Video
Polizeieinsatz bei häuslicher Gewalt
Das folgende Video veranschaulicht die Arbeit der Polizei in Fällen häuslicher Gewalt:
Fallstudien und Szenarios
Fallstudie: Häusliche Gewalt nimmt mit der Zeit an Schwere zu
Frühling 2016
Familie F. lebt mit zwei kleinen Kindern seit kurzer Zeit in einer Eigentumswohnung, als Herr F. arbeitslos wurde. Frau F. kann ihre Bürotätigkeit aufstocken; sie arbeitet von zu Hause aus, da sie selbständig ist, und kann so dafür sorgen, dass der Kredit für die Wohnung weiter abbezahlt werden kann. Sie merkt, wie sehr ihr Mann unter der Situation leidet und unterstützt ihn, so gut sie kann.
August 2016
Die Situation zwischen dem Ehepaar F. ist inzwischen sehr angespannt. Seit die Kinder tagsüber in der Kindertagesstätte sind, lässt Herr F. seiner Enttäuschung und Wut über die Ablehnung seiner Bewerbungen und die damit verbundenen finanziellen Probleme ungehemmt freien Lauf, indem er seine Frau kritisiert und demütigt.
Frau F. leidet so sehr unter den Vorwürfen, dass sie eine Eheberatung vorschlägt. Sie hat große Hoffnung, dass alles besser werden kann. Sie hat das Gefühl, dass sich das Verhalten ihres Mannes völlig verändert hat, aber sie glaubt fest daran, dass er wieder der Alte sein wird, wenn er wieder Arbeit findet.
Zu Frau F.s Überraschung reagiert Herr F. heftig auf ihren Vorschlag, sich Hilfe zu holen, und schlägt seiner Frau ins Gesicht. Frau F. ist verzweifelt, hält dies aber für einen einmaligen Ausrutscher.
Oktober 2016
Ohrfeigen, Schütteln und Stöße gehören nun zur wöchentlichen Routine. Frau F. verteidigt das Verhalten ihres Mannes vor sich selbst, verbirgt es vor anderen und hofft auf Besserung durch eine neue Beschäftigung ihres Mannes.
August 2017
Im Laufe des Sommers hat sich die Situation ein wenig entspannt, da die Kinder während der Sommerferien zu Hause sind. Frau F. ist hoffnungsvoll, weil ihr Mann jetzt auch einen Kurzzeitjob antritt.
September 2017
Frau F. kann tagsüber aufatmen, weil ihr Mann nicht im Haus ist. Nachmittags und abends verbringt sie jede Minute mit den Kindern und schläft auch nachts meist bei den Kindern. Sie hat sich fast eingeredet, dass die Kinder Probleme beim Ein- und Durchschlafen haben und dass wenigstens ihr Mann durchschlafen muss.
Dezember 2017
Herr F. ist wieder arbeitslos und verfällt von einem Tag auf den anderen wieder in das alte Muster von Anschuldigungen, Demütigungen und Übergriffen gegen seine Frau.
Ein Plakat in der Kindertagesstätte macht Frau F. darauf aufmerksam, dass es eine Helpline gibt, die Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, berät. Die Anzeige kommt ihr bekannt vor, sie muss schon unzählige Male daran vorbeigegangen sein. Aber zum ersten Mal bringt sie sie mit sich selbst in Verbindung. Sie hält ihre Situation jedoch nicht für so ernst, dass sie selbst Hilfe bräuchte.
Februar 2018
Die Vorfälle häuslicher Gewalt treten in kürzeren Abständen auf, und es wird für Frau F. immer schwieriger, ihr sprunghaftes und verzweifeltes Verhalten, ihre zerrüttete Beziehung und ihre zahlreichen Verletzungen vor ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und dem sozialen Umfeld ihrer Kinder zu erklären oder zu verbergen. Sie zieht sich mehr und mehr zurück.
September 2019
Familie F. ist nun fast völlig isoliert: Ihr soziales Umfeld reagierte zunächst immer verständnisloser auf die vielen Absagen, wurde immer enttäuschter und verärgerter, da es zu Streitigkeiten kam. Schließlich zog sich ihr Umfeld resigniert zurück. Viele führten die Situation auf die spürbar angespannte finanzielle Lage der Familie zurück und gingen davon aus, dass nach dieser schwierigen Phase alles wieder beim Alten sein würde.
