Modul 4: Polizeiliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren (Österreich)

1. Dynamiken und Verhaltensmuster bei häuslicher Gewalt
2. Polizeieinsatz bei häuslicher Gewalt
3. Von häuslicher Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche
4. Maßnahmen für Opfer mit Migrationshintergrund
5. Maßnahmen für Opfer mit Beeinträchtigungen und Behinderungen
6. Maßnahmen für ältere Menschen als Opfer
7. Stalking im Kontext häuslicher Gewalt
8. Rechtliche Aspekte

Quellen

Einleitung
Herzlich Willkommen zum Modul 4 “Polizeiliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren”. Dieses Modul befasst sich mit der Dynamik und den Verhaltensmustern, die in Fällen häuslicher Gewalt auftreten, und beleuchtet die Komplexität, mit der die Einsatzkräfte, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, konfrontiert sind. Fälle von häuslicher Gewalt verlangen von Polizeibeamt:innen und Jurist:innen sorgfältiges Eingreifen und Planen, während sie schwierige Situationen händeln, mit dem Ziel, die Sicherheit und das Wohlergehen der Opfer und ihrer Kinder zu gewährleisten. In diesem Modul werden wir uns mit verschiedenen Aspekten der polizeilichen Ermittlungen befassen, einschließlich polizeilicher Interventionsstrategien sowie spezieller polizeilicher Maßnahmen, die auf Opfer mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Bedürfnissen zugeschnitten sind. Modul 4 befasst sich mit den rechtlichen Überlegungen und Verfahren im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt. Es vermittelt den Fachleuten das notwendige Wissen, um sich in der Rechtslandschaft zurechtzufinden.

Lernziele
+ Erkennen der Dynamik und der Verhaltensmuster bei häuslicher Gewalt
+ Kennenlernen effektiver polizeilicher Interventionsstrategien bei häuslicher Gewalt
+ Kennenlernen spezieller polizeiliche Maßnahmen für Opfer mit unterschiedlichen Hintergründen und Bedürfnissen
+ Gewinnen von Einblicken in rechtliche Überlegungen und Verfahren bei häuslicher Gewalt


Kerncharakteristika häuslicher Gewalt:1

  • Es besteht eine emotionale Bindung zwischen Täter:in und Opfer, die oft eine räumliche Trennung überdauert.
  • Gewalt findet in der Regel im Verborgenen, in privaten Räumen statt. Insbesondere wenn die Wohnung der Tatort ist, fühlen sich die Opfer dort nicht mehr sicher. Natürlich ist eine gemeinsame Wohnung keine Voraussetzung für häusliche Gewalt.
  • Opfer fühlen sich oft gefangen und wissen nicht, wie sie sich befreien können.
  • Die körperliche, sexuelle und/oder psychische Integrität des Opfers wird durch die Handlungen des Täters wiederholt verletzt.
  • Täter:innen nutzen ein bestehendes Machtungleichgewicht gegenüber den Opfern aus.
  • Die Erwartung von sozialer, psychologischer und emotionaler Unterstützung in einer engen Beziehung macht häusliche Gewalt besonders verheerend, da die Gewalt von jemandem ausgeht, von dem Opfer Unterstützung erwarten. Dies kann es schwieriger machen, die Erfahrung zuzugeben. Außerdem kann das Opfer wirtschaftlich und sozial von  de:r Täter:in abhängig sein, was dessen Verletzlichkeit noch erhöht.

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Häusliche Gewalt ist in der Regel kein einmaliges Ereignis, sondern ein Kreislauf von wiederkehrenden Handlungen und Verhaltensweisen, die zu wiederholten gewalttätigen Eskalationen führen. So entsteht eine „Gewaltspirale“, die immer wieder die gleichen Phasen durchläuft.

Weitere Informationen zu den Formen und Dynamiken häuslicher Gewalt in Modul 1.

Szenario: Mann droht seine Frau umzubringen

Am 19. November 2011 um 21:27 Uhr ging bei der Notrufzentrale ein Anruf ein. Der Anrufer gab sich zu erkennen und erklärte, dass er seine Frau umbringen wolle. Er erwähnte, dass er zu Hause sei, woraufhin die Polizei einen Streifenwagen zu dem Ort schickte. Als die Beamten dort eintrafen, befragten sie den Mann, der erklärte, er und seine Frau hätten Streitigkeiten über die gemeinsame Wohnung und die Wochenendgrundstücke. Er behauptete auch, dass er ständig von seiner Frau und ihrem derzeitigen Freund belästigt werde. Er drohte, dass er zu ihrer Wohnung gehen und sie umbringen würde, wenn die Beamten die Angelegenheit nicht sofort klären würden. Diese Drohung wiederholte er mehrmals. Der Mann ist der Polizei bereits wegen früherer Fälle von häuslicher Gewalt bekannt.

Vor allem bei Trennungen steigt das Risiko von schweren Körperverletzungen bis hin zu Tötungsdelikten. Die wichtigste Grundlage für die Einschätzung der Risikosituation ist die subjektive Wahrnehmung der Bedrohung durch das Opfer.

Weitere Informationen zu Gefährdungsanalysen und Sicherheitsplänen finden Sie in Modul 5.

Fallstudie: Häusliche Gewalt nimmt mit der Zeit an Schwere zu

Frühling 2016

Familie F. lebt mit zwei kleinen Kindern seit kurzer Zeit in einer Eigentumswohnung, als Herr F. arbeitslos wurde. Frau F. kann ihre Bürotätigkeit aufstocken; sie arbeitet von zu Hause aus, da sie selbständig ist, und kann so dafür sorgen, dass der Kredit für die Wohnung weiter abbezahlt werden kann. Sie merkt, wie sehr ihr Mann unter der Situation leidet und unterstützt ihn, so gut sie kann.

August 2016

Die Situation zwischen dem Ehepaar F. ist inzwischen sehr angespannt. Seit die Kinder tagsüber in der Kindertagesstätte sind, lässt Herr F. seiner Enttäuschung und Wut über die Ablehnung seiner Bewerbungen und die damit verbundenen finanziellen Probleme ungehemmt freien Lauf, indem er seine Frau kritisiert und demütigt.

Frau F. leidet so sehr unter den Vorwürfen, dass sie eine Eheberatung vorschlägt. Sie hat große Hoffnung, dass alles besser werden kann. Sie hat das Gefühl, dass sich das Verhalten ihres Mannes völlig verändert hat, aber sie glaubt fest daran, dass er wieder der Alte sein wird, wenn er wieder Arbeit findet.

Zu Frau F.s Überraschung reagiert Herr F. heftig auf ihren Vorschlag, sich Hilfe zu holen, und schlägt seiner Frau ins Gesicht. Frau F. ist verzweifelt, hält dies aber für einen einmaligen Ausrutscher.

Oktober 2016

Ohrfeigen, Schütteln und Stöße gehören nun zur wöchentlichen Routine. Frau F. verteidigt das Verhalten ihres Mannes vor sich selbst, verbirgt es vor anderen und hofft auf Besserung durch eine neue Beschäftigung ihres Mannes.

August 2017

Im Laufe des Sommers hat sich die Situation ein wenig entspannt, da die Kinder während der Sommerferien zu Hause sind. Frau F. ist hoffnungsvoll, weil ihr Mann jetzt auch einen Kurzzeitjob antritt.

September 2017

Frau F. kann tagsüber aufatmen, weil ihr Mann nicht im Haus ist. Nachmittags und abends verbringt sie jede Minute mit den Kindern und schläft auch nachts meist bei den Kindern. Sie hat sich fast eingeredet, dass die Kinder Probleme beim Ein- und Durchschlafen haben und dass wenigstens ihr Mann durchschlafen muss.

Dezember 2017

Herr F. ist wieder arbeitslos und verfällt von einem Tag auf den anderen wieder in das alte Muster von Anschuldigungen, Demütigungen und Übergriffen gegen seine Frau.

Ein Plakat in der Kindertagesstätte macht Frau F. darauf aufmerksam, dass es eine Helpline gibt, die Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, berät. Die Anzeige kommt ihr bekannt vor, sie muss schon unzählige Male daran vorbeigegangen sein. Aber zum ersten Mal bringt sie sie mit sich selbst in Verbindung. Sie hält ihre Situation jedoch nicht für so ernst, dass sie selbst Hilfe bräuchte.

Februar 2018

Die Vorfälle häuslicher Gewalt treten in kürzeren Abständen auf, und es wird für Frau F. immer schwieriger, ihr sprunghaftes und verzweifeltes Verhalten, ihre zerrüttete Beziehung und ihre zahlreichen Verletzungen vor ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und dem sozialen Umfeld ihrer Kinder zu erklären oder zu verbergen. Sie zieht sich mehr und mehr zurück.

September 2019

Familie F. ist nun fast völlig isoliert: Ihr soziales Umfeld reagierte zunächst immer verständnisloser auf die vielen Absagen, wurde immer enttäuschter und verärgerter, da es zu Streitigkeiten kam. Schließlich zog sich ihr Umfeld resigniert zurück. Viele führten die Situation auf die spürbar angespannte finanzielle Lage der Familie zurück und gingen davon aus, dass nach dieser schwierigen Phase alles wieder beim Alten sein würde.

Nach einem besonders gewalttätigen Vorfall von körperlichen Übergriffen im Schlafzimmer am Abend, von dem Frau F. vermutet, dass die Kinder ihn gehört haben könnten, ruft Frau F. die bundesweite Frauenhelpline gegen Gewalt an. Es hilft ihr, jemanden zu haben, der ihr verständnisvoll zuhört.

Oktober 2019

Immer wieder ruft Frau F. nach Vorfällen bei der Helpline an. Schließlich lässt sie sich auch an eine örtliche Beratungsstelle verweisen und gerät zunehmend unter Druck, weil sie merkt, dass auch ihre Kinder inzwischen mehr wissen und verstehen, als sie es wahrhaben möchte. Dennoch scheint Frau F. der Schritt zur Klage und/oder Trennung unmöglich zu sein.

