fälle von häuslicher Gewalt anzuzeigen. Wenn die betroffene Person beschließt, Strafanzeige zu erstatten, können diese Beweise verwendet werden. Das medizinische Personal ist rechtlich nicht befugt, ohne die Zustimmung der gewaltbetroffenen Person Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben.
Fälle häuslicher Gewalt, die in Deutschland nicht die Kriterien für eine Strafverfolgung erfüllen oder bei denen betroffene Personen keine Strafanzeige erstatten, werden in der Regel als Verwaltungsangelegenheit behandelt. Dieses Verfahren umfasst in der Regel die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und kann je nach Bundesland unterschiedlich sein. Der Täter/die Täterin hat das Recht, gegen den Verwaltungsakt Einspruch zu erheben oder ihn in Revision zu bringen. In diesen Fällen können sich weitere rechtliche Schritte und Verfahren anschließen.
Sobald eine gewaltbetroffene Person Anzeige erstattet hat und die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, leitet die Polizei die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter, die den Inhalt prüft und den Fall entweder einstellt oder zur Verhandlung an das Gericht weiterleitet. Die Betroffenen können auch direkt bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige erstatten, was jedoch kaum geschieht. Je nach individuellem Verlauf (oft aufgrund von Beweisen und der Schwere der Straftat) kann die Staatsanwaltschaft entweder einen Strafbefehl erlassen (ohne Verhandlung vor einem Gericht) oder Anklage erheben. Die Mehrzahl der zur Strafanzeige gebrachten Fälle häuslicher Gewalt werden wegen geringfügiger Beweislast oder fehlender Aussagebereitschaft von Opfer-Zeug:innen eingestellt.
Wenn die Kriterien für eine Strafverfolgung erfüllt sind, sind möglicherweise zwei Gerichte beteiligt: Fälle von Sorgerecht, Unterhalt und Vereinbarungen über gemeinsame Wohnungen werden vor dem Familiengericht verhandelt. Fälle von Gewalt zwischen zwei Partnern vor dem Strafgericht. In der Regel erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Täter oder die Täterin. In Fällen von schwerer Gewalt können die davon betroffenen Personen zusätzlich Anzeige erstatten. Dies ermöglicht eine aktive Rolle während des Gerichtsverfahrens.
Während des Gerichtsverfahrens haben Minderjährige und solche, die von schwerer Gewalt bedroht sind, ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung. In diesen Fällen begleitet dieser kostenlose Dienst die betroffenen Personen während des Prozesses, unterstützt sie und erklärt ihnen den Ablauf des Verfahrens. Auch andere Betroffene können diese Leistung beantragen oder gegen private Bezahlung in Anspruch nehmen. In der Regel sagen der Täter/die Täterin und die von Gewalt betroffene Person persönlich im Gerichtssaal aus, aber sie können beantragen, in einem separaten Raum oder per Video befragt zu werden. Migrant:innen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und deren Aufenthaltsstatus an ihren Ehepartner:innen gebunden ist, können einen besonderen Härtefall im Aufenthaltsrecht beantragen.
Die Strafen für häusliche Gewalt variieren je nach Schwere der Straftat(en) zwischen Geld- und Freiheitsstrafen. Die Täter/die Täterin können dazu verurteilt werden, an Kursen teilzunehmen, um beispielsweise Selbstregulierungsfähigkeiten oder Konfliktlösungsstrategien zu erlernen. Zu berücksichtigen ist, dass alle Möglichkeiten der Täter:innenberatung und Intervention nur erfolgreich sein können, wenn die gewalttätige Person bereit ist, ihr (gewaltvolles) Beziehungsverhalten zu bearbeiten und zu ändern.
