Einleitung Willkommen zu Modul 3 über „Kommunikation in Fällen von häuslicher Gewalt“. In diesem Modul befassen wir uns mit den wichtigsten Aspekten der Kommunikation beim Umgang mit häuslicher Gewalt. Das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen dem Ansprechen von häuslicher Gewalt und der Verwendung wirksamer Kommunikationsstrategien ist von entscheidender Bedeutung für eine gute Betreuung von Opfern.
Lernziele + Verstehen, welche bestehenden Barrieren Opfer davon abhalten, über häusliche Gewalt zu sprechen. + Kommunikationsstrategien erlernen, die auf die spezifischen Herausforderungen von Fällen häuslicher Gewalt zugeschnitten sind. + Screening-Fragen kennenlernen. + Angemessen und einfühlsam reagieren, wenn häusliche Gewalt angesprochen wird, damit sich Opfer unterstützt und verstanden fühlen. + Verstehen und Anwenden von visuellen Kommunikationsmethoden, um die Kommunikation in Fällen häuslicher Gewalt zu verbessern. + Verstehen, was als Nächstes zu tun ist, wenn Opfer häusliche Gewalt ansprechen.
1. Hindernisse beim Ansprechen häuslicher Gewalt
„Das größte Problem bei der sexuellen Gewalt und bei häuslicher Gewalt ist die Scham. Und zwar die Scham, die die Opfer empfinden. Nicht die Täter, sondern die Opfer. Deshalb ist es so wichtig, dass wir darüber sprechen, dass wir keine Tabus haben. Wir müssen hinschauen – und helfen.“
Marlene Lufen, Fernsehmoderatorin
Menschen, die häusliche Gewalt erleben, können auf verschiedene Herausforderungen stoßen, die es ihnen erschweren, offen über ihre Situation zu sprechen.
Bitte klicken Sie auf die Kreuze unter den einzelnen Begriffen in der Abbildung, um weitere Informationen zu einigen gängigen Barrieren zu erhalten:
Bitte denken Sie daran: Opfer von häuslicher Gewalt haben verschiedene soziale, kulturelle, wirtschaftliche und religiöse Hintergründe sowie unterschiedliches Alter, Geschlecht und sexuelle Orientierung. Es kann sich auch um Menschen mit Behinderung handeln. Es ist wichtig zu verstehen, dass es KEIN „typisches Opfer“ gibt.
Auch wenn hier in einigen Beispielvideos eine Frau in einer heterosexuellen Beziehung als Opfer von häuslicher Gewalt dargestellt wird, lassen Sie sich bitte nicht täuschen. Auch wenn die Opfer von häuslicher Gewalt weit überwiegend Frauen und die Täter:innen zu ca. 90 % Männer sind, können alle betroffen sein; insbesondere Kinder, aber auch Männer, trans und non-binäre Personen, sowie Personen mit Behinderungen jeden Geschlechts. Das Gleiche gilt für Täter:innen. Für weitere Informationen zu Täter:innen (siehe Modul 1). Außerdem kann häusliche Gewalt zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, Eltern und Kindern, Geschwistern, Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen, Großeltern oder sogar Mitbewohner:innen auftreten.
2. Kommunikationsstrategien
Um eine respekt- und vertrauensvolle Kommunikation über die erlebte Gewalt zu fördern, sollten Sie sicherstellen, dass ein privater Raum ohne Begleitpersonen (Partner:in, Kinder, andere Familienmitglieder oder familienfremde Bezugspersonen) für ein ungestörtes Gespräch zur Verfügung steht. Im Allgemeinen ist es sinnvoll „Ich-Botschaften“ zu verwenden. Diese können gezielt eingesetzt werden, um Ambivalenzen von Opfern während eines Gesprächs zu vermindern.
“Niemals etwas von vorneherein annehmen, immer fragen!”
The Royal Australian College of General Practitioners (RACGP)1
Bitte klicken Sie in der Illustration auf die Kreuze unter den einzelnen Begriffen, um weitere Informationen zu erhalten.
Die Mehrzahl der Opfer von Beziehungsgewalt befürwortet das aktive, einfühlsame Nachfragen. Gewaltopfer empfinden es oft als Erleichterung, wenn sie nicht selbst auf die Ursachen ihrer Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu sprechen kommen müssen, sondern gezielt und vorsichtig befragt werden.