Von einer anderen Mutter aus der Nachbarschaft erfährt Frau F., dass die Polizei Bürger:innen auch anonym berät. Sie hat noch nie mit der Polizei zu tun gehabt, hat großen Respekt und erwartet nicht, dass dort jemand ihre Situation verstehen könnte. Trotzdem ruft sie schließlich mit unterdrückter Telefonnummer den Opferschutzbeauftragten ihres Bezirks an. Überrascht, ruhig informiert zu werden, nicht verurteilt oder gedrängt zu werden, den Fall zu anzuzeigen, fasst sie endlich mehr Mut. Der polizeiliche Rat macht ihr erst recht bewusst, was sie eigentlich längst weiß: Es gibt keinen einfachen Ausweg und ihr Familienleben ist zu zerrüttet, um weiter auf Veränderung zu hoffen. Gleichzeitig ist sich Frau F. bewusst, dass sie niemals die Kraft haben wird, sich ihrem Mann allein entgegenzustellen oder die Trennung auszusprechen.

November 2019

Frau F. wird von ihrer Beraterin aus der Fraueneinrichtung zur Polizei begleitet und erstattet Anzeige. Ihre Beraterin hat die Polizei vorab über diesen Fall informiert, und so nimmt ein Polizeibeamter, der für Fälle von häuslicher Gewalt geschult ist und bereits eine Vielzahl solcher Fälle bearbeitet hat, ihre Anzeige auf. Ihre Beraterin bleibt die ganze Zeit bei ihr. Während der Vernehmung, bei der der Beamte sehr achtsam und empathisch vorgeht, spürt Frau F., dass zwischen den Mitarbeiter:innen der Beratungsstelle und dem Polizeibeamt:innen offenbar ein Vertrauensverhältnis besteht, das es ihr erleichtert, von ihrem Leidensweg zu berichten. Der Polizeibeamte befragt sie auch zu ihrer aktuellen Gefährdungssituation und der ihrer Kinder. Frau F. kann die Situation nicht einschätzen und hat Angst vor einer Konfrontation mit ihrem Mann. Sie wird über ihre Rechte als Opfer, den weiteren Verlauf des Strafverfahrens und die polizeilichen Schutzmöglichkeiten informiert. Der Polizeibeamte informiert mit Wissen von Frau F. die Kinder- und Jugendhilfe über die Situation.

Frau F. fasst den Mut, ihren Bruder von der Polizeiwache aus anzurufen und ihn über die Situation zu informieren. Er verlässt sofort seinen Arbeitsplatz, um sie und die Kinder über Nacht bei sich aufzunehmen.

Nach der Anzeige wird Herr F. von der Polizei aufgesucht und der Wohnung verwiesen. Herr F. zeigt sich gegenüber den Polizeibeamten völlig überrascht und äußerst verärgert. Er kann nicht glauben, dass er aus der Wohnung verwiesen werden soll. Nachdem er über die rechtliche Situation aufgeklärt wurde und von den Polizeibeamten Informationen über Notunterkünfte sowie Beratungsmöglichkeiten erhalten hat, erklärt er sich bereit, sich bis auf Weiteres von seiner Frau und seinen Kindern fernzuhalten.

Frau F. ergreift, unterstützt von ihrer Beraterin im Frauenschutzzentrum, die Gelegenheit, beim Familiengericht eine Schutzanordnung zu beantragen.

Dezember 2019

Während der dreiwöchigen polizeilichen Ermittlungen macht Herr F. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und lässt sich anwaltlich vertreten. Frau F. kann in ihrer erneuten Vernehmung die langjährige Gewaltbeziehung schlüssig darlegen; auch hier wird sie von ihrer Beraterin von der Frauenschutzstelle begleitet. Auf eine Anhörung der Kinder wird aufgrund ihres Alters verzichtet. Nach der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht werden medizinische Unterlagen des Hausarztes von Frau F. in das Verfahren einbezogen, welche die Angaben von Frau F. untermauern.

Nach Abschluss der Ermittlungen leitet die Polizei die Strafanzeige zur weiteren Entscheidung an die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft für Fälle häuslicher Gewalt weiter.

Ein Familiengericht entscheidet über die Regelung des Umgangs mit den Kindern des Paares. In einem späteren Gerichtsverfahren wird Herr F. wegen mehrfacher Körperverletzung verurteilt und angewiesen, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen.

Untersuchungen haben ergeben, dass Polizeibeamt:innen häufig durch das Verhalten der Opfer, die Arbeitsweise der Strafgerichte, die Arbeitsweise ihrer Dienststelle und deren informelle Prozesse sowie die Komplexität der Rechtsanwendung frustriert sind.22 Oft verbringen sie wertvolle Zeit damit, Opfer häuslicher Gewalt zu motivieren, die Beziehung zu verlassen.

In Module 9 finden Sie Informationen dazu, wie Frustration und Arbeitsstress zu Burnout und stellvertretenden Traumata führen können und warum in diesen Fällen Selbstfürsorge wichtig ist.


Die Vorgehensweise bei Polizeieinsätzen bei häuslicher Gewalt muss von Fall zu Fall festgelegt werden, ist aber im Wesentlichen durch folgende Ziele gekennzeichnet:

  • Abwehr von Gefahren für Leib und Leben, Freiheit von Personen und/oder Eigentum
  • Konsequentes Vorgehen gegen die unruhestiftende/verdächtige Person
  • Sicherstellung einer beweissicheren Strafverfolgung
  • Information über Beratungsmöglichkeiten für Opfer und Verdächtige
  • Verhinderung von weiteren Gewalttaten gegen Personen

Das folgende Video veranschaulicht die Arbeit der Polizei in Fällen häuslicher Gewalt:


Der Begriff „Hauptaggressor:in“ bezieht sich auf die Person, die die größte und anhaltende Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen darstellt. Der Begriff „Hauptaggressor:in“ könnte zwar das Vorhandensein von mindestens zwei aggressiven Personen implizieren, aber in vielen bzw. den meisten Situationen wird die Gewalt allein von einer Person ausgeübt. In manchen Situationen kann es schwierig sein, festzustellen, ob eine Person d:ie Täter:in ist oder ob sie Sicherheit und Schutz vor solcher Gewalt benötigt. So können beispielsweise Erwachsene in einer intimen Beziehung behaupten, dass sie gegenseitige Gewalt erfahren. In solchen Situationen ist es wichtig, daran zu denken, dass häusliche Gewalt ein kontinuierliches Muster von Macht und Zwangskontrolle darstellt, das sich von Beziehungskonflikten unterscheidet.

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Es gibt eine Reihe von Fragen, die zu klären sind, wenn man versucht zu bestimmen, wer der Hauptaggressor ist:

  • Kontext: Identifizieren Sie die Verhaltensweisen, die üblicherweise im Kontext eines Musters systematischer Macht und Kontrolle auftreten. Was geschah davor und danach? Wo hat die Gewalt stattgefunden?
  • Absicht: Beurteilen Sie, warum die Gewalt angewendet wurde. Diente sie dazu, schlimmere Gewalt zu verhindern oder zu bestrafen?
  • Wirkung: Bestimmen Sie die Auswirkungen auf das Opfer. Fühlt sie sich verängstigt?
  • Handlungsfähigkeit: Ermitteln Sie, inwieweit jede Person für sich selbst Entscheidungen treffen kann. Opfer berichten oft, dass sie von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden oder dass ihre Präferenzen nicht beachtet werden.
  • Durchsetzung des Willens: Untersuchen Sie, was passiert, wenn es in der Beziehung unterschiedliche Wünsche oder Bedürfnisse gibt, und wie, wenn überhaupt, Kompromisse geschlossen werden. Durchsetzung des eigenen Willens bedeutet, das zu tun, was man will, ohne Rücksicht auf die Wünsche der anderen Person.
  • Einfühlungsvermögen: Opfer entschuldigen sich oft für die gewaltausübende Person und haben Mitgefühl mit dieser. Täter:innen fehlt es in der Regel an Empathie für die emotionalen Erfahrungen ihre:r Partner:in.
  • Anspruchsdenken: Diese Haltung, die auf mangelndes Einfühlungsvermögen zurückzuführen ist, ermöglicht es der gewaltausübenden Person, ihren Willen gegenüber einer anderen Person durchzusetzen. Opfer zeigen seltener ein Anspruchsdenken und spielen die erlebte Gewalt oft herunter.
  • Angst: Kontrollierende Verhaltensweisen flößen Angst ein. Beurteilen Sie das Ausmaß der Angst einer Person, wovor sie Angst hat und wie diese Angst ihr Verhalten und ihr tägliches Leben beeinflusst.
Indikatoren für d:ie Hauptaggressor:in

Es gibt keine eindeutigen Indikatoren, aber eine Person ist wahrscheinlich d:ie Hauptaggressor:in, wenn sie:

