Modul 3: Kommunikation mit Opfern in Fällen häuslicher Gewalt

1. Hindernisse beim Ansprechen häuslicher Gewalt
2. Kommunikationsstrategien
3. Screening-Fragen zu häuslicher Gewalt
4. Reaktion auf das Ansprechen häuslicher Gewalt
5. Fragen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt auftreten können
6. Visuelle Kommunikation

Quellen

Einleitung
Willkommen zu Modul 3 über „Kommunikation in Fällen von häuslicher Gewalt“. In diesem Modul befassen wir uns mit den wichtigsten Aspekten der Kommunikation beim Umgang mit häuslicher Gewalt. Das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen dem Ansprechen von häuslicher Gewalt und der Verwendung wirksamer Kommunikationsstrategien ist von entscheidender Bedeutung für eine gute Betreuung von Betroffenen.

Lernziele
+ Verstehen, welche bestehenden Barrieren betroffene Personen davon abhalten, über häusliche Gewalt zu sprechen.
+ Kommunikationsstrategien erlernen, die auf die spezifischen Herausforderungen von Fällen häuslicher Gewalt zugeschnitten sind.
+ Screening-Fragen kennenlernen.
+ Angemessen und einfühlsam reagieren, wenn häusliche Gewalt angesprochen wird, damit sich Betroffene unterstützt und verstanden fühlen.
+ Verstehen und Anwenden von visuellen Kommunikationsmethoden, um die Kommunikation in Fällen häuslicher Gewalt zu verbessern.
+ Verstehen, was als Nächstes zu tun ist, wenn Betroffene häusliche Gewalt ansprechen.


1. Hindernisse beim Ansprechen häuslicher Gewalt

Menschen, die häusliche Gewalt erleben, können auf verschiedene Herausforderungen stoßen, die es ihnen erschweren, offen über ihre Situation zu sprechen.

Bitte klicken Sie auf die Kreuze unter den einzelnen Begriffen in der Abbildung, um weitere Informationen zu einigen gängigen Barrieren zu erhalten:

Bitte denken Sie daran: Betroffene von häuslicher Gewalt haben verschiedene soziale, kulturelle, wirtschaftliche und religiöse Hintergründe sowie unterschiedliches Alter, Geschlecht und sexuelle Orientierung. Es kann sich auch um Menschen mit Behinderung handeln. Es ist wichtig zu verstehen, dass es KEIN „typisches Opfer“ gibt.

Auch wenn hier in einigen Beispielvideos eine Frau in einer heterosexuellen Beziehung als Betroffene von häuslicher Gewalt dargestellt wird, lassen Sie sich bitte nicht täuschen. Auch wenn die Opfer häuslicher Gewalt weit überwiegend Frauen und die Täter:innen zu ca. 90 % Männer sind, können alle betroffen sein; insbesondere Kinder, aber auch Männer, trans und non-binäre Personen,  sowie Personen mit Behinderungen jeden Geschlechts. Das Gleiche gilt für Täter:innen. Für weitere Informationen zu Täter:innen (siehe Modul 1). Außerdem kann häusliche Gewalt zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, Eltern und Kindern, Geschwistern, Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen, Großeltern oder sogar Mitbewohner:innen auftreten.


2. Kommunikationsstrategien

Um eine respekt- und vertrauensvolle Kommunikation über die erlebte Gewalt zu fördern, sollten Sie sicherstellen, dass ein privater Raum ohne Begleitpersonen (Partner:in, Kinder, andere Familienmitglieder oder familienfremde Bezugspersonen) für ein ungestörtes Gespräch zur Verfügung steht. Im Allgemeinen ist es sinnvoll „Ich-Botschaften“ zu verwenden. Diese können gezielt eingesetzt werden, um Ambivalenzen von Betroffenen während eines Gesprächs zu vermindern.

Bitte klicken Sie in der Illustration auf die Kreuze unter den einzelnen Begriffen, um weitere Informationen zu erhalten.


