1. Organisationsübergreifende-Zusammenarbeit
2. Strafverfahren in Fällen von häuslicher Gewalt
3. Strafverfahren bei häuslicher Gewalt in Österreich
Quellen
Lernziele
+ Verstehen der Arbeitsweise von Ersthelfer:innen
+ Erkennen, warum die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams im Fall von häuslicher Gewalt ausschlaggebend ist.
1. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit1
Häusliche Gewalt hat schädliche Auswirkungen auf Einzelpersonen, Familien und Beziehungen. Häusliche Gewalt beeinträchtigt Gesundheit und Wohlbefinden von Erwachsenen und Kindern – unabhängig davon, ob sie häusliche Gewalt beobachten oder selbst davon betroffen sind. Sie macht weitere Gesundheits- und Sozialdienstleistungen erforderlich. Alle diese Organisationen und Behörden behandeln die gleichen Probleme auf unterschiedliche Weise, mit verschiedenen Maßnahmen und Ergebnissen.
Kooperation ist insbesondere in Hochrisikofällen unerlässlich, um Lücken im Schutz des Opfers zu vermeiden. Sie ist aber auch in nicht unmittelbar lebensbedrohlichen Fällen wichtig, damit Gewaltopfer sich nicht einer Unzahl von Organisationen und Behörden mit ihren jeweiligen – im schlimmsten Fall widersprüchlichen – Anforderungen gegenübersehen.
- Gewaltschutzzentren
Gewaltschutzzentren existieren in allen neun Bundesländern. Sie sind spezialisierte und gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtungen, die all jenen Menschen Hilfe und Unterstützung bieten, die von Gewalt im eigenen Zuhause, im persönlichen Umfeld oder von Stalking bedroht oder betroffen sind. Verhängt die Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen eine:n Gefährder:in, muss sie das regionale Gewaltschutzzentrum davon in Kenntnis setzen. Berater:innen nehmen daraufhin aktiv Kontakt zum Opfer auf und bieten Hilfe – z.B. bei rechtlichen Schritten – an. Selbstverständlich können sich Gewaltopfer und Personen, die diese unterstützen, auch direkt an die Gewaltschutzzentren wenden. Durch ihren gesetzlichen Auftrag und ihre Expertise – nicht zuletzt in Bezug auf die systematische Risikobewertung – sind Gewaltschutzzentren die zentralen Drehscheiben für den Opferschutz. Weitere Informationen: www.gewaltschutzzentrum.at/
- Frauenhäuser
In manchen Situationen bietet ein BV/AV nicht ausreichend Schutz und/oder entspricht nicht der Situation und den Bedürfnissen des Opfers. Frauenhäuser, die eine geschützte Unterkunft in Verbindung mit Beratung bieten, sind daher unverzichtbarer Bestandteil des Gewaltschutzsystems. Wenn Opfer im Frauenhaus Zuflucht suchen, übernehmen meisten die dortigen Mitarbeiter:innen die Koordination der Unterstützungsleistungen.
Weitere Informationen: www.aoef.at/, www.frauenhaeuser-wien.at/, www.frauenhaeuser.at/ (Steiermark), www.ktn.gv.at/Service/Formulare-und-Leistungen/GS-L74 (Kärnten)
- Polizei
In vielen Fällen bringt erst ein Polizeieinsatz häusliche Gewalt ans Licht. Polizeibeamt:innen müssen, wenn ihrer Einschätzung nach die Gefahr eines gefährlichen Angriffs besteht, Gefährder:innen aus der Wohnung weisen und ein 14-tätiges Betretungs- und Annäherungsverbot (BV/AV) aussprechen. In dieser Zeit darf der:die Gefährder:in die Wohnung, in der das Opfer lebt, nicht betreten und sich der Person nicht auf weniger als 100 Meter nähern. Ein BV/AV bedeutet also auch, dass Gefährder:innen sich Opfern im Krankenhaus nicht nähern dürfen. In den meisten Fällen wird von der Polizei zudem Anzeige – meist wegen Körperverletzung – erstattet und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das gilt auch, wenn sich Opfer direkt an die Polizei wendet, um Anzeige zu erstatten. Für die weitere Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen gibt es auf allen Polizeikommissariaten speziell geschulte Präventionsbeamt:innen.
- Kinder- und Jugendhilfe
Wenn in einem Haushalt, in dem ein BV/AV verhängt wurde, Kinder leben, ist die Polizei verpflichtet, die Kinder- und Jugendhilfe zu informieren. Dort wird in der Folge ein Prozess zur Abklärung einer möglichen Kindeswohlgefährdung eingeleitet, im Zuge dessen u.a. Kontakt mit Opfer und Täter:in aufgenommen wird.
- Beratungsstellen für Gewaltprävention
Gefährder:innen, gegen die ein BV/AV verhängt wurde, sind verpflichtet, sich binnen fünf Tagen bei einer Beratungsstelle für Gewaltprävention zu melden und eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, stellt das eine Verwaltungsübertretung dar.
Weitere Informationen: www.gewaltinfo.at/themen/geschlechtsspezifische-burschen-und-maennerarbeit/gewaltpraeventionsberatung—ein-neuer-baustein-im-oesterreichischen-gewaltschutz.html
Fallspezifisch können viele weitere Organisationen beteiligt sein – zum Beispiel Frauenberatungseinrichtungen und Kinderschutzzentren.