Nach einem besonders gewalttätigen Vorfall von körperlichen Übergriffen im Schlafzimmer am Abend, von dem Frau F. vermutet, dass die Kinder ihn gehört haben könnten, ruft Frau F. die bundesweite Frauenhelpline gegen Gewalt an. Es hilft ihr, jemanden zu haben, der ihr verständnisvoll zuhört.
Oktober 2019
Immer wieder ruft Frau F. nach Vorfällen bei der Helpline an. Schließlich lässt sie sich auch an eine örtliche Beratungsstelle verweisen und gerät zunehmend unter Druck, weil sie merkt, dass auch ihre Kinder inzwischen mehr wissen und verstehen, als sie es wahrhaben möchte. Dennoch scheint Frau F. der Schritt zur Klage und/oder Trennung unmöglich zu sein.
Von einer anderen Mutter aus der Nachbarschaft erfährt Frau F., dass die Polizei Bürger:innen auch anonym berät. Sie hat noch nie mit der Polizei zu tun gehabt, hat großen Respekt und erwartet nicht, dass dort jemand ihre Situation verstehen könnte. Trotzdem ruft sie schließlich mit unterdrückter Telefonnummer den Opferschutzbeauftragten ihres Bezirks an. Überrascht, ruhig informiert zu werden, nicht verurteilt oder gedrängt zu werden, den Fall zu anzuzeigen, fasst sie endlich mehr Mut. Der polizeiliche Rat macht ihr erst recht bewusst, was sie eigentlich längst weiß: Es gibt keinen einfachen Ausweg und ihr Familienleben ist zu zerrüttet, um weiter auf Veränderung zu hoffen. Gleichzeitig ist sich Frau F. bewusst, dass sie niemals die Kraft haben wird, sich ihrem Mann allein entgegenzustellen oder die Trennung auszusprechen.
November 2019
Frau F. wird von ihrer Beraterin aus der Fraueneinrichtung zur Polizei begleitet und erstattet Anzeige. Ihre Beraterin hat die Polizei vorab über diesen Fall informiert, und so nimmt ein Polizeibeamter, der für Fälle von häuslicher Gewalt geschult ist und bereits eine Vielzahl solcher Fälle bearbeitet hat, ihre Anzeige auf. Ihre Beraterin bleibt die ganze Zeit bei ihr. Während der Vernehmung, bei der der Beamte sehr achtsam und empathisch vorgeht, spürt Frau F., dass zwischen den Mitarbeiter:innen der Beratungsstelle und dem Polizeibeamt:innen offenbar ein Vertrauensverhältnis besteht, das es ihr erleichtert, von ihrem Leidensweg zu berichten. Der Polizeibeamte befragt sie auch zu ihrer aktuellen Gefährdungssituation und der ihrer Kinder. Frau F. kann die Situation nicht einschätzen und hat Angst vor einer Konfrontation mit ihrem Mann. Sie wird über ihre Rechte als Opfer, den weiteren Verlauf des Strafverfahrens und die polizeilichen Schutzmöglichkeiten informiert. Der Polizeibeamte informiert mit Wissen von Frau F. die Kinder- und Jugendhilfe über die Situation.
Frau F. fasst den Mut, ihren Bruder von der Polizeiwache aus anzurufen und ihn über die Situation zu informieren. Er verlässt sofort seinen Arbeitsplatz, um sie und die Kinder über Nacht bei sich aufzunehmen.
Nach der Anzeige wird Herr F. von der Polizei aufgesucht und der Wohnung verwiesen. Herr F. zeigt sich gegenüber den Polizeibeamten völlig überrascht und äußerst verärgert. Er kann nicht glauben, dass er aus der Wohnung verwiesen werden soll. Nachdem er über die rechtliche Situation aufgeklärt wurde und von den Polizeibeamten Informationen über Notunterkünfte sowie Beratungsmöglichkeiten erhalten hat, erklärt er sich bereit, sich bis auf Weiteres von seiner Frau und seinen Kindern fernzuhalten.
Frau F. ergreift, unterstützt von ihrer Beraterin im Frauenschutzzentrum, die Gelegenheit, beim Familiengericht eine Schutzanordnung zu beantragen.