3. Screening-Fragen zu häuslicher Gewalt2

Die Mehrzahl der von Beziehungsgewalt Betroffenen befürwortet das aktive, einfühlsame Nachfragen. Gewaltbetroffene Personen empfinden es oft als Erleichterung, wenn sie nicht selbst auf die Ursachen ihrer Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu sprechen kommen müssen, sondern gezielt und vorsichtig befragt werden.

Wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen bejaht:

  • Bieten Sie eine sichere und ungestörte Umgebung (Vier-Augen-Prinzip). Ermutigen Sie die Person, darüber zu sprechen.
  • Hören Sie offen und unvoreingenommen zu.
  • Vermitteln Sie, dass Sie das Problem ernst nehmen.

Wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen verneint:

  • Achten Sie weiter bewusst auf Anzeichen von Gewalt.
  • Stellen Sie Anzeichen von Fremdeinwirkung fest, benennen Sie diese und stellen Sie spezifische Fragen.
  • Auch wenn die gewaltbetroffene Person Gewalterfahrungen verneint, sollten Sie Ihren Verdacht dokumentieren und Informationen über Hilfsangebote geben.

„Nicht alle Betroffenen möchten über erlebte Gewalt reden. Es bleibt die Entscheidung der oder des Betroffenen, wann für sie oder ihn der geeignete Zeitpunkt für ein Gespräch über die Gewalt ist. Für ein Gespräch mit gehörlosen Betroffenen oder einer Person mit geringen Deutschkenntnissen ziehen Sie eine professionelle Übersetzungsfachkraft hinzu. Vertrauen Sie der betroffenen Person, geben Sie ihr eine ehrliche Rückmeldung über den belastenden Charakter der traumatischen Situation.“3

Lassen Sie in keinem Fall Familienangehörige, Kinder oder Freund:innen übersetzen. Achten Sie auf eine zugewandte und geschützte Gesprächssituation.4


Beginnen Sie mit allgemeinen Fragen

Verwenden Sie Aussagen wie diese, um das Thema Gewalt anzusprechen, bevor Sie direkte Fragen stellen. Offene Fragen sollten gestellt werden, um gewaltbetroffene Personen zum Reden zu ermutigen, anstatt nur Ja oder Nein zu sagen. Vermeiden Sie Fragen, die die von Gewalt betroffenen Personen die Schuld für die Gewalt zuschieben.

„Wie läuft es zu Hause?“

„Wie kommen Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin zurecht?“

„Ich weiß, dass viele Menschen Probleme mit Gewalt durch ihren Partner oder ihre Partnerin haben, mit anderen Familienmitgliedern oder einer anderen Person, mit der sie zusammenleben. Könnte es sein, dass dies auch bei Ihnen der Fall ist?


Fragen in den entsprechenden Kontext stellen

Schaffen Sie Raum für Stille, damit die Person Zeit hat, ihre Gedanken zu sammeln. Zeigen Sie Geduld und bewahren Sie ein ruhiges Auftreten. Signalisieren Sie aufmerksames Zuhören, sei es durch Nicken oder verbale Hinweise wie „Hmm …“. Bestätigen Sie die Emotionen und ermutigen Sie die Betroffenen, ihre Geschichte in einem für sie angenehmen Tempo zu erzählen.

„Da Gewalt in unserer Gesellschaft leider so häufig vorkommt, habe ich begonnen, alle meine Klient:innen danach zu fragen.6

„Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen, die ich allen Klient:innen stelle.7

„Weil häusliche Gewalt so viele Auswirkungen auf die Gesundheit hat, frage ich jetzt alle meine Klient:innen danach.“

Weitere Beispiele

„Aus Erfahrung mit anderen Betroffenen befürchte ich, dass einige Ihrer Probleme darauf zurückzuführen sein könnten, dass Ihnen jemand wehgetan hat. Ist das der Fall?“8

„Ich weiß nicht, ob das auch für Sie zutrifft, aber viele Personen haben mit missbräuchlichen Beziehungen zu tun. Manche haben zu viel Angst oder es ist ihnen unangenehm, es selbst anzusprechen, deshalb habe ich angefangen regelmäßig danach zu fragen.“9