  • ihren Partner eher aus lauter Ärger als aus Angst kritisch herabwürdigt.
  • übertrieben ruhig und selbstbewusst auftritt und keine Angst vor rechtlichen Konsequenzen zeigt.
  • übertrieben charmant oder charismatisch ist.
  • eine Vorgeschichte von Wegweisungen, Verhaftungen oder Verurteilungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt aufweist.
  • über den Vorfall vage und allgemein spricht, mit Details, die nicht mit den bekannten Fakten übereinstimmen.
  • Verletzungen aufweist, die eher darauf hindeuten, dass sie der Aggressor war, z.B. Kratzer an Armen und Händen.
  • ein Gefühl des Besitzes, des Anspruchs oder der Besessenheit von ihre:r Partner:in zeigt.
  • die Reaktion des „Systems“ (z.B. Gerichte, Polizei) auf häusliche Gewalt kritisiert.
  • sich auf die Verletzung ihrer Rechte und nicht auf die Gewalt, die sie erlebt hat, konzentriert.
  • Kinder als ihr Eigentum betrachtet, glaubt, dass ihre Kinder respektiert und „belehrt“ werden müssen, und nicht in der Lage ist, sich auf deren Bedürfnisse zu konzentrieren.
  • versucht, Gutachter:innen so zu manipulieren, dass diese glauben, sie sei die geschädigte Person.
  • Fragen ausweicht und versucht, das Gespräch zu kontrollieren.
  • bei Gutachter:innen das Gefühl hinterlässt, durch verbale Überredungskunst manipuliert zu werden.
  • den Anschein erweckt, Macht und Kontrolle über ihren:r Partner:in zu haben.
  • ein sekundäres Motiv hat, z.B. eine familiengerichtliche Angelegenheit oder eine Affäre.
  • jegliches Fehlverhalten leugnet und keine Verantwortung für die Situation übernimmt.
  • kein Einfühlungsvermögen für die emotionalen Erfahrungen de:r Partner:in hat.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, warum eine Person fälschlicherweise als Hauptaggressor:in wahrgenommen werden kann:

  • Annehmen, dass beide Parteien gleichermaßen gewalttätig oder gefährdet sind: Es ist sehr ungewöhnlich, dass beide Personen in einer intimen Beziehung Gewalt in gleichem Ausmaß, mit gleichem Risiko und gleichen Folgen anwenden und erleben.  Es gibt seltene Situationen, in denen die Gewalt auf Gegenseitigkeit beruht und beide Personen Gewalt gegeneinander anwenden (außer wenn die gewaltbetroffene Person anwendet, um sich selbst zu verteidigen).
  • Wahrnehmung der Betroffenen als Täter:in: Wenn Betroffene Gewalt zur Selbstverteidigung oder zur Verhinderung eines drohenden Angriffs, zur Verteidigung von Kindern oder anderen Personen oder als Akt des Widerstands oder der Vergeltung anwendet, wird es häufig fälschlicherweise als d:ie Hauptaggressor:in identifiziert. Das Risiko, dass eine betroffene Person als Täter:in identifiziert wird, erhöht sich, wenn die betroffene Person sich nicht als ewaltbetroffen zu erkennen geben will. Dies kann eine Reihe von Folgen für die betroffene Person haben, wie z.B. weitere Isolation, Verlust der Betreuung der Kinder, verstärkter Einsatz von Bewältigungsmechanismen wie Alkohol- oder Drogenkonsum, Schwierigkeiten beim Zugang zu Hilfsdiensten oder bei der Meldung künftiger Gewalttaten sowie ein erhöhtes Schadensrisiko.
  • Wahrnehmung de:r Täter:in als gewaltbetroffene Person: Dies kann vorkommen, wenn die betroffene Person eine Gewalttat zur Selbstverteidigung oder zur Verhinderung eines drohenden Angriffs, zur Verteidigung von Kindern oder anderen Personen oder als Akt des Widerstands oder der Vergeltung begeht. In solchen Fällen kann d:ie Hauptaggressor:in die Gewalttat der betroffenen Person und die Verletzungen, die die betroffene Person infolge dieser Gewalt erlitten hat, dazu benutzen, das eigene missbräuchliche und gewalttätige Verhalten zu verbergen. In diesen Situationen kann d:ie Hauptaggressor:in an ungeeignete, auf Betroffene ausgerichtete Dienste verwiesen werden, an Selbstvertrauen gewinnen und die Schwere der Gewalttaten erhöhen oder es können Kinder in Gefahr geraten.

In vielen Fällen häuslicher Gewalt ist die Polizei die erste Anlaufstelle für Opfer. Sie muss ihren gesetzlichen Auftrag zur Verfolgung der Straftat und zur Verhinderung weiterer Straftaten umsetzen sowie Maßnahmen durchführen, die sich am Unterstützungsbedarf der Opfer wie auch der Täter:innen orientieren.

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Dabei sind insbesondere die folgenden Leitprinzipien zu berücksichtigen:

  • In jedem Fall von häuslicher Gewalt schreitet die Polizei schnell und konsequent ein. In einigen europäischen Ländern ist die Polizei verpflichtet, bei häuslicher Gewalt einzugreifen, auch wenn Opfer keine Anzeige erstattet, da es sich um eine Straftat im Rahmen der öffentlichen Ordnung handelt.
  • Das Einschreiten der Polizei gewährleistet einen wirksamen und umfassenden Schutz, Hilfe und Beratung für die Opfer. Polizeibeamt:innen können die Privatsphäre und die Würde der Opfer schützen, indem sie es mit nicht gekennzeichneten Polizeifahrzeugen an einen sicheren Ort bringen, z.B. in die Wohnung eines zuvor autorisierten Familienmitglieds, um eine sekundäre Viktimisierung zu vermeiden.
  • In jedem Fall von häuslicher Gewalt wird das Rückfallrisiko bewertet, und in Fällen mit hohem Risiko werden geeignete Maßnahmen ergriffen, um das Risiko von Gewalt zu minimieren. Ein Hochrisikofall ist immer dann anzunehmen, wenn sich Menschen subjektiv von schwerer Gewalt oder einem Tötungsdelikt durch d:ie (Ex-) Partner:in oder andere Angehörige bedroht fühlen und konkrete Anhaltspunkte für diese Bedrohung vorliegen.
  • Die gewaltausübende Person wird auf die Strafbarkeit ihres Handelns aufmerksam gemacht.
  • Ist eine Straftat begangen worden, ist die konsequente Beweissicherung und Strafverfolgung von besonderer Bedeutung, auch wenn das Opfer noch keinen Strafantrag gestellt hat.
  • Die Polizei geht mit anwesenden Kindern und Jugendlichen verantwortungsvoll und angemessen um. Einige europäische Länder haben spezielle Einheiten für die Betreuung von Kindern eingerichtet, um auf die besonderen Bedürfnisse junger Opfer einzugehen.
  • Die Polizei passt ihre Vorgehensweise an die jeweilige Einsatzsituation an und berücksichtigt bei Bedarf den Migrationshintergrund, die Behinderung und das Alter der Opfer.
  • Die Polizei arbeitet eng mit staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen wie Staatsanwaltschaften, Jugendämtern, Interventionsstellen, Ehe-, Erziehungs-, Familien- und Lebensberatungsstellen, Kinderschutzdiensten, Frauenhäusern, Täterberatungen und anderen regionalen Einrichtungen zusammen.
  • Die Polizei sorgt für eine kontinuierliche Aus- und Fortbildung zur weiteren Qualifizierung und Sensibilisierung der Polizeibeamt:innen für das Phänomen der häuslichen Gewalt.
  • Die Polizei betreibt eine gezielte und angemessene Öffentlichkeitsarbeit zum Thema häusliche Gewalt und stellt die Arbeit der Polizei nach außen transparent dar.

Insgesamt sollte bei Fällen von häuslicher Gewalt der Grundsatz gelten, zu ermitteln und zu helfen und nicht nur zu vermitteln. In einigen europäischen Ländern ist Mediation zwischen Opfer und de:r Täter:in gesetzlich verboten.


Konsequentes polizeiliches Einschreiten sollte dazu beitragen, dass sich die Einstellung der Gesellschaft zu häuslicher Gewalt ändert. Täter:innen sollte klar gemacht werden, dass ihr Verhalten gesellschaftlich geächtet und niemals akzeptiert wird. Opfern sollten Möglichkeiten aufgezeigt werden, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, und es sollte ihnen Hilfe und Beratung angeboten werden.

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Das schnelle Eintreffen am Ort des Geschehens, ein beschützendes und respektvolles Auftreten und Helfen wird von Opfern durchweg positiv wahrgenommen. Ein wahrgenommenes Desinteresse und die Verharmlosung der Situation führen hingegen zu Kritik an der Polizei.5

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Szenario: Betreten einer Wohnung nach einem Notruf

Das Opfer, die Kinder des Opfers oder die Nachbar:innen setzen einen Notruf ab, und Streifenbeamt:innen betreten die Wohnung.

Mögliche Antworten
  • Der allererste Schritt: Gewährleistung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für alle beteiligten und anwesenden Personen
  • Erste-Hilfe-Maßnahmen
  • Absetzen eines Notrufs an den medizinischen Notdienst (je nach Schwere der Verletzung und, falls erforderlich, mit Zustimmung der betroffenen Person)
  • Information über die Rechte und Pflichten von Gewaltbetroffenen/Täter:innen/Zeug:innen, den Ablauf des Verfahrens
  • Getrennte Befragung von Betroffenen/Täter:innen/Zeug:innen
  • Beweissicherung und Dokumentation
  • Hinweis auf die Möglichkeit der Dokumentation von Verletzungen (durch Polizei, Arzt oder Gewaltschutzambulanz)
  • Opferschutzgespräch
  • Annäherung an gefährdete Personen
  • Risikoeinschätzung
  • Wegweisung de:r Täter:in
  • Annäherungs- und Betretungsverbot für Täter:innen
  • Ingewahrsamnahme de:r Täter:in
  • Wenn Minderjährige betroffen sind: Information des Jugendamts über den Vorfall
  • Weitergabe von Informationen über Unterstützungsdienste (NGOs, Gewaltschutzambulanzen) für Gewaltbetroffene/Täter:innen/Angehörige, z.B. indem der betroffenen Person mitgeteilt wird, dass die Polizei in der Regel ihre Kontaktdaten an das örtliche Beratungszentrum weitergibt. Auf diese Weise ist es für Betroffene einfach, Zustimmung zu geben sowie vom Unterstützungsdienst kontaktiert zu werden, anstelle selbst dort anrufen.
  • Vermittlung von Betroffenen an das Hilfsnetz, z.B. durch einen proaktiven Ansatz
  • Falls erforderlich, Überweisung der gewaltbetroffenen Person an eine Unterkunft

Spezifische Informationen darüber, wie man mit Opfern häuslicher Gewalt spricht, finden Sie in Modul 3. Das Miteinander zwischen Polizeibeamt:innen und Opfern wird durch geschlechtsspezifische Einstellungen und Vorurteile beeinflusst. Dies kann zu Fehleinschätzungen aufgrund von Stereotypen über häusliche Gewalt führen. Lernen Sie mehr über Stereotype und unbewusste Vorurteile  in Modul 8.