Dezember 2019
Während der dreiwöchigen polizeilichen Ermittlungen macht Herr F. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und lässt sich anwaltlich vertreten. Frau F. kann in ihrer erneuten Vernehmung die langjährige Gewaltbeziehung schlüssig darlegen; auch hier wird sie von ihrer Beraterin von der Frauenschutzstelle begleitet. Auf eine Anhörung der Kinder wird aufgrund ihres Alters verzichtet. Nach der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht werden medizinische Unterlagen des Hausarztes von Frau F. in das Verfahren einbezogen, welche die Angaben von Frau F. untermauern.
Nach Abschluss der Ermittlungen leitet die Polizei die Strafanzeige zur weiteren Entscheidung an die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft für Fälle häuslicher Gewalt weiter.
Ein Familiengericht entscheidet über die Regelung des Umgangs mit den Kindern des Paares. In einem späteren Gerichtsverfahren wird Herr F. wegen mehrfacher Körperverletzung verurteilt und angewiesen, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen.
Fallstudie: Ein Mann als Opfer häuslicher Gewalt
16:34 Uhr Streit im Parkhaus eines Einkaufszentrums
Ein Aufschrei von Frau E. ist zu hören, als ihr Kopf über dem Fahrereingang auf das Autodach schlägt. Passanten bemerken daraufhin einen lauten Streit und ein Handgemenge zwischen dem Paar. Als das Paar ins Auto steigt, um loszufahren, werden sie von einer Autofahrerin mit ihrem Fahrzeug blockiert. Herr E. flieht daraufhin.
16:37 Uhr Notruf in der Notrufleitstelle
Ein Passant ruft die Polizei.
16:50 Uhr Polizeiauto trifft am Tatort ein
Der Bericht von Frau E. und die Zeugenaussagen können nicht vollständig klären, was passiert ist. Die Zeugen wollen gesehen haben, dass Herr E. gegenüber Frau E. gewalttätig war. Frau E. sagt jedoch, dass sie sich nur gestritten hätten, woraufhin sie verzweifelt ins Auto stieg und sich am Kopf verletzte. Sie stritten danach weiter und wollten nach Hause fahren, wurden aber daran gehindert. Herr E. sei vermutlich aufgrund der heftigen verbalen Attacken der Passanten in Panik geflohen.
Die Polizeibeamten nehmen die Aussagen und Personalien der Zeugen und von Frau E. auf. Dabei werden Frau E. auch Fragen gestellt, die der Einschätzung der Gefahr eines erneuten Übergriffs dienen. Frau E. lehnt eine ärztliche Untersuchung ab und wird auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre Verletzung in den folgenden Tagen in einem Krankenhaus rechtssicher, kostenlos und gegebenenfalls anonym dokumentieren zu lassen. Nachdem Frau E. über ihre Opferrechte aufgeklärt wurde, spricht einer der beiden Polizisten das Thema häusliche Gewalt einfühlsam an und weist auf die Möglichkeiten der Fachberatung und des proaktiven Vorgehens hin. Frau E. hört sich diese Hinweise und die Erläuterung der polizeilichen Schutzmöglichkeiten (Betretungs- und Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz, Herantreten an gefährdete Personen, Wegweisung, Unterbringung in einem Frauenhaus) an, bleibt aber standhaft, dass zu Hause alles in Ordnung sei. Sie lehnt jegliche Unterstützung und den ihr angebotenen Informationsflyer ab. Da die Gesamtumstände auf einen Fall von häuslicher Gewalt hindeuten, teilen die Polizeibeamten Frau E. mit, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann wegen Körperverletzung einleiten und händigen ihr ein Opferschutzblatt mit dem Aktenzeichen der Polizei aus.
Frau E. macht sich schließlich allein und aufgrund ihrer Kopfverletzung mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Heimweg.
19:14 Uhr Notruf in der Notrufleitstelle
In der Leitstelle geht ein Notruf von Nachbar:innen ein, die sich über störenden Lärm in der Wohnung von Herrn und Frau E. beschweren.
19:35 Uhr Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaars E.