Wenn das Opfer Gewalterfahrungen bejaht:
Bieten Sie eine sichere und ungestörte Umgebung (Vier-Augen-Prinzip). Ermutigen Sie die Person, darüber zu sprechen.
Hören Sie offen und unvoreingenommen zu.
Vermitteln Sie, dass Sie das Problem ernst nehmen.
Wenn das Opfer Gewalterfahrungen verneint:
Achten Sie weiter bewusst auf Anzeichen von Gewalt.
Stellen Sie Anzeichen von Fremdeinwirkung fest, benennen Sie diese und stellen Sie spezifische Fragen.
Auch wenn Opfer Gewalterfahrungen verneint, sollten Sie Ihren Verdacht dokumentieren und Informationen über Hilfsangebote geben.
„Nicht alle Opfer möchten über erlebte Gewalt reden. Es bleibt die Entscheidung des Opfers, wann für sie oder ihn der geeignete Zeitpunkt für ein Gespräch über die Gewalt ist. Für ein Gespräch mit gehörlosen Opfern oder einer Person mit geringen Deutschkenntnissen ziehen Sie eine professionelle Übersetzungsfachkraft hinzu. Vertrauen Sie den Opfern, geben Sie ihr eine ehrliche Rückmeldung über den belastenden Charakter der traumatischen Situation.“3
Lassen Sie in keinem Fall Familienangehörige, Kinder oder Freund:innen übersetzen. Achten Sie auf eine zugewandte und geschützte Gesprächssituation.4
Beginnen Sie mit allgemeinen Fragen
Verwenden Sie Aussagen wie diese, um das Thema Gewalt anzusprechen, bevor Sie direkte Fragen stellen. Offene Fragen sollten gestellt werden, um Opfer zum Reden zu ermutigen, anstatt nur Ja oder Nein zu sagen. Vermeiden Sie Fragen, die den Gewaltopfern die Schuld für die Gewalt zuschieben.
Zu verwendende Formulierungen
„Wie läuft es zu Hause?“
„Wie kommen Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin zurecht?“
„Ich weiß, dass viele Menschen Probleme mit Gewalt durch ihren Partner oder ihre Partnerin haben, mit anderen Familienmitgliedern oder einer anderen Person, mit der sie zusammenleben. Könnte es sein, dass dies auch bei Ihnen der Fall ist?“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Sind Sie von häuslicher Gewalt betroffen?“
„Hat jemand, der Ihnen nahe steht, Ihnen Gewalt angetan?“5
Fragen in den entsprechenden Kontext stellen
Schaffen Sie Raum für Stille, damit die Person Zeit hat, ihre Gedanken zu sammeln. Zeigen Sie Geduld und bewahren Sie ein ruhiges Auftreten. Signalisieren Sie aufmerksames Zuhören, sei es durch Nicken oder verbale Hinweise wie „Hmm …“. Bestätigen Sie die Emotionen und ermutigen Sie die Opfer ihre Geschichte in einem für sie angenehmen Tempo zu erzählen.
Zu verwendende Formulierungen
„Da Gewalt in unserer Gesellschaft leider so häufig vorkommt, habe ich begonnen, alle danach zu fragen.“6
„Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen, die ich allen stelle.“7
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Ich frage Sie nach Gewalt, da normalerweise nur Frauen Opfer von Gewalt sind.“
Stellen Sie direkte Fragen
Hier sind einige einfache und direkte Fragen, mit denen Sie beginnen können. Sie zeigen, dass Sie etwas über die Probleme erfahren wollen. Stellen Sie je nach Antwort weitere Fragen und hören Sie sich die Geschichte an. Wenn das Opfer eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, bieten Sie Unterstützung an.
Sagen Sie nicht, dass es nicht so schlimm sei, und spielen Sie den Schmerz nicht herunter.