Fallstudie: Ein Mann als Opfer häuslicher Gewalt

16:34 Uhr Streit im Parkhaus eines Einkaufszentrums

Ein Aufschrei von Frau E. ist zu hören, als ihr Kopf über dem Fahrereingang auf das Autodach schlägt. Passanten bemerken daraufhin einen lauten Streit und ein Handgemenge zwischen dem Paar. Als das Paar ins Auto steigt, um loszufahren, werden sie von einer Autofahrerin mit ihrem Fahrzeug blockiert. Herr E. flieht daraufhin.

16:37 Uhr Notruf in der Notrufleitstelle

Ein Passant ruft die Polizei.

16:50 Uhr Polizeiauto trifft am Tatort ein

Der Bericht von Frau E. und die Zeugenaussagen können nicht vollständig klären, was passiert ist. Die Zeugen wollen gesehen haben, dass Herr E. gegenüber Frau E. gewalttätig war. Frau E. sagt jedoch, dass sie sich nur gestritten hätten, woraufhin sie verzweifelt ins Auto stieg und sich am Kopf verletzte. Sie stritten danach weiter und wollten nach Hause fahren, wurden aber daran gehindert. Herr E. sei vermutlich aufgrund der heftigen verbalen Attacken der Passanten in Panik geflohen.

Die Polizeibeamten nehmen die Aussagen und Personalien der Zeugen und von Frau E. auf. Dabei werden Frau E. auch Fragen gestellt, die der Einschätzung der Gefahr eines erneuten Übergriffs dienen. Frau E. lehnt eine ärztliche Untersuchung ab und wird auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre Verletzung in den folgenden Tagen in einem Krankenhaus rechtssicher, kostenlos und gegebenenfalls anonym dokumentieren zu lassen. Nachdem Frau E. über ihre Opferrechte aufgeklärt wurde, spricht einer der beiden Polizisten das Thema häusliche Gewalt einfühlsam an und weist auf die Möglichkeiten der Fachberatung und des proaktiven Vorgehens hin. Frau E. hört sich diese Hinweise und die Erläuterung der polizeilichen Schutzmöglichkeiten (Betretungs- und Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz, Herantreten an gefährdete Personen, Wegweisung, Unterbringung in einem Frauenhaus) an, bleibt aber standhaft, dass zu Hause alles in Ordnung sei. Sie lehnt jegliche Unterstützung und den ihr angebotenen Informationsflyer ab. Da die Gesamtumstände auf einen Fall von häuslicher Gewalt hindeuten, teilen die Polizeibeamten Frau E. mit, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann wegen Körperverletzung einleiten und händigen ihr ein Opferschutzblatt mit dem Aktenzeichen der Polizei aus.

Frau E. macht sich schließlich allein und aufgrund ihrer Kopfverletzung mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Heimweg.

19:14 Uhr Notruf in der Notrufleitstelle

In der Leitstelle geht ein Notruf von Nachbar:innen ein, die sich über störenden Lärm in der Wohnung von Herrn und Frau E. beschweren.

19:35 Uhr Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaars E.

Zwei Polizeiautos treffen an der Adresse des Paares ein, da der Einsatz vom Nachmittag und die Adresse des Paares E. bereits im Polizeisystem gespeichert sind. Die Polizeibeamten gehen davon aus, dass es einen weiteren Vorfall von häuslicher Gewalt geben könnte. Die Polizeibesatzung, die die Wohnung betritt, sieht sofort, dass das Ehepaar und die Mutter von Frau E. alkoholisiert sind. Getrennt befragt, bagatellisieren alle drei Parteien den Vorfall und geben an, dass sie sich darüber aufgeregt hätten, dass Herr E. am Nachmittag geflohen sei und seine Frau mit der Polizei und einer Kopfverletzung allein gelassen habe. Da weder Herr E. noch die Mutter von Frau E. sichtbare Verletzungen aufweisen und es keine konkreten Hinweise auf eine Straftat gibt, werden die Anwesenden aufgefordert, Ruhe zu bewahren und darauf hingewiesen, dass bei einem erneuten Einschalten der Polizei eine strafbare Verwaltungsübertretung wegen Lärmbelästigung vorliegen könnte.

21:44 Uhr Notruf in der Einsatzzentrale

Wieder ein Notruf der Nachbar:innen wegen Ruhestörung. Die Nachbar:innen sagen: „Nebenan geht es ganz schön zur Sache. Ich glaube, die haben wieder eins ihrer Probleme.“

22:10 Uhr Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaars E.

Da der Verdacht besteht, dass es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt handelt, treffen erneut zwei Polizeiautos ein. Darunter befinden sich Polizeibeamte vom vorherigen Einsatz in der Wohnung der Familie E. Sie stellen fest, dass der Grad der Alkoholintoxikation des Ehepaars E. sowie der Mutter von Frau E. im Vergleich zum vorherigen Besuch deutlich höher zu sein scheint. Außerdem weisen alle Anwesenden Blutspuren, Verletzungen an Händen, Armen und im Gesicht auf. Die Verletzungen von Herrn E. sind besonders schwer.

Erneut werden alle drei Personen getrennt vernommen, wobei Frau E. und ihre Mutter angeben, dass Herr E. ihnen gegenüber gewalttätig wurde und sie sich wehren mussten.

Herr E. bricht vor einem Beamten weinend zusammen und sagt, dass er die seit Jahren andauernde Gewalt seiner Frau und Schwiegermutter nicht mehr ertragen könne und an diesem Abend nichts anderes zu tun wisse, als ebenfalls gewalttätig zu werden. Trotz seiner starken Trunkenheit wirkt Herr E. glaubwürdig und macht schlüssige Angaben zum Tatgeschehen und zur bisherigen Gewalt.

Frau E. und ihre Mutter werden mit den Informationen von Herrn E. konfrontiert, woraufhin sie verbal sehr aggressiv reagieren und beide auf Herrn E. losgehen wollen, um ihm „zu zeigen, was es heißt, solche Lügen über sie zu verbreiten“. Weitere gewalttätige Übergriffe auf Herrn E. können durch die Polizeibeamte verhindert werden.

Herr E. will die Wohnung verlassen und kann nur in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden, da es keine spezielle Unterkunft für Männer als Opfer häuslicher Gewalt gibt. Er möchte bereits am nächsten Tag eine Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer aufsuchen und seine Verletzungen ärztlich dokumentieren lassen. Im Gegensatz zu Frau E. und ihrer Mutter erklärt er sich mit einer sofortigen medizinischen Behandlung seiner Verletzungen einverstanden. Zur Behandlung seiner Verletzungen wird Herr E. mit einem Rettungswagen in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren. Von dort aus geht er allein in die Notunterkunft. Beide Frauen beteuern erneut, dass sie sich gegen die Angriffe von Herrn E. nur „wehren“ mussten. Die Polizei schätzt daher das Risiko, dass Herr E. erneut Opfer von gewalttätigen Übergriffen durch seine Frau und ihre Mutter wird, als sehr wahrscheinlich ein.    

In den folgenden Tagen und Wochen

Im Zuge der weiteren Ermittlungen werden die Zeug:innen der ersten Auseinandersetzung auf dem Parkplatz und eine Nachbarin der Familie E. polizeilich vernommen. Herr E. macht eine ausführliche Aussage bei der Polizei, in der er erneut die Entwicklung und sukzessive Zunahme der Gewalt gegen ihn beschreibt, sowie seine Angst, dass jemand herausfinden könnte, dass er Opfer von Gewalt in seiner Beziehung ist.

Auch der rechtsmedizinische Bericht des Krankenhauses wird in die Ermittlungen einbezogen, der den von Herrn E. geschilderten Tathergang stützt. Frau E. und ihre Mutter äußern sich nur zu den Strafanzeigen wegen Körperverletzung gegen Herrn E. Dabei halten sie an ihrer ursprünglichen Version fest, dass Herr E. die Gewalteskalation verursacht habe, verstricken sich aber in dokumentierte Widersprüche. In Bezug auf den Vorwurf der schweren Körperverletzung gegen Herrn E. machen beide von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Herr E. wendet sich an eine Fachberatungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer. Ihm wird die alleinige Nutzung der ehelichen Wohnung zugestanden.

Nach vier Wochen werden die polizeilichen Ermittlungen mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass Herr E. offenbar seit Jahren Opfer von Gewalt durch seine Frau und deren Mutter ist. Beide Vorfälle werden zur weiteren Entscheidung an die Sonderabteilung für Fälle häuslicher Gewalt der Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Interventionen bei häuslicher Gewalt sind, wie eine Vielzahl polizeilich relevanter Situationen, hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen schwer zu standardisieren. Eine Intervention folgt in der Regel auf ein Gewaltdelikt.

Szenario: Das Opfer erstattet Anzeige, ohne dass ein aktueller Vorfall vorliegt

Das Opfer sucht eine Polizeidienststelle auf und erstattet Anzeige, ohne dass ein Vorfall vorliegt.