Zwei Polizeiautos treffen an der Adresse des Paares ein, da der Einsatz vom Nachmittag und die Adresse des Paares E. bereits im Polizeisystem gespeichert sind. Die Polizeibeamten gehen davon aus, dass es einen weiteren Vorfall von häuslicher Gewalt geben könnte. Die Polizeibesatzung, die die Wohnung betritt, sieht sofort, dass das Ehepaar und die Mutter von Frau E. alkoholisiert sind. Getrennt befragt, bagatellisieren alle drei Parteien den Vorfall und geben an, dass sie sich darüber aufgeregt hätten, dass Herr E. am Nachmittag geflohen sei und seine Frau mit der Polizei und einer Kopfverletzung allein gelassen habe. Da weder Herr E. noch die Mutter von Frau E. sichtbare Verletzungen aufweisen und es keine konkreten Hinweise auf eine Straftat gibt, werden die Anwesenden aufgefordert, Ruhe zu bewahren und darauf hingewiesen, dass bei einem erneuten Einschalten der Polizei eine strafbare Verwaltungsübertretung wegen Lärmbelästigung vorliegen könnte.
21:44 Uhr Notruf in der Einsatzzentrale
Wieder ein Notruf der Nachbar:innen wegen Ruhestörung. Die Nachbar:innen sagen: „Nebenan geht es ganz schön zur Sache. Ich glaube, die haben wieder eins ihrer Probleme.“
22:10 Uhr Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehepaars E.
Da der Verdacht besteht, dass es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt handelt, treffen erneut zwei Polizeiautos ein. Darunter befinden sich Polizeibeamte vom vorherigen Einsatz in der Wohnung der Familie E. Sie stellen fest, dass der Grad der Alkoholintoxikation des Ehepaars E. sowie der Mutter von Frau E. im Vergleich zum vorherigen Besuch deutlich höher zu sein scheint. Außerdem weisen alle Anwesenden Blutspuren, Verletzungen an Händen, Armen und im Gesicht auf. Die Verletzungen von Herrn E. sind besonders schwer.
Erneut werden alle drei Personen getrennt vernommen, wobei Frau E. und ihre Mutter angeben, dass Herr E. ihnen gegenüber gewalttätig wurde und sie sich wehren mussten.
Herr E. bricht vor einem Beamten weinend zusammen und sagt, dass er die seit Jahren andauernde Gewalt seiner Frau und Schwiegermutter nicht mehr ertragen könne und an diesem Abend nichts anderes zu tun wisse, als ebenfalls gewalttätig zu werden. Trotz seiner starken Trunkenheit wirkt Herr E. glaubwürdig und macht schlüssige Angaben zum Tatgeschehen und zur bisherigen Gewalt.
Frau E. und ihre Mutter werden mit den Informationen von Herrn E. konfrontiert, woraufhin sie verbal sehr aggressiv reagieren und beide auf Herrn E. losgehen wollen, um ihm „zu zeigen, was es heißt, solche Lügen über sie zu verbreiten“. Weitere gewalttätige Übergriffe auf Herrn E. können durch die Polizeibeamte verhindert werden.
Herr E. will die Wohnung verlassen und kann nur in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden, da es keine spezielle Unterkunft für Männer als Opfer häuslicher Gewalt gibt. Er möchte bereits am nächsten Tag eine Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer aufsuchen und seine Verletzungen ärztlich dokumentieren lassen. Im Gegensatz zu Frau E. und ihrer Mutter erklärt er sich mit einer sofortigen medizinischen Behandlung seiner Verletzungen einverstanden. Zur Behandlung seiner Verletzungen wird Herr E. mit einem Rettungswagen in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren. Von dort aus geht er allein in die Notunterkunft. Beide Frauen beteuern erneut, dass sie sich gegen die Angriffe von Herrn E. nur „wehren“ mussten. Die Polizei schätzt daher das Risiko, dass Herr E. erneut Opfer von gewalttätigen Übergriffen durch seine Frau und ihre Mutter wird, als sehr wahrscheinlich ein.
In den folgenden Tagen und Wochen
Im Zuge der weiteren Ermittlungen werden die Zeug:innen der ersten Auseinandersetzung auf dem Parkplatz und eine Nachbarin der Familie E. polizeilich vernommen. Herr E. macht eine ausführliche Aussage bei der Polizei, in der er erneut die Entwicklung und sukzessive Zunahme der Gewalt gegen ihn beschreibt, sowie seine Angst, dass jemand herausfinden könnte, dass er Opfer von Gewalt in seiner Beziehung ist.