„Gewalt betrifft viele Familien. Dies kann zu körperlichen und emotionalen Problemen bei Ihnen und Ihrem Kind führen. Wir bieten allen, die sich Sorgen über Gewalt in ihrem Zuhause machen, Unterstützung an.10


Stellen Sie direkte Fragen

Hier sind einige einfache und direkte Fragen, mit denen Sie beginnen können. Sie zeigen, dass Sie etwas über die Probleme erfahren wollen. Stellen Sie je nach Antwort weitere Fragen und hören Sie sich die Geschichte an. Wenn die gewaltbetroffene Person eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, bieten Sie Unterstützung an.

Sagen Sie nicht, dass es nicht so schlimm sei, und spielen Sie den Schmerz nicht herunter.

„Haben Sie zu Hause oder in Ihrer Beziehung jemals Angst gehabt?“

„Hat Ihnen Ihr Partner/ihre Partnerin oder eine andere Person zu Hause schon einmal gedroht, Sie zu verletzen oder Ihnen körperlichen Schaden zuzufügen? Wenn ja, wann ist das passiert?“

„Versucht Ihr Partner oder eine andere Person zu Hause Sie zu kontrollieren, z. B. indem er/sie Ihnen kein Geld gibt oder Sie nicht aus dem Haus gehen lässt?“

Weitere Beispiele

„Wurden Sie unter Druck gesetzt oder zu sexuellen Handlungen gezwungen, die Sie nicht wollten?“

„Wurden Sie innerhalb des letzten Jahres von jemandem geschlagen, getreten, gestoßen oder anderweitig verletzt? Wenn ja, von wem?“11

Fühlen Sie sich in Ihrer derzeitigen Beziehung sicher?12


Gibt es einen Partner/eine Partnerin aus einer früheren Beziehung, bei dem oder der Sie sich jetzt unsicher fühlen?
13


Haben Sie sich jemals von einer Ihnen nahestehenden Person kontrolliert oder isoliert gefühlt?“
14


Haben Sie einen sicheren Ort, zu dem Sie im Notfall gehen können?
15

Hat Ihr Partner/ihre Partnerin oder eine andere Person zu Hause jemals versucht, Sie zu kontrollieren, indem er/sie gedroht hat, Ihnen oder Ihrer Familie etwas anzutun?16

„Wurden Sie jemals von einer Ihnen nahestehenden Person geohrfeigt, geschubst oder gestoßen?“

„Warum leben Sie noch mit Ihrem Partner/Partnerin/ Familienmitglied zusammen?“

„Hätten Sie die Situation vermeiden können?“

Sind Sie ein Opfer häuslicher Gewalt?“17

„Sie haben Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“

„Warum haben Sie das getan …?“


4. Reaktion auf das Ansprechen von häuslicher Gewalt

Die Entscheidung, über Erfahrungen mit häuslicher Gewalt zu sprechen, ist eine individuelle Entscheidung, und Betroffene können sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheiden, nicht darüber zu sprechen, z. B. aus Sorge um die eigene Sicherheit, aus Angst vor möglichen Konsequenzen oder aus mangelndem Vertrauen.

Beschreibung: Das Video veranschaulicht, wie man auf das Ansprechen von häuslicher Gewalt reagieren sollte.

Wenn sich jemand öffnet, hören Sie aktiv zu, ohne zu urteilen oder Lösungen anzubieten, und geben Sie den Raum, Bedürfnisse zu äußern. Sie können zwar durch Fragen für Klarheit sorgen, aber konzentrieren Sie sich darauf, dass die Person ihre Gefühle mitteilen kann. Achten Sie sowohl auf ausgesprochene als auch auf unausgesprochene Hinweise und wenden Sie die folgenden Techniken an, um den Gesprächspartner:innen zu helfen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und selbst ein besseres Verständnis zu erzielen.