Mögliche Antworten
  • Klärung und Erfassung des Sachverhalts: Wer ist d:ie Täter:in? Wie viele Vorfälle von häuslicher Gewalt hat es gegeben? Über welchen Zeitraum? In welcher Intensität? usw.
  • Suche nach Möglichkeiten der nachträglichen Beweissicherung: Gab es Zeug:innen? Gab es Besuche bei Ärzt:innen? Gibt es Mitwissende? Gibt es Beweismittel in anderer Form?
  • Information über Rechte und Pflichten, den Ablauf des Verfahrens
  • Risikoeinschätzung und ggf. Einleitung der notwendig erscheinenden Schutzmaßnahmen (in Bezug auf den Täter z.B.: Gefährderansprache, Wegweisung, Annäherungs- und Betretungsverbot, Inhaftierung; in Bezug auf das Opfer: Opferschutzgespräch, ggf. Unterbringung)
  • Verbreitung von Informationen über Hilfsangebote (NGOs, Gewaltschutzzentren)
  • Vermittlung in das Hilfsnetz, z.B. durch einen proaktiven Ansatz

Sowohl Täter:innen als auch Opfer befinden sich in psychischen Ausnahmesituationen. Dies kann zu völlig untypischem und irrationalem Verhalten führen. Die Aggressionen können sich auch gegen die eintreffenden Polizeibeamt:innen richten. Die Polizei kann folgende Maßnahmen ergreifen:6

Opfer-bezogene Maßnahmen
  • Persönlicher Kontakt mit Geschädigten/Opfern
  • Räumliche Trennung der beteiligten Parteien
  • Verhinderung der Beeinflussung des Opfers durch d:ie Täter:in
  • Dokumentation von spontanen Aussagen des Opfers
  • Dokumentation des Tatortes (z.B. zerstörte Wohnungseinrichtung)
  • Identifizierung von Zeug:innen, die Beobachtungen gemacht haben
  • Aussagekräftige Dokumentation von Verletzungen unter möglicher Einbeziehung der Rechtsmedizin (z.B. Fotos)
  • Körperliche Untersuchung des Opfers durch eine:n Ärzt:in
  • Verwendung des Formulars zur Einwilligung in die Weitergabe von personenbezogenen Daten (ärztliche Schweigepflichtentbindung)
  • Prüfung eines Hochrisikofalls und ggf. Einleitung geeigneter Maßnahmen
  • Zeug:innenbefragung und Einleitung eines Strafverfahrens (Ausnutzung der Aussagebereitschaft des Opfers)
  • Information des Opfers über die rechtlichen Möglichkeiten
  • Vermittlung an eine Interventionsstelle oder andere Unterstützungseinrichtungen (z.B. Frauenhaus oder Gewaltschutzzentren), Opferschutzbeauftragte
  • Aushändigung von verfügbarem Informationsmaterial über Unterstützungsangebote
  • Weiterleitung des Beratungsbedarfs an die zuständige Interventionsstelle mit Zustimmung des Opfers
  • Bei Anwesenheit von Kindern in jedem Fall sofortige Benachrichtigung der Kinder- und Jugendhilfe
  • Begleitung des Opfers bei erhöhter Gefährdungseinschätzung zu Schutzunterkünften oder Kinderschutzdiensten
  • Begleitung des Opfers in die Wohnung bei erhöhter Gefährdungseinschätzung
Täter:innen-bezogene Maßnahmen
  • Durchführung notwendiger Maßnahmen zur Gefahrenabwehr unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit (z.B. Wegweisung, Wohnungsverweisung, Sicherungsverwahrung)
  • Bei Wohnungsverweis: Information über Art, Umfang und Dauer des Wohnungsverweises, Möglichkeit der Mitnahme von Gegenständen des täglichen Bedarfs, Sicherstellung der Wohnungsschlüssel, Benennung der neuen Postanschrift
  • Belehrung als Beschuldigte:r und Vernehmung des/der Beschuldigten
  • Dokumentation von Sachverhalten, die die Gefahrenprognose stützen
  • Durchführung strafprozessualer Maßnahmen (z.B. Durchsuchung, Beschlagnahme von Beweismitteln, Blutentnahme, Festnahme)
  • Aushändigung von Informationsmaterial
  • Weiterleitung des Beratungsbedarfs an die zuständige Täterberatungsstelle mit Einverständniserklärung der Person, bzw. bei einem Betretungs- und Annäherungsverbots d:ie Täter:in an eine Beratungsstelle für ein verpflichtendes Gewaltprävention verweisen
Täterarbeit

Um häusliche Gewalt wirksam bekämpfen zu können, müssen die Täter:innen ihr gewalttätiges Verhalten aufarbeiten, was in der Regel nur mit professioneller Hilfe möglich ist. Zu diesem Zweck gibt es Beratungsstellen und Gewaltpräventionsberatung für Täter:innen von häuslicher Gewalt. In Beratungsprozessen wird ein gewaltfreier Umgang mit Beziehungen entwickelt. Die Arbeit mit den Täter:innen ist darauf ausgerichtet, die Gewalt durch Verhaltens­änderungen langfristig zu beenden. Die Täterarbeit wirkt präventiv und dient damit dem Schutz der Opfer.


Gewalt zwischen Eltern ist für Kinder und Jugendliche eine äußerst belastende Situation. Wird häusliche Gewalt bei der Polizei angezeigt, sollten sich die polizeilichen Maßnahmen auch an den anwesenden Kindern und Jugendlichen orientieren. Sie brauchen altersgerechte Erklärungen über die eingeleiteten Schritte und das polizeiliche Vorgehen. Wenn Minderjährige in einem Haushalt leben, in dem es zu Gewalt zwischen den Eltern kommt, werden sie oft Zeug:innen davon.7 Sie werden aber nicht nur Zeug:innen, sondern oft auch selbst Opfer von direkter körperlicher und/oder psychischer Gewalt. Dies kann auch zu Vernachlässigung führen und damit das Kindeswohl gefährden.8

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Kinder und Jugendliche, die in ihrer Familie Gewalt erleben, zeigen eine Vielzahl von Reaktionen auf das erlebte Verhalten. Zum Beispiel:

Reaktionen von betroffenen Kindern und Jugendlichen
  • Sie glauben, dass sie die Schuld an der gegenwärtigen Situation tragen.
  • Aus Angst alarmieren sie die Polizei oder Nachbar:innen.
  • Sie versuchen, den Vater/die Mutter zurückzuhalten, um die Mutter/den Vater zu schützen und werden dadurch selbst misshandelt oder in den Konflikt verwickelt.
  • Sie übernehmen die Elternrolle innerhalb der Familie, manchmal auch für ihre Geschwister.
  • Sie sind von ihren Eltern überfordert und werden als einzige Quelle von Trost und Kontakt funktionalisiert.
  • Sie vermeiden es, ihre Gefühle und Erfahrungen auszudrücken.
  • Sie beschützen ihre Eltern. („Sie wollen nicht das Kind eine:r Kriminellen sein.“/“Sie wollen ihre Eltern nicht verlieren.“)
  • Sie erkennen ihre Eltern nicht mehr als Autoritätspersonen an.
  • Sie verlieren die Bindung zu ihren Eltern, weil sie deren Verhalten nicht verstehen.
  • Sie vermeiden den Kontakt zu Freunden im häuslichen Umfeld.
  • Sie übernehmen das Verhalten ihrer Eltern.
Folgen für Kinder und Jugendliche9,10,11,12

Beobachtete und erlebte Gewalt hat erhebliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche und führt zu emotionalen, körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen. Anhaltende Gewalt kann ein Trauma verursachen, das sich in Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, depressiven Verstimmungen, erhöhter Reizbarkeit oder Aggression äußert. Schwere Verletzungen oder der Tod eines Elternteils können das gesamte Leben des Kindes beeinträchtigen. Häusliche Gewalt beeinträchtigt auch das Erlernen von Problemlösungsmustern und kann zu zukünftigen gewalttätigen Verhaltensweisen und Erfahrungen führen. Folglich erleiden Kinder und Jugendliche einen erheblichen Verlust an Lebensqualität, sozialer Integrität und Entwicklungschancen.

Die Häufung solcher Erfahrungen wird mit problematischem Drogenkonsum, Suizidalität, posttraumatischen Belastungsstörungen und Jugendkriminalität in Verbindung gebracht. Diese Erfahrungen erhöhen das Risiko einer weiteren Viktimisierung. Bei Kindern, die mehrfache Viktimisierungserfahrungen gemacht haben, insbesondere im Zusammenhang mit sexueller Gewalt oder elterlichem Missbrauch, ist das Risiko einer erneuten Viktimisierung bis zu siebenmal höher als bei Kindern ohne eine solche Vorgeschichte. Das Miterleben von häuslicher Gewalt zwischen den Eltern vervierfacht das Risiko neuer Viktimisierungserfahrungen.

Die kumulative Wirkung dieser Erfahrungen hat tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Viktimisierung und der damit verbundenen Probleme erheblich.

Weitere Informationen zum Einfluss häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche finden Sie in Modul 2.

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Kinder und Jugendliche beurteilen Situationen häuslicher Gewalt häufig als ein Spannungsverhältnis, in dem sie sich zwischen ihren Eltern und, im Falle eines polizeilichen Einschreitens, auch gegenüber den Polizeibeamt:innen befinden. Manchmal versuchen sie, das „Familiengeheimnis“ zu wahren. Da ihnen nicht alle Informationen zur Verfügung stehen, nehmen sie die Situation besonders intensiv wahr, so dass polizeiliche Maßnahmen gegen ihre Eltern auf sie bedrohlich und beängstigend wirken können. Aufgrund der psychischen Ausnahmesituation, in der sich die Eltern befinden, ist es nicht mehr ihre Aufgabe, sich um das Wohlergehen ihrer Kinder zu kümmern und ihnen ausreichend Aufmerksamkeit und das nötige Verständnis entgegenzubringen. Es ist daher wichtig, dass die einschreitenden Polizeibeamt:innen ihr Handeln so schnell wie möglich auf die anwesenden Kinder und Jugendlichen ausrichten, nachdem sich die Situation stabilisiert hat.