Auch der rechtsmedizinische Bericht des Krankenhauses wird in die Ermittlungen einbezogen, der den von Herrn E. geschilderten Tathergang stützt. Frau E. und ihre Mutter äußern sich nur zu den Strafanzeigen wegen Körperverletzung gegen Herrn E. Dabei halten sie an ihrer ursprünglichen Version fest, dass Herr E. die Gewalteskalation verursacht habe, verstricken sich aber in dokumentierte Widersprüche. In Bezug auf den Vorwurf der schweren Körperverletzung gegen Herrn E. machen beide von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
Herr E. wendet sich an eine Fachberatungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Männer. Ihm wird die alleinige Nutzung der ehelichen Wohnung zugestanden.
Nach vier Wochen werden die polizeilichen Ermittlungen mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass Herr E. offenbar seit Jahren Opfer von Gewalt durch seine Frau und deren Mutter ist. Beide Vorfälle werden zur weiteren Entscheidung an die Sonderabteilung für Fälle häuslicher Gewalt der Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Szenario: Mann droht seine Frau umzubringen
Am 19. November 2011 um 21:27 Uhr ging bei der Notrufzentrale ein Anruf ein. Der Anrufer gab sich zu erkennen und erklärte, dass er seine Frau umbringen wolle. Er erwähnte, dass er zu Hause sei, woraufhin die Polizei einen Streifenwagen zu dem Ort schickte. Als die Beamten dort eintrafen, befragten sie den Mann, der erklärte, er und seine Frau hätten Streitigkeiten über die gemeinsame Wohnung und die Wochenendgrundstücke. Er behauptete auch, dass er ständig von seiner Frau und ihrem derzeitigen Freund belästigt werde. Er drohte, dass er zu ihrer Wohnung gehen und sie umbringen würde, wenn die Beamten die Angelegenheit nicht sofort klären würden. Diese Drohung wiederholte er mehrmals. Der Mann ist der Polizei bereits wegen früherer Fälle von häuslicher Gewalt bekannt.
Aufgaben zum Weiterdenken
Welche Maßnahmen müssen Sie als Polizeibeamter ergreifen?
a) Ich würde der Frau raten, den Streit mit ihrem Partner durch eine Mediation beizulegen.
b) Ich würde die Sicherheit des Opfers in den Vordergrund stellen, indem ich sofort ein Betretungs-und Annäherungsverbot gegen den Ehemann ausspreche und dafür sorgen, dass die betroffene Frau an sicher ist beispielsweise indem ich sie an ein Frauenhaus für Opfer häuslicher Gewalt verweisen.
c) Ich würde die Situation unverzüglich an d:ie Staatsanwält:in weiterleiten, alle relevanten Beweise vorlegen und mich dafür einsetzen, dass der Verdächtige wegen der unmittelbaren Bedrohung des Opfers bis zur weiteren Untersuchung in Haft genommen wird.
d) Ich würde mit dem Ehemann Deeskalationstaktiken anwenden und gleichzeitig die Sicherheit aller Beteiligten gewährleisten, indem ich die Situation genau beobachte und gegebenenfalls eingreife, um Schaden abzuwenden.
Szenario: Betreten einer Wohnung nach einem Notruf
Das Opfer, die Kinder des Opfers oder die Nachbar:innen setzen einen Notruf ab, und Streifenbeamt:innen betreten die Wohnung.
Aufgaben zum Weiterdenken
Welche Maßnahmen stehen Ihnen im Falle eines solchen Vorgangs zur Verfügung?
