Modul 7: Prinzipien interorganisationaler Zusammenarbeit und Risikoanalyse bei Fällen häuslicher Gewalt in multiprofessionellen Teams

Zusammenarbeit zwischen Behörden – mit Fokus auf dem Gesundheitssektor

Nach einem Besuch in einer Notaufnahme sind eine Risikobewertung und ein klares Protokoll für die Überweisung von Patient/innen mit Verletzungen nach häuslicher Gewalt zu weiteren Interventionen erforderlich. Opfer schwerer intimer Partnergewalt bleiben ohne eine Intervention bei häuslicher Gewalt in Notaufnahmen der Primärversorgung.

Quelle: Hackenberg, Sallinen, Handolin, Koljonen (2019)

Mit der Enthüllung häuslicher Gewalt sind auch bestimmte Melde- und Anzeigepflichten verbunden, die je nach Berufsgruppe variieren. In Österreich betrifft das neben der polizeilichen Anzeigepflicht bei Verdacht auf Offizialdelikte auch die Anzeige- und Meldepflicht von pädagogischen und psychosozialen Berufsgruppen bei Verdacht auf unmittelbare Selbst- oder Fremd- sowie Kindeswohlgefährdung. Medizinische Berufe unterliegen ebenfalls speziellen Meldepflichten, die in den jeweiligen Berufsgesetzen geregelt sind (z. B. in: Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, Wiener Kindergartengesetz, Wiener Tagesbetreuungsgesetz, Schulunterrichtsgesetz; Psychotherapiegesetz, Psychologengesetz 2013 und Musiktherapiegesetz).

Zur Prävention neuerlicher Gewalttaten ist die Kooperation mit Organisationen und Behörden in der Täterarbeit ebenso essenziell. Dazu zählen insbesondere Männerberatungsstellen, Einrichtungen für Bewährungshilfe und Haftentlassenenhilfe sowie Justizbehörden und daran angebundene Soziale Dienste (Justizanstalten, Staatsanwaltschaft, Gerichte, Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen). Diese Einrichtungen arbeiten mit den Tätern und Täterinnen sowohl nach einem Gewaltvorfall als auch vor neuerlicher Begehung einer Gewalttat. Von diesen Einrichtungen können daher entsprechende Risikoindikatoren beobachtet werden, die dem Schutz der Betroffenen dienen. Justizanstalten, Staatsanwaltschaft und Gericht sind daher insbesondere in Bezug auf die Verhängung einer Untersuchungshaft sowie das Risiko bei Enthaftung oder Entlassung von Tätern und Täterinnen wichtige Kooperationspartner für den Opferschutz.


Experteninterview mit Daniela Dörfler & Sabine Eder zu Modul 7: Prinzipien interorganisationaler Zusammenarbeit und Risikoanalyse bei Fällen häuslicher Gewalt in multiprofessionellen Teams

Ass. Prof. OA Dr. med. Daniela Dörfler (in Weiß) ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Sie leitet die Opferschutzgruppe (OSG) des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) der Stadt Wien. Sabine Eder (in Blau) ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Fachbereichskoordinatorin und die stellvertretende Leiterin der Opferschutzgruppe. Gemäß § 15 Wiener Krankenanstaltengesetz „Früherkennung von Gewalt“ wurde die Opferschutzgruppe eingerichtet. Seit dem 1. Januar 2009 schreibt dieses die verpflichtende Einrichtung von Opferschutzgruppen in Zentral- und Schwerpunktkrankenhäusern vor. Diese umfassen ärztliche Vertreterinnen und Vertreter der Frauenheilkunde, der Unfallmedizin und der Psychiatrie, des Pflegedienstes sowie der psychologischen oder psychotherapeutischen Versorgung. Die ambulanten Stellen der Krankenanstalten sind oft die erste Anlaufstelle von gewaltbetroffenen Personen und stellen somit eine wichtige Schnittstelle zu Beratungsstellen dar. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Kinderschutzgruppe des AHK. Die Opferschutzgruppe bietet einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung und Frühintervention von gewaltbetroffenen Personen. Die Aufgaben des AKH Wien beinhalten die Beratungstätigkeit der betreuenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Erwachsenen bei Verdacht bzw. Vorliegen von Anzeichen von sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt, die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für Gewalt, das Erstellen von Dokumenten zum strukturierten Vorgehen bei Fragen des Opferschutzes, die Organisation von internen und externen Fortbildungen sowie die Spurensicherung und interdisziplinäre Zusammenarbeit. In dem folgenden Interview beantworten Ass. Prof. OA Dr. med. Daniela Dörfler und Sabine Eder die Frage, was für wirksamen Opferschutz im Krankenhaus benötigt wird.


Interview mit einer an einem Arbeitskreises für geflüchtete Opfer häuslicher Gewalt Beteiligten
Wie kommt ihr mit Betroffenen häuslicher Gewalt in Kontakt?