Befähigung (Empowerment)

Von Gewalt betroffene Personen sollten dabei unterstützt werden, ihre Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen und zu äußern. Lassen Sie Stille zu. Wenn die Person weint, geben Sie ihr ausreichend Zeit sich zu erholen.

Es sollten keine „Warum“-Fragen gestellt werden.

Gibt es irgendetwas, was Sie brauchen oder worüber Sie sich Sorgen machen?

„Warum haben Sie das getan?“

Warum haben Sie Ihre:n Partner:in/Familienangehörigen verärgert?

Versuchen Sie nicht, die Gedanken der Person zu Ende zu denken.18


Vertrauen aufbauen und Einfühlungsvermögen zeigen

Sorgen Sie für Klarheit in der Kommunikation, indem Sie wiederholen, was die von Gewalt betroffene Person gesagt hat, um zu bestätigen, dass Sie das Gesagte verstanden haben. Geben Sie die Emotionen der betroffenen Personen wieder und fassen Sie die von ihr oder ihm geäußerten Bedenken zusammen. Vermeiden Sie Suggestivfragen.

„Sie sagten, dass Sie sehr frustriert sind.“

„Es klingt, als ob Sie darüber verärgert wären…“

„Sie scheinen zu sagen, dass …“

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie das verärgert hat, nicht wahr?

Schauen Sie nicht auf die Uhr und sprechen Sie nicht zu schnell. Gehen Sie nicht ans Telefon, schauen Sie nicht auf Ihren Computer und schreiben Sie nichts auf.19


Gefühle bestätigen

Versichern Sie der anderen Person, dass ihre Gefühle in Ordnung sind. Schaffen Sie ein sicheres Umfeld, um Gefühle zu teilen, und betonen Sie ein Recht auf ein Leben ohne Gewalt und Angst. Es ist wichtig, aufmerksam zuzuhören, zu verstehen und zu glauben, was die Person mitteilt, ohne zu urteilen oder Bedingungen zu stellen.

„Es ist nicht Ihre Schuld. Sie sind nicht schuld.“

„Es ist in Ordnung, darüber zu reden.“

„Hilfe ist vorhanden.“ [Sagen Sie dies nur, wenn es wahr ist.]

Weitere Beispiele

„Es gibt keine Rechtfertigung oder Entschuldigung für das, was passiert ist.“

„Niemand verdient es, von seinem Partner/seiner Partnerin oder einem anderen Familienmitglied geschlagen zu werden.“

„Ihnen ist das nicht allein passiert. Leider haben auch viele andere Menschen mit diesem Problem zu kämpfen.“

„Jeder/jede verdient es, sich zu Hause sicher zu fühlen.“

„Ich mache mir Sorgen, dass sich dies auf Ihre Gesundheit auswirken könnte.“

„Bitte hören Sie auf sich so schlecht zu fühlen, es könnte schlimmer sein.“

„Diese Gefühle werden vergehen, daher brauchen Sie sich keine Sorgen machen.“


Unterstützung anbieten

Sehen Sie die betroffene Person als Expert:in der eigenen Situation. Akzeptieren Sie ihr Verhalten.20 Geben Sie keine Ratschläge, sondern betonen Sie Ihre Bereitschaft zuzuhören. Signalisieren Sie, dass es keine Entschuldigung für gewalttätiges Verhalten gibt. Nehmen Sie von Gewalt Betroffene ernst. Unterstützen Sie diese dabei, ihre eigenen Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen und in Worte zu fassen.

„Ich weiß, dass es schwierig ist, darüber zu sprechen, aber Sie können mit mir reden.“

„Sie sind nicht allein. Ich bin für Sie da.“

„Sie sind nicht verantwortlich für das, was vor sich geht.“

Weitere Beispiele

„Gewalt ist niemals in Ordnung und Sie haben dies nicht verdient.“

„Danke, dass Sie mir das anvertraut haben und ihre Gedanken mit mir geteilt haben.“

„Sie sollten sich auf jeden Fall scheiden lassen.“

„Ich glaube, das entspricht dem typischen ‚Männer’/’Frauen‘-Verhalten und es gibt keinen Grund, überzureagieren.“

Erzählen Sie der Person nicht die Geschichte eines anderen oder sprechen Sie nicht über Ihre eigenen Probleme.21


Konfrontation vermeiden

Wenn die betroffene Person nicht bereit ist, über die Situation zu sprechen, sollten Sie sie nicht dazu zwingen. Warten Sie den richtigen Zeitpunkt ab. Vermeiden Sie jegliche Form von Druck.