In dem folgenden Video wird gezeigt, wie man durch Einzel- und Gruppenberatung Männer dabei unterstützen kann, Gewalt zu überwinden:
6. Exkurs: Häusliche Gewalt in Krisenzeiten- Herausforderungen für behördenübergreifende Zusammenarbeit
Quarantäne, Einschränkungen im täglichen Leben, geschlossene Schulen, Homeoffice, Kurzarbeit, finanzielle Sorgen und Zukunftsängste – all diese Faktoren können zu erhöhtem Stress in Beziehungen und im Familienleben führen. Als Beispiel wird hier an Beobachtungen aus der COVID-19-Phase erinnert:
COVID-19-Pandemie in Deutschland
Am 16. März 2020 wurde in den 16 deutschen Bundesländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten lokale Lockdowns wegen der Risiken der Covid-19-Pandemie von den Behörden angeordnet. Die Durchsetzung der Quarantänevorschriften war hierbei unterschiedlich geregelt. Im April kam jedoch fast ganz Deutschland zum Stillstand: Home-Office und Online-Unterricht wurden eingeführt.
Einige Risikofaktoren für die Zunahme von häuslicher Gewalt waren:
Gesundheitliche und psychische Probleme können sich während eines Lockdowns verstärken, da gesundheitsrelevante Serviceleistungen nur eingeschränkt zugänglich sind. Dies kann sich wiederum negativ auf den Gesundheitszustand Einzelner auswirken, ihr Stressniveau erhöhen und eine Zunahme gewalttätiger Übergriffe begünstigen.
Mit wirtschaftlichrn Unsicherheit oder Arbeitslosigkeit gehen finanzielle Sorgen einher, die destruktive Bewältigungsmechanismen verstärken können.
Gewalt hat immer auch etwas mit Machtanspruch zu tun. In Zeiten von Krise und Isolation und damit verbundener gefühlter Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Machtlosigkeit ist Gewalt vermeintlich ein Mittel, um Kontrolle und Macht zurückzugewinnen.
Sprachbarrieren, Schließungen von Anlaufstellen oder die eingeschränkte Präsenz von Sozialarbeitenden aufgrund der Schutzmaßnahmen erschweren den Zugang zu Unterstützungsangeboten deutlich.
Betroffene von häuslicher Gewalt zögerten zudem aus Angst, sich mit COVID-19 anzustecken, Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Die soziale Distanzierung kann die sozialen Kontakte Einzelner so stark einschränken, dass es gewaltbetroffene Personen ohne die Nähe und Ermutigung von Bezugspersonen nicht wagen, Hilfe zu suchen. Ebenso werden Bezugspersonen, Bekannte oder Außenstehende wie Arbeitgeber:innen oder pädagogische Fachkräfte nicht auf Gewalt aufmerksam und können nicht unterstützend agieren. Andererseits sind Nachbarn und Nachbarinnen wachsamer und präsenter und aufgrund der Ausgangsbeschränkungen als protektiver Faktor zu berücksichtigen. 16
Einige Risikofaktoren für die Zunahme von häuslicher Gewalt waren:
Empfehlungen zur Bekämpfung und besseren Erkennung von häuslicher Gewalt während der Pandemie
Die Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus im Frühjahr 2020 rückten auch das Thema der häuslichen Gewalt vermehrt in die öffentliche und polizeiliche Aufmerksamkeit. In den Medien, von der Politik und von NGOs wurde mehrheitlich berichtet, dass unter den Corona-Bedingungen vor allem Frauen und Kinder verstärkt Gewalt erfahren würden. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) hatte Forderungen an die EU und ihre Mitgliedstaaten unterstützt, die COVID 19-Pandemie als Gelegenheit zu nutzen, ihre Bemühungen zum Schutz der Frauenrechte zu verstärken. 17
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die UN-Frauen unterstrichen die Bedeutung der Datenerhebung während der COVID-19-Pandemie. Sie sei ein entscheidendes Instrument, um nachteilige Auswirkungen auf gewaltbetroffene Frauen und Mädchen wahrzunehmen und Präventionsstrategien für künftige Krisen zu entwickeln. 1819 Für die Zukunft sei es von entscheidender Bedeutung, dass die Forschung kurz- und längerfristige politische und praktische Antworten liefert.
Folgende Empfehlungen wurden formuliert:
Strafverfolgungsbehörden müssen sicherstellen, dass Vorfälle häuslicher Gewalt hohe Priorität erhalten und dass die im Zusammenhang mit COVID-19 auftretenden Gewaltmanifestationen bekämpft werden.
Der Gesundheitssektor muss den Betroffenen von häuslicher Gewalt stets den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit gewährleisten.