Klient*innen, wobei die überwiegende Zahl der betroffenen Personen Frauen sind, werden z. B. von Frauenhäusern oder Sozialstellen an uns weitervermittelt und wir beraten sie in rechtlichen Angelegenheiten (z. B.: Wie geht es mit meinem Asylverfahren weiter? Was passiert mit meinem Aufenthaltstitel?) oder bieten ihnen psychosoziale Unterstützung an. Gerade im Rahmen der psychosozialen Unterstützung entsteht eine vertrauliche Beziehung zu den Klientinnen, die es möglich macht, Traumafolgestörungen als Folge von Erfahrungen häuslicher Gewalt zu erfassen. Wichtig ist hierbei aber, dass neben all den offensichtlichen Themen, zu denen wir als psychosoziale Flüchtlingsunterstützung hinzugezogen werden (z. B. Aufenthaltssicherung oder Verbesserung der psychischen Gesundheit), häusliche Gewalt ein weiteres Thema sein kann.

Welche Unterstützung bietet ihr geflüchteten Frauen an?

Sowohl die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA) als auch Refugio als ein Arbeitsbereich der GGUA und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bieten seit einigen Jahren niedrigschwellige Angebote als Präventionsmaßnahmen an, die sozial isolierten Frauen die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen. Dazu gehört z. B. das „QUASSEL CAFE“, das einmal im Monat stattfindet und ein Treffpunkt für Frauen mit und ohne Migrationshintergrund ist. Sie können sich dort austauschen, die Sprache üben oder gemeinsam etwas unternehmen. Über eine spezielle Frauengruppe, die Refugio anbietet, treffen sich – mit therapeutischer oder pädagogischer Begleitung – Teilnehmerinnen, die gemeinsam darüber sprechen, wie sie aus der Isolation kommen und Kontakte knüpfen können, oder wie ein verbesserter Umgang mit Stress und psychischer Belastung funktionieren kann. Einige geflüchtete Frauen leben sehr isoliert, haben kaum Kontakt zu (gleichsprachigen) Menschen in den Unterkünften und leiden unter Einsamkeit. Wir bieten bei diesen Angeboten auch ein sogenanntes Genusstraining an, d.h., es gibt dabei positive Erlebnisse oder Erfahrungen, die den Frauen guttun. So sind die niedrigschwelligen Angebote auch eine Vorstufe für Opfer häuslicher Gewalt, um einen ersten Kontakt nach außen zu knüpfen. Sie lernen ihre Umwelt und ihre Möglichkeiten kennen.

Wie sehr erschwert die sprachliche Barriere eure Arbeit?

Zu den bereits bestehenden Problemen unter den geflüchteten Frauen, die isoliert sind, kommt die sprachliche Problematik noch verschärfend hinzu. Unterstützungsangebote sind aufgrund der Sprachbarriere oft kaum bekannt. Die Frauenberatungsstellen in Münster haben dem Problem mit mehrsprachigen Flyern entgegengewirkt. Aber es gibt viele niedrigschwellige Angebote (z. B. Sportangebote, Vernetzungsmöglichkeiten), die unbekannt sind. Wir arbeiten mit geschulten Sprach- und Kulturmittler*innen oder konzipieren unsere Angebote sprachreduziert, sodass eine Teilnahme auch mit geringen Deutschkenntnissen möglich ist.

Hast du eine Idee, warum sich geflüchtete Opfer häuslicher Gewalt keine Unterstützung suchen?

Weil viele Angebote zu hochschwellig und sehr viele Betroffene verängstigt sind. Man muss Brücken über niedrigschwellige Angebote bauen und positive Erfahrungen schaffen, um ihnen aus der Isolation zu helfen. Die Sprachbarriere spielt sicher auch eine Rolle. Zudem ist ein professionelles Hilfesystem mit Beratungsstellen und Frauenhäusern für viele Frauen unbekannt – sie wissen oft gar nicht, dass es diese Möglichkeiten gibt. Außerdem spielen viele andere Faktoren eine Rolle, die eine Kommunikation über schwierige Themen erschweren. So spielen die Scham der Betroffenen oder auch die Community, die nicht über häusliche Gewalt spricht und diese tabuisiert, eine große Rolle. Die Geflüchteten sind oft nicht in Strukturen eingebunden, die sie unterstützen. Nicht zuletzt werden sie durch die eigene Familie unter Druck gesetzt. Das heißt, dass nicht nur der gewalttätige Partner, sondern auch die Familie einen hohen Druck ausübt – Scheidung und Trennung sind oftmals ein soziales Tabu. Ich denke, dass die zugeschriebene Rolle in der Familie ein weiterer Faktor ist. Oftmals übernehmen die Frauen die Kinderbetreuung, während der Partner einen Deutschkurs besucht oder die anstehenden Dinge in Deutschland regelt (z. B. Aufenthalt, soziale Leistungen). Dadurch festigen sich oft bestehende Machtstrukturen. Viele Klientinnen schildern die Sorge um den Aufenthalt und die Perspektive in Deutschland als einen Faktor, weshalb sie bei ihrem Partner bleiben.