„Ich bin da, um zu helfen, und ich stehe zur Verfügung, auch wenn ich verstehe, dass Sie jetzt nicht darüber reden wollen.“

„Denken Sie daran, dass Sie nicht allein sind. Ich werde für Sie da sein, wenn Sie zum Reden bereit sind.“


Eigene Entscheidungen treffen lassen

„Nicht alle Betroffenen möchten über mögliche erlebte Gewalt reden. Es bleibt die Entscheidung der oder des Betroffenen, wann für sie oder ihn der geeignete Zeitpunkt für ein Gespräch über die Gewalt ist.“22

„Wie kann ich Sie unterstützen?“

„Wie kann ich dazu beitragen, Ihre Sicherheit zu gewährleisten?“


Möglichkeiten aufzeigen, um Hilfe zu erhalten

Informieren Sie über geeignete Unterstützungsangebote. Vermeiden Sie verurteilende Aussagen.

„Hier ist die Nummer Ihres örtlichen Beratungszentrums für häusliche Gewalt. Dort arbeiten Expert:innen, die Ihnen Beratung anbieten können.“

„Ich möchte Ihnen (Ihrem Kind usw.) helfen, gesund und sicher zu sein. Ich möchte Sie gerne unterstützen und gebe Ihnen daher Informationen mit wichtigen Telefonnummern mit, wenn es für Sie sicher ist, diese zu nehmen.“

„Sie sollten unbedingt diese Nummer anrufen und den Täter/die Täterin sofort verlassen!“

„Warum haben Sie sich nicht schon längst von dieser Person getrennt?“

„Wenn Sie früher gekommen wären, hätte ich Ihnen besser helfen können.“


Nächste Schritte:

Sprechen Sie mit der betroffenen Person über Sicherheitsmaßnahmen und Risikobewertung. Weitere Informationen finden Sie in Modul 5: Risikobewertung und Sicherheitsplanung.

Wenn es später zu einem Gerichtsverfahren kommt, könnten Sie über die Opfer befragt werden, daher sollten Sie alles gut dokumentieren. Weitere Informationen finden Sie in Modul 4: Zugang zum Recht.

Weitere Informationen über die strafrechtlichen Verfahren nach einer Anzeige bei der Polizei finden Sie hier.



5. Fragen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt aufkommen können

Im Folgenden finden Sie Antworten auf einige Fragen, die sich Fachkräfte, die mit Betroffenen von häuslicher Gewalt arbeiten, stellen könnten.23

„Was kann ich tun, wenn ich wenig Ressourcen und wenig Zeit habe?“

Das Unterstützen von Betroffenen muss nicht lange dauern und erfordert nicht unbedingt zusätzliche Ressourcen. Manchmal reicht ein Satz, um Gewaltopfern zu vermitteln, dass sie nicht allein sind, dass Gewalt nie eine Option ist und dass sie sich Hilfe holen können. Außerdem können Sie sich über Ressourcen und andere Hilfsdienste in Ihrer Gegend informieren.

 „Warum keine guten‘ Ratschläge anbieten?“

Für Gewaltbetroffene ist es wichtig, dass ihnen zugehört wird und dass sie die Möglichkeit haben, ihre Geschichte einer einfühlsamen Person zu erzählen. Die meisten wollen nicht, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen. Tatsächlich ist es viel hilfreicher, jemandem zuzuhören und mit Einfühlungsvermögen zu reagieren, als Ihnen vielleicht bewusst ist. Es ist vielleicht das Wichtigste, was Sie tun können. Von häuslicher Gewalt betroffene Personen müssen ihren eigenen Weg finden und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Darüber zu sprechen, kann ihnen dabei helfen.