Ihr Verhalten sollte gekennzeichnet sein durch:13

  • Schutz vor weiteren Gefahren, um eine beruhigende Wirkung zu erzielen
  • Persönliche Vorstellung und altersgemäße Kommunikation und Kontaktaufnahme
  • Ansprache von Kindern und Jugendlichen auf „gleicher Augenhöhe“, ggf. in der Hocke
  • Kindgerechte und altersgemäße Beschreibung der Situation, der Einsatzlage und der Ziele des Polizeieinsatzes
  • Möglichst keine Anwendung von direktem Zwang gegenüber den Eltern, wenn ein Kind anwesend ist
  • Berücksichtigung der besonderen Anforderungen bei der Vernehmung eines Kindes, insbesondere des Zeugnisverweigerungsrechts und der Reife des Kindes
  • Vermeidung von Mehrfachanhörungen und Nutzung von speziellen Kinderanhörungsräumen
  • Gewährleistung einer sicheren Unterbringung und angemessenen Betreuung der Kinder
  • Aushändigen von altersgerechtem Informationsmaterial
  • Benachrichtigung der Kinder- und Jugendhilfe, Prüfung der Inobhutnahme und ggf. der Ersatzvormundschaft
  • Ausführliche Dokumentation des Aufenthaltsortes der Kinder zum Tatzeitpunkt, ihres (emotionalen) Zustandes, was sie erlebt haben und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind/waren
  • Keine Anwendung von direktem Zwang gegen Kinder (z.B. bei der Inobhutnahme)

Unabhängig davon, ob Kinder nur Zeug:innen von Gewalt oder selbst Opfer von Gewalt sind, müssen anwesende Kinder immer als Opfer betrachtet werden. Ihnen muss die notwendige Aufmerksamkeit zuteilwerden.


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Wenn Menschen mit Migrationshintergrund Opfer häuslicher Gewalt werden, besteht ein Spannungsverhältnis zu polizeilichen Maßnahmen. Das Ehrgefühl und religiöse Ansichten können sich erheblich voneinander und vor allem von westeuropäischen Werten unterscheiden. Insbesondere aufgrund geschlechtsspezifischer Rollenvorstellungen sind Frauen mit Migrationshintergrund zunehmend zurückhaltend, den/die Täter:in anzuklagen und ihre Situation zu erkennen. Vor allem die Angst, aus der Familie ausgeschlossen zu werden oder die Gefahr, dass ihnen die Kinder weggenommen werden, kann dazu führen, dass die Opfer die Gewalt tolerieren. Unklare Rechtsvorstellungen, Sprachbarrieren, die Sorge um das Aufenthaltsrecht und die wirtschaftliche Situation erschweren es den Opfern, einen Ausweg aus der Gewalt zu finden. Hier ist besondere Unterstützung notwendig. Gewaltanwendung in fremden Familien kann nicht als „kulturell bedingt“ gerechtfertigt werden und sollte daher unter keinen Umständen toleriert werden. Aufgrund von Sprachbarrieren, religiösem Hintergrund und Rollenvorstellungen können sowohl Opfer als auch Täter ungewohnt reagieren. Dies kann dazu führen, dass Opfer die Polizei ablehnen.14

Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass nicht alle Opfer häuslicher Gewalt mit Migrationshintergrund eine homogene Gruppe bilden. Selbst innerhalb ein und derselben Kultur gibt es Unterschiede, je nach Alter der Personen, je nachdem, ob die Familie in der Stadt oder auf dem Land lebte, je nach ethnischer Gruppe, Bildung, Religion usw. Daher muss jedes Gewaltopfer als Individuum betrachtet werden, und seine besonderen Herausforderungen und Stärken müssen berücksichtigt werden. Andererseits können Menschen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund in ihrem neuen Wohnsitzland aufgrund von Sprachbarrieren und mangelnder Unterstützung vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Die folgenden Aspekte sind daher besonders wichtig:15

  • Opfer-bezogene Maßnahmen: Opferbezogene Maßnahmen für Frauen sollten nach Möglichkeit von einer Polizeibeamtin durchgeführt werden (Befragung, Beratung).
  • Sprachbarrieren: Die Berücksichtigung von Sprachbarrieren und religiösen Hintergründen bei der Durchführung von Befragungen und Interventionen ist wichtig. Die Polizei muss sicherstellen, dass Dolmetscherdienste zur Verfügung stehen.
  • Einsatz von Dolmetscher:innen: Wenn ein:e Polizeibeamt:in nicht über ein für den Dolmetscher:inneneinsatz geeignetes Gerät verfügt (z.B. ein Smartphone mit einer entsprechenden Anwendung) oder nicht weiß, welche Übersetzungsdienste in der eigenen Polizeidienststelle eingesetzt werden, müssen die Vorgesetzten sicherstellen, dass die Mitarbeitenden über eine ausreichende Ausbildung und entsprechende Geräte verfügen. Bei der Auswahl eine:r Dolmetscher:in ist zu berücksichtigen, dass einige Sprachen oder Dialekte nur von einer relativ kleinen Anzahl von Personen gesprochen werden. Dies birgt die Gefahr, dass der/die Dolmetscher:in die zu dolmetschende Person wiedererkennt. Es ist sinnvoll, die zu dolmetschende Person zu fragen, welche Sprache sie bevorzugt und ob die Herkunftsregion des:r Dolmetscher:in für sie von Bedeutung ist. So sprechen beispielsweise viele syrische/irakische Kurden neben kurdischen Dialekten auch Arabisch, sodass ein:e Dolmetscher:in eingesetzt werden kann, der/die ägyptisches Arabisch spricht. Wenn die Person einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit angehört, ist es sinnvoll, herauszufinden, ob sie eine:n bestimmte:n Dolmetscher:in wünscht. Telefondolmetschen kann eine gute Praxis sein, um die Offenlegung persönlicher Daten zu vermeiden und das Risiko der Wiedererkennung zu verringern. Auch wenn Dolmetschende an die Schweigepflicht gebunden sind, kann die Minimierung des Risikos dazu beitragen, dass sich das Opfer sicherer fühlt. Weitere Informationen über Kommunikation und den Einsatz von Dolmetscher:innen bei häuslicher Gewalt finden Sie unter Modul 3.
  • Keine Verwandten als Dolmetscher:innen: Verwenden Sie keine Kinder oder Verwandte als Dolmetscher:innen, um Sprachbarrieren zu überwinden.
  • Getrennte Befragung: Befragen Sie das Opfer immer getrennt von der Familie, um sicherzustellen, dass die Aussagen des Opfers nicht durch die Anwesenheit der Familie beeinflusst werden.
  • Verhaltensanalyse: Analysieren Sie das Verhalten und die Aussage des Opfers im Hinblick auf mögliche Einflussfaktoren (Angst vor Repressalien, Familie, Ausgrenzung).
  • Akzeptanz der Unterstützung: Es kann sein, dass die Unterstützung durch die Polizei aufgrund des Rollenverständnisses des Opfers nicht angenommen wird. Verweisen Sie in solchen Fällen das Opfer an andere Einrichtungen, wie z.B. Beratungsstellen.
  • Risiko der Ausgrenzung: Berücksichtigen Sie das Risiko, dass das Opfer aufgrund der Beschuldigung aus der Familie und dem sozialen Umfeld ausgeschlossen wird. Achten Sie besonders auf die Bedeutung der Familie/Ehre im Zusammenhang mit der Anzeige und den Anschuldigungen des Opfers.
  • Einbeziehung von Vertrauenspersonen: Die Einbeziehung einer Vertrauensperson des Opfers kann zusätzliche Unterstützung und Beruhigung bieten.

Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund können auch Opfer ganz bestimmter Formen von häuslicher Gewalt werden. Dazu gehören Zwangsheirat oder weibliche Genitalverstümmelung. Erfahren Sie mehr über spezielle Gewaltformen in Modul 1.

In bestimmten Fällen wird Ausländer:innen der Aufenthalt nur zur Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihre:r inländischen Ehegatt:in gewährt. Wird die eheliche Lebensgemeinschaft aufgelöst, kann dies zum Verlust des Aufenthaltstitels führen. Dies kann von einem europäischen Land zum anderen variieren. In Österreich kann beim vorliegen von „besonders berücksichtigungswürdigen Gründen“ ein unabhängiger Aufenthaltstitel zugesprochen werden. Das trifft auf Opfern von Zwangsehen zu, sowie in Fällen, in denen gegen d:ie Partner:in eine Wegweisung oder Einstweilige Verfügung ausgesprochen wurde. Diese Verlängerung entspricht meistens der Länge des Vorherigen Aufenthaltstitels, bzw. 12 Monate. Bei sonstigen Fällen liegt eine unabhängige Verlängerung im Ermessen der Behörden.


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Aufgrund ihrer Einschränkungen sind Menschen mit Behinderungen oft auf die Hilfe ihrer Umgebung und ihrer Betreuungspersonen angewiesen. In den meisten Fällen ist d:ie Täter:in eine Person, die der behinderten Person vertraut oder nahesteht (z.B. ein naher Verwandter, eine Betreuerin, ein Assistent der behinderten Person). Manchmal wird diese Abhängigkeit auch von Partner:innen oder Vertrauenspersonen missbraucht. Da die Opfer in der Regel von ihren Partner:innen abhängig sind, um ihren Alltag zu bewältigen, ertragen sie die Gewaltsituation und nehmen sie als selbstverständlich hin. Wenn sie sich gegen die Gewalt wehren, müssen sie mit negativen Folgen in der täglichen Versorgung und mit einem Verlust der Versorgung rechnen. Der Umgang mit behinderten Menschen als Opfer von häuslicher Gewalt bedarf daher besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme.