Mögliche Antworten
- Der allererste Schritt: Gewährleistung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für alle beteiligten und anwesenden Personen
- Erste-Hilfe-Maßnahmen
- Absetzen eines Notrufs an den medizinischen Notdienst (je nach Schwere der Verletzung und, falls erforderlich, mit Zustimmung des Opfers)
- Information über die Rechte und Pflichten von Opfern/Täter:innen/Zeug:innen, den Ablauf des Verfahrens
- Getrennte Befragung von Opfern/Täter:innen/Zeug:innen
- Beweissicherung und Dokumentation
- Hinweis auf die Möglichkeit der Dokumentation von Verletzungen (durch Polizei, Arzt oder Gewaltschutzambulanz)
- Opferschutzgespräch
- Annäherung an gefährdete Personen
- Risikoeinschätzung
- Wegweisung de:r Täter:in
- Annäherungs- und Betretungsverbot für Täter:innen
- Ingewahrsamnahme de:r Täter:in
- Wenn Minderjährige betroffen sind: Information der Kinder- und Jugendhilfe über den Vorfall
- Weitergabe von Informationen über Unterstützungsdienste (NGOs,Gewaltschutzzentren) für Opfer/Täter:innen/Angehörige, z.B. indem dem Opfer mitgeteilt wird, dass die Polizei in der Regel die Kontaktdaten des Opfers an das örtliche Gewaltschutzzentrum weitergibt. Auf diese Weise ist es für das Opfer einfach, seine Zustimmung zu der Angelegenheit zu geben, und das Opfer wird von dem Unterstützungsdienst kontaktiert und muss nicht selbst dort anrufen.
- Falls erforderlich, Überweisung des Opfers an eine Unterkunft
Szenario: Das Opfer erstattet Anzeige, ohne dass ein aktueller Vorfall vorliegt
Das Opfer sucht eine Polizeidienststelle auf und erstattet Anzeige, ohne dass ein Vorfall vorliegt.
Aufgaben zum Weiterdenken
Welche Maßnahmen stehen Ihnen zur Verfügung?
Mögliche Antworten
- Klärung und Erfassung des Sachverhalts: Wer ist d:ie Täter:in? Wie viele Vorfälle von häuslicher Gewalt hat es gegeben? Über welchen Zeitraum? In welcher Intensität? usw.
- Suche nach Möglichkeiten der nachträglichen Beweissicherung: Gab es Zeug:innen? Gab es Besuche bei Ärzt:innen? Gibt es Mitwissende? Gibt es Beweismittel in anderer Form?
- Information über Rechte und Pflichten, den Ablauf des Verfahrens
- Risikoeinschätzung und ggf. Einleitung der notwendig erscheinenden Schutzmaßnahmen (in Bezug auf den Täter z.B.: Gefährderansprache, Wegweisung, Annäherungs- und Betretungsverbot, Inhaftierung; in Bezug auf das Opfer: Opferschutzgespräch, ggf. Unterbringung)
- Verbreitung von Informationen über Hilfsangebote (NGOs, Gewaltschutzzentren)
- Vermittlung in das Hilfsnetz, z.B. durch einen proaktiven Ansatz
Weitere Lehrmaterialien
Kurs: Notruf
Bild von vectorpouch auf Freepik
Dynamiken und Verhaltensmuster bei häuslicher Gewalt
Kerncharakteristika häuslicher Gewalt:
- Es besteht eine emotionale Bindung zwischen Täter:in und Opfer, die oft eine räumliche Trennung überdauert.
- Gewalt findet in der Regel im Verborgenen, in privaten Räumen statt. Insbesondere wenn die Wohnung der Tatort ist, fühlen sich die Opfer dort nicht mehr sicher. Natürlich ist eine gemeinsame Wohnung keine Voraussetzung für häusliche Gewalt.
- Opfer fühlen sich oft gefangen und wissen nicht, wie sie sich befreien können.
- Die körperliche, sexuelle und/oder psychische Integrität des Opfers wird durch die Handlungen des Täters wiederholt verletzt.
- Täter:innen nutzen ein bestehendes Machtungleichgewicht gegenüber den Opfern aus.
- Die Erwartung von sozialer, psychologischer und emotionaler Unterstützung in einer engen Beziehung macht häusliche Gewalt besonders verheerend, da die Gewalt von jemandem ausgeht, von dem Opfer Unterstützung erwarten. Dies kann es schwieriger machen, die Erfahrung zuzugeben. Außerdem kann das Opfer wirtschaftlich und sozial von de:r Täter:in abhängig sein, was dessen Verletzlichkeit noch erhöht.
Bitte klicken Sie auf die Kreuze, um weitere Informationen zu erhalten.
Bild von freepik