Für den medizinischen Bereich ist besonders die Etablierung klarer Ansprechpersonen wichtig. Das gilt sowohl innerhalb der jeweiligen Einrichtung, wo meist Personen aus den Opferschutzgruppen (OSG) diese Funktion übernehmen, als auch für die Kooperation mit externen Einrichtungen.
2. Strafverfahren in Fällen von häuslicher Gewalt
3. Strafverfahren bei häuslicher Gewalt in Deutschland
- Als Schutzmaßnahme bei unmittelbar bevorstehender Gewalt verhängt die Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot (§ 38a SPG), das Gefährder:innen zwei Wochen lang untersagt, sich der gefährdeten Person bzw. deren Wohnort zu nähern. Die Schutzperiode verlängert sich auf vier Wochen, wenn die gefährdete Person beim Familiengericht eine Einstweilige Verfügung für einen längerfristigen Schutz (sechs bis zwölf Monate) beantragt. Es bestehen gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen (§ 382b EO) und zum Schutz vor allgemeiner Gewalt (§ 382c EO), die auch gemeinsam beantragt werden können.
- Die einschreitenden Polizeibeamt:innen sind verpflichtet, die gefährdete Person über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren, dazu zählen etwa die Unterstützung durch ein Gewaltschutzzentrum und das Angebot der Prozessbegleitung.
- Betretungs- und Annäherungsverbote müssen von der Polizei umgehend an das zuständige Gewaltschutzzentrum übermittelt werden. Dieses kontaktiert die gefährdete Person und bietet psychosoziale und rechtliche Unterstützung an. In der Folge werden ein Sicherheitsplan und eine Gefährdungseinschätzung erstellt, gegebenenfalls erfolgt Hilfestellung bei einem Antrag auf Einstweilige Verfügung, auf soziale Sicherung o.ä.Gefährder:innen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, sind dazu verpflichtet, eine Beratungsstelle für Gewaltprävention aufzusuchen.
- Gefährder:innen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, sind dazu verpflichtet, eine Beratungsstelle für Gewaltprävention aufzusuchen.
Das österreichische Strafgesetz kennt keine ausdrückliche Kriminalisierung von häuslicher Gewalt, nennt aber die Begehung von vorsätzlichen Straftaten im Familienkreis explizit als Erschwerungsgrund bei der Strafbemessung (§ 33 Abs.2 StGB). Bei Gewaltdelikten handelt es sich um Offizialdelikte, d.h. die Polizei ist grundsätzlich – unabhängig von den Wünschen des Opfers – verpflichtet, Anzeige zu erstatten.
Wenn ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorliegt, besteht für verschiedene Einrichtungen eine Mitteilungspflicht an die Kinder- und Jugendhilfe. Das betrifft unter anderem Gerichte und Behörden, das Schulwesen und das Gesundheitswesen (§ 38 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013).
Seit 2006 haben Opfer von vorsätzlich begangenen Gewalttaten und von gefährlicher Drohung Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung im Strafverfahren sowie in daraus resultierenden Zivilverfahren. Psychosoziale Prozessbegleitung soll dabei helfen, die Belastung durch das Verfahren zu minimieren sowie verfügbare Unterstützung und rechtliche Möglichkeiten besser auszuschöpfen. Dazu zählen etwa die Begleitung zu Polizei und Gericht oder das Erklären von rechtlichen Schritten. Die Prozessbegleitung wird vom Bundesministerium für Justiz finanziert und von Opferschutzeinrichtungen durchgeführt.
Eckpunkte des Strafverfahrens:
- Das Strafverfahren beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei leitet. Ziel ist die Aufklärung des Sachverhalts bzw. eines Tatverdachts durch Ermittlungen. In dieser Phase werden etwa Zeug:innen, auch das Opfer, einvernommen. Nach Vorlage des Abschlussberichts durch die Polizei entscheidet die Staatsanwaltschaft über das weitere Vorgehen, insbesondere Verfahrenseinstellung oder Anklageerhebung/Strafantrag.
- Eine Einstellung des Strafverfahrens kann aus verschiedenen Gründen erfolgen. Der häufigste Grund liegt darin, dass die Staatsanwaltschaft keine strafrechtlich relevanten Handlungen wahrnimmt. Auch im Fall einer gelungenen Diversion (v.a. Tatausgleich) wird das Strafverfahren eingestellt. Unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen kann das Opfer einen Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens stellen (§ 195 StPO).
- Das Hauptverfahren beginnt mit der Einbringung der Anklage. In der Hauptverhandlung werden der:die Angeklagte und Zeug:innen einvernommen sowie Sachbeweise vorgelegt. Häufig sagt das Opfer nicht in der Hauptverhandlung aus, sondern bereits vorher im Zuge einer kontradiktorischen Einvernahme. Damit wird ein Zusammentreffen mit dem:der Angeklagten verhindert. Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung stehen auch hier zur Verfügung. Wenn das Opfer einen Schadenersatzanspruch gegen den:die Angeklagte:n hat, muss dieser meist in einem Zivilverfahren eingeklagt werden.
Die Unterstützungsleistungen für Opfer von Gewalt enden nicht mit der Urteilsverkündung. So wird etwa im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung eine Abschlussbesprechung angeboten. Opfer von Partnergewalt oder von Zwangsehe, deren Aufenthaltstitel vom Täter/von der Täterin abhängt, erhalten in der Regel eine einjährige Aufenthaltserlaubnis (§ 27 NAG).