Es sollten jedoch auch Informationen (z. B. in Form von Broschüren) über verfügbare Ressourcen (z. B. finanzielle Unterstützung, Kontaktdaten von Unterkünften) angeboten werden.

„Warum gehen Gewaltbetroffene nicht einfach?“

Es gibt viele Gründe dafür, dass Betroffene in gewalttätigen Beziehungen bleiben. Es ist wichtig, sie nicht zu verurteilen und sie nicht zu drängen, die Beziehung zu verlassen. Sie müssen diese Entscheidung selbst treffen, mit ihrem eigenen Tempo. Zu den Gründen zu bleiben gehören:

  • Finanzielle, soziale und andere Abhängigkeiten: Viele Betroffene fühlen sich von ihren Partner:innen, Familienmitgliedern oder Betreuer:innen abhängig.
  • Normalisierung von Gewalt: Manche Betroffene denken, dass Gewalt in Beziehungen normal ist und dass alle Partner:innen/Familienmitglieder gewalttätig und kontrollierend sind, oder glauben, dass sie es verdienen.
  • Angst: Manche Betroffene haben Angst vor einer extremen und gewalttätigen Reaktion, wenn sie die Beziehung verlassen.
  • Fehlende Unterstützung: Keine Anlaufstelle bzw. keine Unterstützung zu haben, kann eine Trennung erschweren.

Weitere Informationen über die Dynamik der häuslichen Gewalt finden Sie in Modul 2.

„Wie kann man in eine solche Situation geraten?“

Es ist wichtig, dass Sie den von Gewalt Betroffenen nicht die Schuld für das Geschehene geben. Dies steht einer guten Betreuung im Weg. Gewalt ist niemals und in keiner Situation angebracht. Für Gewalt gibt es keine Entschuldigung oder Rechtfertigung. Niemand hat es je verdient, Gewalt zu erleben.

„So hat man uns das nicht beigebracht.“

In dieser Situation ist es nicht hilfreich, den Fokus auf polizeiliche Ermittlungen zu beschränken. Stattdessen müssen Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen, indem Sie zuhören, die Bedürfnisse und Sorgen von betroffenen Personen erkennen, deren soziale Unterstützung stärken und ihre Sicherheit verbessern. Außerdem können Sie Betroffenen helfen, ihre Möglichkeiten zu erkennen und abzuwägen, und ihnen das Gefühl geben, dass sie die Kraft haben, wichtige Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

„Was ist, wenn Betroffene von häuslicher Gewalt nicht zur Polizei gehen?“

Respektieren Sie ihre Entscheidung. Lassen Sie sie wissen, dass sie ihre Meinung ändern können. Lassen Sie sie wissen, dass es jemanden gibt, mit dem sie über ihre Optionen sprechen können und der ihnen bei der Anzeigeerstattung hilft, wenn sie sich dafür entscheiden.

„Wie kann ich Vertraulichkeit zusichern, wenn das Gesetz vorschreibt, dass ich das melden muss?“

Wenn Sie gesetzlich verpflichtet sind, Gewalt bei der Polizei anzuzeigen bzw. der Kinder- und Jugendhilfe zu melden, müssen Sie dies der Person mitteilen. Sie können z. B. sagen: „Was Sie mir erzählen, ist vertraulich, das heißt, ich werde niemandem sonst erzählen, was Sie mir mitteilen. Die einzige Ausnahme ist …“.

Informieren Sie sich über die Einzelheiten der gesetzlichen Vorgaben und die Bedingungen, unter denen Sie zur Anzeige bzw. Meldung verpflichtet sind (z. B. sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche). Versichern Sie dem/der Gewaltbetroffenen, dass Sie außerhalb dieser Anzeige-/Meldepflicht niemandem ohne Zustimmung davon erzählen werden. Weitere Informationen über rechtliche Aspekte in verschiedenen Ländern finden Sie in Modul 7.