Unterstützungseinrichtungen des sozialen Sektors sollten verstärkt Online-Krisenangebote wie Hotlines und Chats ausbauen. Notfallbetreuungen/Tagesbetreuungen sollten auf alle Familien ausgeweitet werden – nicht nur auf Elternteile, die in systemrelevanten Berufen tätig sind.
Wie können Betroffene von häuslicher Gewalt während einer Pandemie unterstützt werden?
Wenn sich Gewaltbetroffene nicht an die Polizei oder Hilfseinrichtungen wenden wollen, weil sie den staatlichen Institutionen nicht vertrauen oder bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben, kann mit Hilfetelefonen oder -chats der erste Schritt aus der Gewaltsituation getan werden, falls das zu Hause gefahrlos möglich ist. Weitere Hilfe wird dann möglich.
Es ist wichtig, dass den betroffenen Personen immer wieder bewusst zu machen, dass die Schuld nie bei ihnen liegt und dass das, was gerade passiert, Unrecht ist. Eine klare Stellungnahme und Verurteilung der Gewalt in den Medien – gerade in Pandemiezeiten – kann helfen, dass die Betroffenen sich weitere Unterstützung suchen.
Die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen einer Trennung kann es betroffenen Personen erschweren, sich von ihrem Partner/ihrer Partnerin zu trennen: Manche sind finanziell vom Partner/der Partnerin abhängig, beispielsweise weil sie aufgrund der Pflege von Familienmitgliedern und der Kinderbetreuung nicht mehr in vollem Umfang einer bezahlten Arbeit nachgehen können, oder weil sie im Zuge der COVID-19-Pandemie entlassen wurden.
Schriftliche Informationen über Gewalt in Paarbeziehungen und häusliche Gewalt sollten im öffentlichen Raum in Form von Plakaten und Broschüren oder Faltblättern verfügbar sein, die in geschützten Bereichen wie Waschräumen aufgelegt werden (mit entsprechenden Warnungen, sie nicht mit nach Hause zu nehmen, wenn sich dort der/die Täter:in aufhält). Das Anbieten eines QR-Codes, der zu einer Website mit weiteren Informationen führt, kann hier Abhilfe leisten. Die Plakate, Broschüren oder Faltblätter sollten sich an weibliche und männliche Betroffene von häuslicher Gewalt richten und keine Stereotype bedienen. Die Benennung konkreter Ansprechpersonen vor Ort und die Breitstellung von Telefonnummern von Beratungsstellen oder Internetseiten, die (anonyme) Beratung anbieten, können einen Beitrag dazu leisten, dass sich Betroffene von häuslicher Gewalt Hilfe suchen.
Svalin, K. & Levander, S. (2019). The Predictive Validity of Intimate Partner Violence Risk Assessments Conducted by Practitioners in Different Settings—a Review of the Literature. Journal of Police and Criminal Psychology. 35. https://doi.org/10.1007/s11896-019-09343-4. ↩︎
Mann, L., & Tosun, Z. (2020, October 23). ASSESSING AND MANAGING RISKS IN CASES OF VIOLENCE AGAINST WOMEN AND DOMESTIC VIOLENCE. Council of Europe, p. 9. ↩︎
Campbell, J. C., Webster, D. W., & Glass, N. (2009). The Danger Assessment: Validation of a Lethality Risk Assessment Instrument for Intimate Partner Femicide. Journal of Interpersonal Violence, 24(4), 653-674. https://doi.org/10.1177/0886260508317180 ↩︎
Hegarty K, McKibbin G, Hameed M, Koziol-McLain J, Feder G, Tarzia L, Hooker L. Health practitioners‘ readiness to address domestic violence and abuse: A qualitative meta-synthesis. PLoS One. 2020 Jun 16;15(6):e0234067. doi: 10.1371/journal.pone.0234067. PMID: 32544160; PMCID: PMC7297351. ↩︎
Kersten, J., Burman, M., Houtsonen, J., Herbinger, P., & Leonhardmair, N. (Eds.). (2023). Domestic Violence and COVID-19: The 2020 Lockdown in the European Union. Springer. ↩︎