Viele behinderte Menschen wollen oder können nicht über häusliche Gewalt sprechen. Manche wissen vielleicht nicht, dass sie Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Sie fühlen sich vielleicht schuldig und schämen sich für das Geschehene, sind besorgt über die möglichen Konsequenzen für d:ie Täter:in oder fürchten sich vor d:eren Drohungen und Ablehnung. Äußere Anzeichen für häusliche Gewalt können wiederholte blaue Flecken, Verletzungen oder Prellungen sein, die nicht zu den Erzählungen der behinderten Person oder ihrer Angehörigen passen. Sie können auch unterernährt sein und entweder zu viele Medikamente einnehmen oder die Einnahme vernachlässigen. Auch das Verhalten der Opfer kann sich verändern. Häusliche Gewalt kann zu Ängstlichkeit, Depressionen, Selbstmordgedanken, emotionaler Abhängigkeit und Aggression führen. Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen sind im Laufe ihres Lebens sehr viel häufiger allen Formen von Gewalt ausgesetzt.16 Eine Behinderung oder Krankheit ist ein Aspekt, der bei der Hilfeleistung berücksichtigt werden muss. Dies ist ein sehr wichtiger Aspekt, da die daraus resultierenden Umstände und Bedürfnisse bei der Hilfeleistung berücksichtigt werden müssen. Unter anderem muss die fehlende (barrierefreie) Infrastruktur zur Unterstützung von Opfern mit Behinderungen nach Gewalterfahrungen berücksichtigt werden. Oftmals sind nur wenige Schutzräume und Beratungsstellen barrierefrei.

Folgende wesentliche Punkte sind zu berücksichtigen:17

  • Respektvoller Umgang mit dem Opfer
  • Sprechen Sie nicht mit einer behinderten Person in Gegenwart eine:r potenziellen Täter:in
  • Berücksichtigung der Art der Behinderung und Anpassung des Verhaltens und der Maßnahmen
  • Sicherstellung der Kommunikation (Gehörlose, Sprachbehinderte) durch spezielle Hilfsmittel oder Dritte (Vertrauensperson, Gebärdendolmetscher:in)
  • Prüfen Sie insbesondere den Bedarf an Assistenz
  • Prüfen, ob die Hilfsmittel für die behinderte Person geeignet sind
  • Unterstützung bei der Mitnahme persönlicher Gegenstände
  • Für eine sichere Unterbringung der Opfer sorgen
  • Erkennen Sie die Erschöpfung der Betreuungsperson und weisen Sie die Betreuungsperson gegebenenfalls auf Hilfe hin
  • Dokumentieren Sie die Befragung, wenn Sie den Verdacht haben, dass es sich bei der zu befragenden Person z.B. um eine Person mit einer Entwicklungsbehinderung handelt

Häusliche Gewalt gegen ältere Menschen ist ein weitgehend tabuisiertes Thema. Häusliche Gewalt kann aber auch im Alter erlebt werden. Schwieriger wird das Thema, wenn es um ältere Menschen geht, die pflegebedürftig und damit auf Hilfe angewiesen sind. Hier ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, da Befragungen nur mit Personen durchgeführt werden können, die dazu körperlich und geistig in der Lage sind. Hinzu kommt, dass ältere Menschen in Studien oft unterrepräsentiert sind und tendenziell eine sehr geringe Aussagekraft haben. Viele ältere Menschen schämen sich, über häusliche Gewalt zu sprechen, oder sie wissen vielleicht nicht einmal, dass sie häusliche Gewalt erleben. Einige von ihnen können auch von der gewaltausübenden Person abhängig sein. Aus Angst, in einem Pflegeheim zu landen, ziehen sie es vor, von der gewaltausübenden Person betreut zu werden. Das Bild der Viktimisierung im Alter muss und wird daher unvollständig bleiben, wenn man die hohe Dunkelziffer berücksichtigt.18

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Pflegende Angehörige können auch körperliche und verbale Gewalt von Pflegebedürftigen erfahren. Das Spektrum reicht also von Gewalt durch pflegende Angehörige, die mit der Last der Pflege überfordert sind, bis hin zu gezielter Misshandlung oder Vernachlässigung. Es umfasst auch die Misshandlung von Angehörigen durch die Pflegebedürftigen selbst. Zu diesem Problemfeld gehören besondere Hürden und Schwierigkeiten beim Zugang zu Hilfen auf Seiten der Opfer sowie eine Infrastruktur, die sich bisher vor allem auf Opfer im jüngeren und mittleren Alter konzentriert.19

Zur Verbesserung der Handhabung sollten folgende Prioritäten berücksichtigt werden:20

  • Erkennen der Problematik
  • Sensibler Umgang mit Opfern
  • Verbesserung des Problembewusstseins und der Kenntnisse über das Problem
  • Entwicklung von Interventionsfähigkeiten
  • Anbieten von Hilfe
  • Erkennen der Erschöpfung der Pflegeperson und ggf. Verweisen auf Hilfe
  • Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen für eine kurzfristige Unterbringung
  • Einbindung des sozialpsychiatrischen Dienstes


Stalking tritt häufig im Zusammenhang mit Fällen von häuslicher Gewalt auf, insbesondere nach Trennungen. Stalking bezeichnet das absichtliche und wiederholte Verfolgen und Belästigen einer Person in einer Weise, dass ihre Sicherheit bedroht und ihre Lebensweise erheblich beeinträchtigt wird.

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Ein typisches Stalking-Verhalten gibt es nicht. Es kann eine Vielzahl von Stalking-Verhaltensweisen geben, die das Opfer oft gleichzeitig betreffen. Klassische Verhaltensweisen von Stalkenden sind:

  • Andauernde Anrufe, Textnachrichten,
  • Briefe, E-Mails, Nachrichten in sozialen Netzwerken
  • Wiederholte Anwesenheit in der Nähe des Opfers
  • Ständiges Verfolgen des Opfers
  • Verbaler Missbrauch
  • Nötigung
  • Drohungen
  • Bestellung von Waren
  • Beschädigung von Eigentum
  • Ausspionieren von Daten
  • Ständige Geschenke als „Liebesbeweis“
  • Verbreiten von Bildern oder Dateien des Opfers in der Öffentlichkeit
  • Körperliche Übergriffe auf das Opfer

Anhaltendes Stalking kann zu anhaltenden schweren körperlichen und psychischen Symptomen beim Opfer führen.

Die rechtliche Behandlung von Stalking kann in Europa von Land zu Land unterschiedlich sein.


Umgang mit dem Opfer

Die folgenden Empfehlungen und Tipps sollten dem Opfer im Umgang mit de:r Täter:in und dem Stalking gegeben werden:

  • Konsequente Vermeidung des Kontakts zwischen dem Opfer und de:r Täter:in
  • Vermeidung von Begegnungen mit de:r Täter:in
  • Umfassender Schutz und Dokumentation des Kontakts de:r Täter:in mit dem Opfer
  • Bekanntmachen des Stalkings im persönlichen Umfeld des Opfers
  • Unverzügliche Kontaktaufnahme des Opfers mit der Polizei im Falle einer akuten Bedrohung/Verfolgung
  • Sorgfältiger Umgang mit persönlichen Daten und Dokumenten (Adresse, Filmaufnahmen, Fotos)
  • Nutzung von technischen Schutzmöglichkeiten (geheime Telefonnummer, Second Line, Abhören)
  • Angemessene Sicherung von Wohnung und Eigentum (z.B. Auto)
  • Informationen über Hilfsangebote (Beratungsstellen und Schutzräume)
  • Informationen zu medizinischen und psychotherapeutischen Unterstützungsangeboten sowie zu gerichtsverwertbaren Unterlagen
  • Beratung über die Möglichkeiten von Schutzanordnungen

Umgang mit de:r Täter:in

  • Durchführung von Vernehmungen und Risikoeinschätzung
  • Intensive Gespräche zur Gewinnung von Erkenntnissen und einer möglichen Deeskalation der Situation
  • Klärung des Unrechtsgehaltes der Straftat
  • Täter:in im Fokus der Polizei halten
  • Täter:innenberatung einleiten und ggf. vermitteln

Weitere Ressourcen zum Thema Stalking für Strafverfolgungsbehörden finden Sie hier.


Das Einschreiten der Polizei in Fällen häuslicher Gewalt dient sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung. In einigen europäischen Ländern muss der Fall nach dem Einschreiten der Polizei das Gerichtsverfahren durchlaufen. Bei häuslicher Gewalt, die sich gegen d:ie Täter:in richtet, kommen ein Platzverweis, die Räumung der Wohnung, ein Aufenthaltsverbot, ein Kontaktverbot oder eine Inhaftierung in Betracht. Von besonderer Bedeutung ist das Rückkehrverbot, das von der Polizei ausgesprochen werden kann, wenn dies zur Abwehr einer aktuellen Gefahr durch eine in der Wohnung lebende Person erforderlich ist.

Vorgerichtliches Verfahren

Strafrechtliche, zivilrechtliche, familienrechtliche und verwaltungsrechtliche Vorverfahren/Anhörungen, die unvoreingenommen und sensibel für die besonderen Bedürfnisse von Opfern häuslicher Gewalt sind, sind von wesentlicher Bedeutung, um ihr Recht auf Gerechtigkeit zu gewährleisten. Die wesentlichen vorgerichtlichen Dienste der Strafjustiz spiegeln die internationale Verpflichtung des Staates und seiner Justizbehörden wider, die Hauptverantwortung für die Ermittlungen und die Einleitung der Strafverfolgung zu übernehmen und gleichzeitig die Opfer in die Lage zu versetzen, sachkundige Entscheidungen in Bezug auf ihre Zusammenarbeit mit dem Strafjustizsystem zu treffen.