Zu verwendende Formulierungen
„Haben Sie zu Hause oder in Ihrer Beziehung jemals Angst gehabt?“
„Hat Ihnen Ihr Partner/ihre Partnerin oder eine andere Person zu Hause schon einmal gedroht, Sie zu verletzen oder Ihnen körperlichen Schaden zuzufügen? Wenn ja, wann ist das passiert?“
„Versucht Ihr Partner oder eine andere Person zu Hause Sie zu kontrollieren, z. B. indem er/sie Ihnen kein Geld gibt oder Sie nicht aus dem Haus gehen lässt?“
Weitere Beispiele
„Wurden Sie unter Druck gesetzt oder zu sexuellen Handlungen gezwungen, die Sie nicht wollten?“
„Wurden Sie innerhalb des letzten Jahres von jemandem geschlagen, getreten, gestoßen oder anderweitig verletzt? Wenn ja, von wem?“8
„Fühlen Sie sich in Ihrer derzeitigen Beziehung sicher?“9
„Gibt es einen Partner/eine Partnerin aus einer früheren Beziehung, bei dem oder der Sie sich jetzt unsicher fühlen?“10
„Haben Sie sich jemals von einer Ihnen nahestehenden Person kontrolliert oder isoliert gefühlt?“11
„Haben Sie einen sicheren Ort, zu dem Sie im Notfall gehen können?“12
„Hat Ihr Partner/ihre Partnerin oder eine andere Person zu Hause jemals versucht, Sie zu kontrollieren, indem er/sie gedroht hat, Ihnen oder Ihrer Familie etwas anzutun?“13
„Wurden Sie jemals von einer Ihnen nahestehenden Person geohrfeigt, geschubst oder gestoßen?“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Warum leben Sie noch mit Ihrem Partner/Partnerin/ Familienmitglied zusammen?“
„Sie haben Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“
„Warum haben Sie das getan …?“
4. Reaktion auf das Ansprechen von häuslicher Gewalt
Die Entscheidung, über Erfahrungen mit häuslicher Gewalt zu sprechen, ist eine individuelle Entscheidung, und Opfer können sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheiden, nicht darüber zu sprechen, z. B. aus Sorge um die eigene Sicherheit, aus Angst vor möglichen Konsequenzen oder aus mangelndem Vertrauen.
Beschreibung: Das Video veranschaulicht, wie man auf das Ansprechen von häuslicher Gewalt reagieren sollte.
Wenn sich jemand öffnet, hören Sie aktiv zu, ohne zu urteilen oder Lösungen anzubieten, und geben Sie den Raum, Bedürfnisse zu äußern. Sie können zwar durch Fragen für Klarheit sorgen, aber konzentrieren Sie sich darauf, dass das Opfer seine Gefühle mitteilen kann. Achten Sie sowohl auf ausgesprochene als auch auf unausgesprochene Hinweise und wenden Sie die folgenden Techniken an, um den Gesprächspartner:innen zu helfen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und selbst ein besseres Verständnis zu erzielen.
Befähigung (Empowerment)
Opfer sollten dabei unterstützt werden, ihre Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen und zu äußern. Lassen Sie Stille zu. Wenn die Person weint, geben Sie ihr ausreichend Zeit sich zu erholen.
Es sollten keine „Warum“-Fragen gestellt werden.
Zu verwendende Formulierungen
„Gibt es irgendetwas, was Sie brauchen oder worüber Sie sich Sorgen machen?“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Warum haben Sie das getan?“
„Warum haben Sie Ihre:n Partner:in/Familienangehörigen verärgert?“
Versuchen Sie nicht, die Gedanken der Person zu Ende zu denken.15
Vertrauen aufbauen und Einfühlungsvermögen zeigen
Sorgen Sie für Klarheit in der Kommunikation, indem Sie wiederholen, was das Gewaltopfer gesagt hat, um zu bestätigen, dass Sie das Gesagte verstanden haben. Geben Sie die Emotionen der Opfer wieder und fassen Sie die von ihr oder ihm geäußerten Bedenken zusammen. Vermeiden Sie Suggestivfragen.
Zu verwendende Formulierungen
„Sie sagten, dass Sie sehr frustriert sind.“
„Es klingt, als ob Sie darüber verärgert wären…“
„Sie scheinen zu sagen, dass …“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Ich kann mir vorstellen, dass Sie das verärgert hat, nicht wahr?“
Schauen Sie nicht auf die Uhr und sprechen Sie nicht zu schnell. Gehen Sie nicht ans Telefon, schauen Sie nicht auf Ihren Computer und schreiben Sie nichts auf.16
Gefühle bestätigen
Versichern Sie der anderen Person, dass ihre Gefühle in Ordnung sind. Schaffen Sie ein sicheres Umfeld, um Gefühle zu teilen, und betonen Sie ein Recht auf ein Leben ohne Gewalt und Angst. Es ist wichtig, aufmerksam zuzuhören, zu verstehen und zu glauben, was die Person mitteilt, ohne zu urteilen oder Bedingungen zu stellen.