„Was ist, wenn die Person zu weinen beginnt?“

Geben Sie Raum dafür. Sie können sagen: „Ich weiß, es ist schwierig, darüber zu sprechen. Sie können sich Zeit lassen.“

„Was ist, wenn ich Gewalt vermute, die betroffene Person dies aber nicht zugibt?“

Versuchen Sie nicht, sie zu zwingen etwas preiszugeben (Ihr Verdacht könnte falsch sein). Sie können sich trotzdem um sie kümmern und weitere Hilfe anbieten.

„Was ist, wenn Gewaltbetroffene möchten, dass ich mit ihrem:r Partner:in, einem Familienmitglied oder einer:m Betreuer:in spreche?“

Es ist keine gute Idee, dass Sie diese Verantwortung übernehmen. Wenn die betroffene Person jedoch das Gefühl hat, dass es sicher ist und es die Gewalt nicht verschlimmert, kann es hilfreich sein, wenn jemand, den der:die Täter:in respektiert, mit ihm oder ihr spricht – vielleicht ein Familienmitglied, ein:e Freund:in oder einer anderen Vertrauensperson. Warnen Sie die betroffene Person allerdings davor, dass es durch eine solche Intervention zu weiterer Gewalt kommen könnte.

„Was ist, wenn der:die Partner:in, das Familienmitglied oder die:der Betreuer:in auch Klient:in bei mir ist?

Es ist sehr schwierig, beide als Klient:innen zu haben, wenn es in der Beziehung zu Gewalt kommt. Am besten ist es, wenn ein:e Kolleg:in eine:n der beiden übernimmt, wobei die Vertraulichkeit der Angaben von Betroffenen gewahrt bleiben muss.

„Was ist, wenn ich befürchte, dass der:die Partner:in, das Familienmitglied oder die Betreuungsperson der Betroffenen sie umbringen wird?“

Teilen Sie den Gewaltbetroffenen ehrlich Ihre Bedenken mit, erklären Sie, warum Sie glauben, dass sie ernsthaft gefährdet sein könnten, und erklären Sie, dass Sie mögliche Optionen für ihren Schutz besprechen möchten. In dieser Situation ist es besonders wichtig, sichere Alternativen anzubieten, wo Betroffene hingehen können.

Bereiten Sie sich auf eine solche Situation vor und halten Sie ein Informationsblatt mit den entsprechenden Telefonnummern (z. B. Gewaltschutzzentrum, Frauenhaus) bereit. Achten Sie darauf, dass diese Liste auf dem neuesten Stand ist.

Fragen Sie, ob es eine Vertrauensperson gibt, die Sie in das Gespräch einbeziehen können.

„Was ist, wenn ich mit dem, was ich höre, nicht umgehen kann?“

Ihre Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die der von Gewalt betroffenen Personen, die Sie betreuen. Möglicherweise haben Sie starke Reaktionen oder Emotionen, wenn Sie Betroffenen zuhören oder mit ihnen über Gewalt sprechen. Das gilt besonders, wenn Sie selbst Gewalt erlebt haben oder gerade erleben.

Seien Sie sich Ihrer Gefühle bewusst und nutzen Sie die Gelegenheit, sich selbst besser zu verstehen. Holen Sie sich die Hilfe und Unterstützung, die Sie für sich selbst brauchen.


6. Visuelle Kommunikation

Für Menschen, die häusliche Gewalt erleben, ist es oft schwierig, Informationen oder Beratungs- und Unterstützungsangebote zu finden. Visuelle Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung für häusliche Gewalt. Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Postern (z. B. mit QR-Codes), Broschüren oder Faltblättern, die strategisch in Wartezimmern, Toiletten und anderen Bereichen platziert werden, ist von wesentlicher Bedeutung. Legen Sie Informationen im Scheckkartenformat über Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten in Waschräumen auf (mit entsprechenden Warnungen, sie nicht mit nach Hause zu nehmen, wenn der:die Täter:in sie finden könnte).