Zu den Vorverfahren/Anhörungen in Strafsachen gehören Kautionsverhandlungen, Verhandlungen zur Beweisaufnahme, die Auswahl der Anklagepunkte, die Entscheidung zur Strafverfolgung und die Vorbereitung des Strafverfahrens. In Zivil- und Familiensachen gehören dazu vorläufige Sorgerechts- und Unterhaltsverfügungen, Offenlegungsverfahren in Zivilsachen und die Vorbereitung auf eine Verhandlung oder Anhörung. In verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, wie z.B. bei Entschädigungsregelungen für strafrechtliche Verletzungen, kann dieses Verfahren auch ohne oder zusätzlich zu Straf- und/oder Zivilverfahren durchgeführt werden und die Bereitstellung von Unterlagen für Anträge umfassen.

Obwohl das Ermittlungsverfahren nur einen kleinen Teil der Aufgaben eine:r Polizeibeamt:in ausmacht, sollten Sie die folgenden wichtigsten Aspekte im Auge behalten, um zu wissen, was nach Beendigung Ihrer Tätigkeit geschieht.

  • Die Hauptverantwortung für die Einleitung der Strafverfolgung sollte bei der Justizbehörde und nicht beim Opfer liegen.
  • Das Opfer muss über alle Entscheidungen zur Strafverfolgung informiert werden, es sei denn, es gibt an, dass es diese Informationen nicht wünscht.
  • Die Entscheidung, keine Strafverfolgung einzuleiten, sollte nicht allein auf der Tatsache beruhen, dass kein rechtsmedizinischer Bericht vorliegt oder dass der Bericht nicht schlüssig ist.
  • Es müssen alle relevanten Informationen eingeholt werden. Dazu können auch der psychosoziale Kontext der Gewalt, medizinische, gerichtsmedizinische und andere relevante Berichte und Informationen gehören.
Gerichtsverfahren

Opfer häuslicher Gewalt, die in Straf- und Zivilprozesse verwickelt sind, können sich durch das Justizsystem bedroht und überfordert fühlen oder durch die Behandlung von Justizdienstleistern erneut viktimisiert werden. Die internationalen Opferrichtlinien und -normen fordern Maßnahmen, um weitere Härten und Traumata zu vermeiden, die sich aus der Teilnahme an der Verhandlung selbst ergeben können. Sie sollten auch dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit der Opfer-Überlebenden im Prozess maximiert und ihre Handlungsfähigkeit während der Prozessphase gefördert wird, während gleichzeitig sichergestellt wird, dass in Strafsachen die Last der Rechtsfindung beim Staat liegt. Die Justizbehörden werden während der Gerichtsverfahren als wesentlich angesehen und spiegeln international vereinbarte Modellstrategien wider. Dies schließt (1) ein freundliches und förderliches Gerichtsumfelds, in dem sich die Opfer sicher und wohl fühlen können, während sie über das Erlebte berichten, (2) Verfahren, die eine erneute Viktimisierung minimieren, und die (3) Anwendung von Beweismethoden in einer nicht diskriminierenden Weise ein.

Wenn möglich, kann ein:e Sozialarbeiter:in das Opfer durch die verschiedenen Phasen des Gerichtsverfahrens begleiten. In einigen europäischen Ländern ist dieser Dienst auf Anfrage verfügbar.

Die Rolle der NROs ist von wesentlicher Bedeutung für die Unterstützung der Opfer in dieser Phase des Prozesses. Ergänzend zur Arbeit eine:r Anwält:in verfügen sie über die Fähigkeit, diese Zeit des Stresses und der Ungewissheit zu erleichtern, indem sie den Opfern psychologische Unterstützung in Bezug auf Wohnung, Unterkunft, finanzielle Hilfe und Kinder bieten.

Nachverfahren

Das Justizwesen kann eine wichtige Rolle bei der Verhinderung künftiger Gewalt spielen, indem es zum einen ein deutliches Signal an die Gemeinschaft sendet, dass häusliche Gewalt nicht geduldet wird, und zum anderen dafür sorgt, dass die Täter:innen zur Rechenschaft gezogen und resozialisiert werden, und indem es die Rückfallquote verringert. Die internationalen Normen und Standards fordern die Staaten auf, Behandlungen und Wiedereingliederungs-/ Resozialisierungsprogramme für Täter:innen zu entwickeln und zu evaluieren, bei denen die Sicherheit der Opfer im Vordergrund steht, und sicherzustellen, dass die Einhaltung dieser Programme überwacht wird. Die Standards fordern die Staaten auch auf, dafür zu sorgen, dass geeignete Maßnahmen zur Beseitigung häuslicher Gewalt ergriffen werden.

Zu den Verfahren nach dem Strafverfahren gehören Sanktionen in Bezug auf den Schutz des Opfers, die Minimierung des Risikos einer erneuten Straftat durch Täter:innen und die Rehabilitation der Täter:innen. Sie umfasst auch Präventions- und Hilfsdienste für Opfer, die in Justizvollzugsanstalten inhaftiert sind, und für inhaftierte Opfer, die häusliche Gewalt erlitten haben.

Bei der Untersuchung von Fällen häuslicher Gewalt kommt eine Vielzahl von möglichen Straftaten in Betracht. Die Strafverfahren in Fällen häuslicher Gewalt  unterscheiden sich in den einzelnen europäischen Ländern. Einen Überblick über die Strafverfahren in den IMPROVE- und VIPROM-Partnerländern  finden Sie in Modul 7.


  1. Peichel, J. 2011. Destruktive Paarbeziehungen: Wie entsteht die Spirale der Gewalt? In: Blickpunkt EFL-Beratung Ausgabe 27/2011, S. 6-17. ↩︎
  2. Johnson, R. R. 2004. Police Officer Frustrations about Handling Domestic Violence Calls. The Police Journal, 77(3), 207-219. https://doi.org/10.1350/pojo.77.3.207.54090 ↩︎
  3. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf ↩︎
  4. Western Australian Common Risk Assessment and Risk Management Framework (CRARMF). 2021. Fact Sheet 4  – Determining the primary aggressor. https://www.wa.gov.au/system/files/2021-10/CRARMF-Fact-Sheet-4-Primary-aggressor.pdf ↩︎
  5. Institut für Polizei und Sicherheitsforschung (IPoS). 2010. Evaluation von Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalteskalationen in Paarbeziehungen bis hin zu Tötungsdelikten und vergleichbaren Bedrohungsdelikten. Abschlussbericht. https://polizei.nrw/sites/default/files/2016-11/Gewaltesk_Evaluation_lang_0.pdf ↩︎
  6. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf ↩︎
  7. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). 2014. Aktionsplan ll der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, 4. Auflage, S. 9. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93228/77ac63e8f600d39c8fb5ae9ed2080653/aktionsplan-ii-zur-bekaempfung-von-gewalt-gegen-frauen-data.pdf ↩︎
  8. Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.). 2010. Begleiteter Umgang bei häuslicher Gewalt. https://www.big-berlin.info/sites/default/files/medien/begleiteter_umgang.pdf ↩︎
  9. Charak, R., J. Ford, C. Modrowski & P. Kerig. 2019. Polyvictimization, Emotion Dysregulation, Symptoms of Posttraumatic Stress Disorder, and Behavioral Health Problems among Justice-Involved Youth: A Latent Class Analysis. Journal of Abnormal Child Psychology, 47(2), 287–298. ↩︎
  10. Finkelhor, D., R. K. Ormrod & H. A. Turner. 2007. Poly-Victimization: A neglected component in child victimization. Child abuse & Neglect 31 (1), 7–26. ↩︎
  11. Finkelhor, D., R. K. Ormrod & H. A. Turner. 2007. Re-victimization patterns in a national longitudinal sample of children and youth. Child Abuse & Neglect 31 (5), 479–502. ↩︎
  12. Ford, J. D., J. D. Elhai, D. F. Connor, & B. C. Frueh. 2010. Poly-Victimization and Risk of Posttraumatic, Depressive, and Substance Use Disorders and Involvement in Delinquency in a National Sample of Adolescents. Journal of Adolescent Health, 46(6), 545–552. ↩︎
  13. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf ↩︎
  14. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). 2014. Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93968/f832e76ee67a623b4d0cdfd3ea952897/gewalt-paarbeziehung-langfassung-data.pdf ↩︎
  15. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf  ↩︎
  16. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). 2012. Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Ergebnisse der quantitativen Befragung. Endbericht. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94206/1d3b0c4c545bfb04e28c1378141db65a/lebenssituation-und-belastungen-von-frauen-mit-behinderungen-langfassung-ergebnisse-der-quantitativen-befragung-data.pdf ↩︎
  17. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf ↩︎
  18. Görgen, T., Nägele, B., et al. 2012. Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben älterer Menschen. Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse zu Gefährdungen älterer und pflegebedürftiger Menschen. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.). https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94188/26fade4c1250f7888ef17b68f2437673/kriminalitaets-und-gewalterfahrungen-aelterer-data.pdf ↩︎
  19. Görgen, T., Nägele, B., et al. 2012. Sicher leben im Alter. Ein Aktionsprogramm zur Prävention von Kriminalität und Gewalt gegenüber alten und pflegebedürftigen Menschen. In: Deutsche Hochschule der Polizei (Hrsg.). https://www.bmfsfj.de/resource/blob/95306/26081a7ddf312a0e790eca503ede57fa/sicher-leben-im-alter-data.pdf ↩︎
  20. Thüringer Polizei. 2023. Polizeiliche Maßnahmen in Fällen Häuslicher Gewalt. Leitlinien der Thüringer Polizei. https://polizei.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Thueringer_Polizei-Portal/lpd/Polizeiliche_Praevention_Lebenslagen/Haeusliche_Gewalt/231215_Leitlinien_Haeusliche_Gewalt_Stand_2023__final_.pdf ↩︎
  21. Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK). 2023. Informationsblatt für Betroffene von Stalking. https://www.polizei-beratung.de/fileadmin/Medien/045-IB-Stalking.pdf ↩︎