Zu verwendende Formulierungen
„Es ist nicht Ihre Schuld. Sie sind nicht schuld.“
„Es ist in Ordnung, darüber zu reden.“
„Hilfe ist vorhanden.“ [Sagen Sie dies nur, wenn es wahr ist.]
Weitere Beispiele
„Es gibt keine Rechtfertigung oder Entschuldigung für das, was passiert ist.“
„Niemand verdient es, von seinem Partner/seiner Partnerin oder einem anderen Familienmitglied geschlagen zu werden.“
„Ihnen ist das nicht allein passiert. Leider haben auch viele andere Menschen mit diesem Problem zu kämpfen.“
„Jeder/jede verdient es, sich zu Hause sicher zu fühlen.“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Bitte hören Sie auf sich so schlecht zu fühlen, es könnte schlimmer sein.“
„Diese Gefühle werden vergehen, daher brauchen Sie sich keine Sorgen machen.“
Unterstützung anbieten
Sehen Sie das Opfer als Expert:in der eigenen Situation. Akzeptieren Sie ihr Verhalten.17 Geben Sie keine Ratschläge, sondern betonen Sie Ihre Bereitschaft zuzuhören. Signalisieren Sie dem Opfer, dass es keine Entschuldigung für gewalttätiges Verhalten gibt. Nehmen Sie von Opfer von Gewalt ernst. Unterstützen Sie diese dabei, ihre eigenen Bedürfnisse und Sorgen zu erkennen und in Worte zu fassen.
Zu verwendende Formulierungen
„Ich weiß, dass es schwierig ist, darüber zu sprechen, aber Sie können mit mir reden.“
„Sie sind nicht allein. Ich bin für Sie da.“
„Sie sind nicht verantwortlich für das, was vor sich geht.“
Weitere Beispiele
„Gewalt ist niemals in Ordnung und Sie haben dies nicht verdient.“
„Danke, dass Sie mir das anvertraut haben und ihre Gedanken mit mir geteilt haben.“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Sie sollten sich auf jeden Fall scheiden lassen.“
„Ich glaube, das entspricht dem typischen ‚Männer’/’Frauen‘-Verhalten und es gibt keinen Grund, überzureagieren.“
Erzählen Sie der Person nicht die Geschichte eines anderen oder sprechen Sie nicht über Ihre eigenen Probleme.18
Konfrontation vermeiden
Wenn das Opfer nicht bereit ist, über die Situation zu sprechen, sollten Sie sie nicht dazu zwingen. Warten Sie den richtigen Zeitpunkt ab. Vermeiden Sie jegliche Form von Druck.
Zu verwendende Formulierungen
„Ich bin da, um zu helfen, und ich stehe zur Verfügung, auch wenn ich verstehe, dass Sie jetzt nicht darüber reden wollen.“
„Denken Sie daran, dass Sie nicht allein sind. Ich werde für Sie da sein, wenn Sie zum Reden bereit sind.“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Auch wenn Sie sich unwohl fühlen, ist es besser, darüber zu sprechen. Beantworten Sie also bitte meine Fragen.“
Eigene Entscheidungen treffen lassen
„Nicht alle Opfer möchten über mögliche erlebte Gewalt reden. Es bleibt die Entscheidung des Opfers wann für sie oder ihn der geeignete Zeitpunkt für ein Gespräch über die Gewalt ist.“19
Zu verwendende Formulierungen
„Wie kann ich Sie unterstützen?“
„Wie kann ich dazu beitragen, Ihre Sicherheit zu gewährleisten?“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„An Ihrer Stelle würde ich Anzeige erstatten.“
Möglichkeiten aufzeigen, um Hilfe zu erhalten
Informieren Sie über geeignete Unterstützungsangebote. Vermeiden Sie verurteilende Aussagen.