Die visuellen Hilfsmittel vermitteln, dass dies ein sicherer Ort ist, um über häusliche Gewalt zu sprechen, und machen die Unterstützungsmöglichkeiten bekannt. Durch die Schaffung eines visuellen Umfelds, in dem häusliche Gewalt offen angesprochen wird, fühlen sich die Betroffenen eher ermutigt, sich zu melden und Hilfe zu suchen. Dieser proaktive Ansatz trägt dazu bei, das Schweigen über häusliche Gewalt zu brechen und eine unterstützende Atmosphäre in Gesundheitseinrichtungen zu fördern.

Denken Sie daran:

  • Verwenden Sie inklusives Bildmaterial, das die unterschiedlichen Erfahrungen der von Gewalt betroffenen Personen (alle Geschlechter, ohne Stereotypen) genau darstellt.
  • Verwenden Sie Informationen in mehreren Sprachen.
  • Wählen Sie aussagekräftige Bilder, die eine positive Botschaft vermitteln. Vermeiden Sie traumatisierende Bilder, wie z. B. Darstellungen von körperlicher Gewalt, sexualisierte Darstellungen von Betroffenen sowie Bilder, die sich ausschließlich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen.

Internationale Hilfssignale für häusliche Gewalt:

Dies ist eine internationale einhändige Geste, mit der auf häusliche Gewalt aufmerksam gemacht wird. Sie kann eingesetzt werden, wenn die hilfsbedürftige Person nicht laut sprechen kann, z. B. weil der:die Täter:in in der Nähe ist (im Auto, zu Hause usw.).

Das Signal wird ausgeführt, indem eine Hand hochgehalten wird, wobei der Daumen in die Handfläche gesteckt wird, und dann die vier anderen Finger nach unten geklappt werden, wobei der Daumen symbolisch von den restlichen Fingern umschlossen wird.


Nutzen Sie Informationsbroschüren über häusliche Gewalt oder über lokale Beratungsstellen.

Mögliche Broschüren zum Auslegen:


Wenn es nicht sicher ist, der gewaltbetroffenen Person einen Flyer zu geben, besteht die Möglichkeit, z. B. eine Visitenkarte mit versteckten Telefonnummern und Adressen herzustellen und dann zu übergeben.


Buttons zum Anstecken signalisieren, dass dies ein sicherer Ort ist, um über häusliche Gewalt zu sprechen.


Quellen

  1. RACGP, Factsheet: Improving Responses, https://www.racgp.org.au/familyviolence/resources.htm, accessed 10.01.2024 ↩︎
  2. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische Praxis. “Ansprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
  3. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
  4. S.I.G.N.A.L. – Leitfaden, https://www.signal-intervention.de/signal-leitfaden ↩︎
  5. Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎
  6. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  7. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  8. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  9. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  10. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  11. www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
    Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎
  12. www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
    Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎
  13. www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
    Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎
  14. www.endgv.org, Working together for gender equity and social justice in King County,
    Screening for Domestic Violence, https://endgv.org/wp-content/uploads/2016/05/Screening-for-Domestic-Violence-00000002.pdf ↩︎
  15. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  16. Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
  17. Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎
  18. World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014, p. 19.  
    http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎
  19. World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014.  
    http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎
  20. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
  21. World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014, p. 19.  
    http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎
  22. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung, Gesundheitliche Versorgung erwachsener Betroffener von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, „Ein Leitfaden für die medizinische PraxisAnsprechen und Untersuchen – Ansprechen und Untersuchen“, besucht am 13.3.2024. https://www.praxisleitfaden-gewalt.de/index.php/fuer-aerztinnen-und-aerzte/ansprechen-und-untersuchen ↩︎
  23. World Health Organization, Clinical Handbook “Health Care for Women Subjected to Intimate Partner Violence or Sexual Violence”, 2014.  
    http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/136101/WHO_RHR_14.26_eng.pdf;jsessionid=2BA58E813B52A1105271DB988D1AAC88?sequence=1 ↩︎