Zu verwendende Formulierungen
„Hier ist die Nummer Ihres örtlichen Beratungszentrums für häusliche Gewalt. Dort arbeiten Expert:innen, die Ihnen Beratung anbieten können.“
Nicht zu verwendende Formulierungen
„Sie sollten unbedingt diese Nummer anrufen und den Täter/die Täterin sofort verlassen!“
„Warum haben Sie sich nicht schon längst von dieser Person getrennt?“
„Wenn Sie früher gekommen wären, hätte ich Ihnen besser helfen können.“
5. Fragen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt aufkommen können
Im Folgenden finden Sie Antworten auf einige Fragen, die möglicherweise aufkommen, wenn Sie mit Opfern von häuslicher Gewalt arbeiten.20
„Warum keine ‚guten‘ Ratschläge anbieten?“
Für Gewaltopfer ist es wichtig, dass ihnen zugehört wird und dass sie die Möglichkeit haben, ihre Geschichte einer einfühlsamen Person zu erzählen. Die meisten wollen nicht, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen. Tatsächlich ist es viel hilfreicher, jemandem zuzuhören und mit Einfühlungsvermögen zu reagieren, als Ihnen vielleicht bewusst ist. Es ist vielleicht das Wichtigste, was Sie tun können. Opfer von häuslicher Gewalt müssen ihren eigenen Weg finden und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Darüber zu sprechen, kann ihnen dabei helfen.
Es sollten jedoch auch Informationen (z. B. in Form von Broschüren) über verfügbare Ressourcen (z. B. finanzielle Unterstützung, Kontaktdaten von Unterkünften) angeboten werden.
„Warum gehen Gewaltopfer nicht einfach?“
Es gibt viele Gründe dafür, dass Opfer in gewalttätigen Beziehungen bleiben. Es ist wichtig, sie nicht zu verurteilen und sie nicht zu drängen, die Beziehung zu verlassen. Sie müssen diese Entscheidung selbst treffen, mit ihrem eigenen Tempo. Zu den Gründen zu bleiben gehören:
Finanzielle, soziale und andere Abhängigkeiten: Viele Opfer fühlen sich von ihren Partner:innen, Familienmitgliedern oder Betreuer:innen abhängig.
Normalisierung von Gewalt: Manche Opfer denken, dass Gewalt in Beziehungen normal ist und dass alle Partner:innen/Familienmitglieder gewalttätig und kontrollierend sind, oder glauben, dass sie es verdienen.
Angst: Manche Opfer haben Angst vor einer extremen und gewalttätigen Reaktion, wenn sie die Beziehung verlassen.
Fehlende Unterstützung: Keine Anlaufstelle bzw. keine Unterstützung zu haben, kann eine Trennung erschweren.
Weitere Informationen über die Dynamik der häuslichen Gewalt finden Sie in Modul 2.
„Wie kann man in eine solche Situation geraten?“
Es ist wichtig, dass Sie den von Gewaltopfern nicht die Schuld für das Geschehene geben. Dies steht einer guten Betreuung im Weg. Gewalt ist niemals und in keiner Situation angebracht. Für Gewalt gibt es keine Entschuldigung oder Rechtfertigung. Niemand hat es je verdient, Gewalt zu erleben.
„So hat man uns das nicht beigebracht.“
IIn dieser Situation ist es nicht hilfreich, den Fokus auf polizeiliche Ermittlungen zu beschränken. Stattdessen müssen Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen, indem Sie zuhören, die Bedürfnisse und Sorgen von Opfern erkennen, deren soziale Unterstützung stärken und ihre Sicherheit verbessern. Außerdem können Sie Opfern helfen, ihre Möglichkeiten zu erkennen und abzuwägen, und ihnen das Gefühl geben, dass sie die Kraft haben, wichtige Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
„Was ist, wenn die Person zu weinen beginnt?“
Geben Sie Raum dafür. Sie können sagen: „Ich weiß, es ist schwierig, darüber zu sprechen. Sie können sich Zeit lassen.“
„Was ist, wenn ich Gewalt vermute, das Opfer dies aber nicht zugibt?“
Versuchen Sie nicht, sie zu zwingen etwas preiszugeben (Ihr Verdacht könnte falsch sein). Sie können sich trotzdem um sie kümmern und weitere Hilfe anbieten.
„Was ist, wenn Gewaltopfer möchten, dass ich mit ihrem:r Partner:in, einem Familienmitglied oder einer:m Betreuer:in spreche?“
Es ist keine gute Idee, dass Sie diese Verantwortung übernehmen. Wenn das Opfer jedoch das Gefühl hat, dass es sicher ist und es die Gewalt nicht verschlimmert, kann es hilfreich sein, wenn jemand, den der:die Täter:in respektiert, mit ihm oder ihr spricht – vielleicht ein Familienmitglied, ein:e Freund:in oder einer anderen Vertrauensperson. Warnen Sie das Opfer allerdings davor, dass es durch eine solche Intervention zu weiterer Gewalt kommen könnte.
„Was ist, wenn ich mit dem, was ich höre, nicht umgehen kann?“
Ihre Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die des Opfers das Sie betreuen. Möglicherweise haben Sie starke Reaktionen oder Emotionen, wenn Sie Opfern zuhören oder mit ihnen über Gewalt sprechen. Das gilt besonders, wenn Sie selbst Gewalt erlebt haben oder gerade erleben.
Seien Sie sich Ihrer Gefühle bewusst und nutzen Sie die Gelegenheit, sich selbst besser zu verstehen. Holen Sie sich die Hilfe und Unterstützung, die Sie für sich selbst brauchen.
6. Visuelle Kommunikation
Für Menschen, die häusliche Gewalt erleben, ist es oft schwierig, Informationen oder Beratungs- und Unterstützungsangebote zu finden. Visuelle Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung für häusliche Gewalt. Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Postern (z. B. mit QR-Codes), Broschüren oder Faltblättern, die beispielsweise in einem Vernehmungszimmer platziert oder in einer Mappe bei Einsätzen mitgeführt werden, können Opfer unterstützen.
Die visuellen Hilfsmittel vermitteln, dass dies ein sicherer Ort oder eine sichere Situation ist, um über häusliche Gewalt zu sprechen, und sie machen die Unterstützungsmöglichkeiten bekannt. Durch die Schaffung eines visuellen Umfelds, in dem häusliche Gewalt offen angesprochen wird, fühlen sich die Opfer eher ermutigt, sich zu melden und Hilfe zu suchen. Dieser proaktive Ansatz trägt dazu bei, das Schweigen über häusliche Gewalt zu brechen und eine unterstützende Atmosphäre zu fördern.
Denken Sie daran:
Verwenden Sie inklusives Bildmaterial, das die unterschiedlichen Erfahrungen der von Gewaltopfer (alle Geschlechter, ohne Stereotypen) genau darstellt.
Verwenden Sie Informationen in mehreren Sprachen.
Wählen Sie aussagekräftige Bilder, die eine positive Botschaft vermitteln. Vermeiden Sie traumatisierende Bilder, wie z. B. Darstellungen von körperlicher Gewalt, sexualisierte Darstellungen von Opfern sowie Bilder, die sich ausschließlich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen.
Hier geht es zu einem Beispielvideo, wie dieses Zeichen in einem Videoanruf verwendet wird.
Dies ist eine internationale einhändige Geste, mit der auf häusliche Gewalt aufmerksam gemacht wird. Sie kann eingesetzt werden, wenn die hilfsbedürftige Person nicht laut sprechen kann, z. B. weil der:die Täter:in in der Nähe ist (im Auto, zu Hause usw.). Das Signal wird ausgeführt, indem eine Hand hochgehalten wird, wobei der Daumen in die Handfläche gesteckt wird, und dann die vier anderen Finger nach unten geklappt werden, wobei der Daumen symbolisch von den restlichen Fingern umschlossen wird.
Broschüren
Nutzen Sie Informationsbroschüren über häusliche Gewalt oder über lokale Beratungsstellen. Mögliche Broschüren zum Auslegen:
Infoblätter zu Gewalt auf der Website der Autonomen österreichischen Frauenhäuser – www.aoef.at/index.php/infomaterial-zum-downloaden/infoblaetter-zu-gewalt
Übersicht über Borschüren zu Gewalt gegen Frauen (Bundeskanzleramt) – www.bundeskanzleramt.gv.at/service/publikationen-aus-dem-bundeskanzleramt/publikationen-zu-frauen-und-gleichstellung/gewalt-gegen-frauen.html
Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎
Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
Ashur M. L. (1993). Asking about domestic violence: SAFE questions. JAMA, 269(18), 2367. ↩︎
Rhodes KV, Frankel RM, Levinthal N, Prenoveau E, Bailey J, Levinson W. „You’re not a victim of domestic violence, are you?“ Provider patient communication about domestic violence. Ann Intern Med. 2007 Nov 6;147(9):620-7. doi: 10.7326/0003-4819-147-9-200711060-00006. PMID: 17975184; PMCID: PMC2365713. ↩︎