Was sind eure Aufgaben?

Unsere Aufgabe ist es, einen Ort zu schaffen, an dem Themen mithilfe einer Sprachmittlerin besprochen werden können. Wir versuchen herauszufinden, ob es sich um eine akute Bedrohungssituation handelt oder ob die Person eine Traumafolgestörung hat, und können dann den Handlungsbedarf anpassen. Bei einer akuten Bedrohungssituation vermitteln wir an Polizei, Sozialstellen, Unterkünfte oder Frauenhausstellen. Bei Traumafolgestörungen infolge einer Gewalterfahrung werden entweder ambulante Therapieplätze vermittelt oder sie werden bei Refugio an eine psychosoziale Beratung, Psychotherapie oder an unsere niedrigschwelligen Gruppenangebote angebunden. Ist der Handlungsbedarf rechtlicher Art und hat die Person Fragen bezüglich des Asylverfahrens, setzen wir uns mit der Ausländerbehörde, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder Rechtsanwälten in Verbindung und nehmen die Person in unsere soziale Beratung auf.

Wie genau ermöglichst du diese niedrigschwelligen Angebote?

In erster Linie ist es meine Aufgabe, (sekundär-)präventive Empowerment-Angebote zu schaffen. Diese Angebote betreffen Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren, aktuell sind oder sein könnten. Zu den Empowerment-Angeboten zählen unter anderem Möglichkeiten, aus der Isolation zu gelangen, Informationen zu Hilfsangeboten zu erhalten oder auch zu lernen, eigene Grenzen wahrzunehmen und zu setzen. Einige Klientinnen haben oft keine Möglichkeit, Grenzen zu setzen. Sie lassen vieles mit sich geschehen. Es ist immer schwierig, einen Weg aus dem Gewaltkreislauf zu finden. So werden auch Basisinformationen, wie z. B. die Telefonnummer der Polizei, vermittelt.

Du gehörst zum städtischen Arbeitskreis speziell für geflüchtete Opfer häuslicher Gewalt. Kannst du uns dazu noch etwas erzählen?

Die Akteurinnen in diesem Arbeitskreis kommen aus unterschiedlichen Fachrichtungen wie den Frauenberatungsstellen, Frauenhäusern, dem Sozialamt, der Polizei und der Rechtsmedizin. Der Arbeitskreis wird vom Gleichstellungsbüro organisiert und wurde aus den Arbeitskreisen „Gewaltschutz“ und „Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ gegründet. Wir nehmen mit unterschiedlichen Kolleginnen an den drei Arbeitskreisen teil, weil wir uns im Team thematisch möglichst breit aufstellen möchten. In den Arbeitskreisen werden hauptsächlich strukturelle Schwierigkeiten besprochen, Bedarfe analysiert und Angebote initiiert. Wir haben z. B. mit dem Frauensportverein ein Tanzangebot als niedrigschwelliges Angebot organisiert, das COVID-19-bedingt leider unterbrochen werden musste. Darüber hinaus findet durch die enge Vernetzung auch ein Austausch auf Einzelfallebene statt; wir haben gemeinsame Klientinnen, die wir mit je unterschiedlicher Fachexpertise unterstützen.

Was sind organisatorische Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit bei Fällen häuslicher Gewalt?

Die Zusammenarbeit wird schwierig, weil nicht genug freie Plätze in den Frauenhäusern für akute Fälle zur Verfügung stehen. Hier kommen wir schnell an den Punkt, an dem Betroffene häuslicher Gewalt nicht weitervermittelt werden können. Sind die Betroffenen untergebracht, funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Um die Angebotslücke an Frauenhausplätzen etwas zu verringern, hat der Flüchtlingssozialdienst ein Schutzhaus eingerichtet, das Opfern häuslicher Gewalt schnell aus der akuten Situation heraushilft und ihnen einen Übernachtungsplatz bietet. Das Konzept gleicht einer Unterkunft, wobei der Flur von Security-Personal überwacht wird. Das ist aber nur eine kurzfristige Lösung. Ein weiteres Problem stellt die Kosterstattung der Sprachmittlung für ambulante Psychotherapie dar, die, je nach Leistungserbringer, unterschiedlich lange dauern kann. In Münster wurde nach dem Bremer Modell die Gesundheitskarte eingeführt, was ein guter Schritt war. So können Arztbesuche stattfinden und die Abrechnung läuft über die Krankenkasse. In anderen Städten und im Umkreis von Münster muss ein Krankenschein beim Sozialamt abgeholt werden. Die dortigen Sachbearbeiter*innen entscheiden, ob ein Behandlungsbedarf besteht. Das stellt eine große Hürde dar, weil eine fachfremde Person über den Behandlungsbedarf und über die finanziellen Mittel hierfür entscheiden muss.

Wie sind deine bisherigen Erfahrungen bei der Arbeit?

Unsere Zusammenarbeit mit den Frauenberatungsstellen und den Frauenhäusern läuft viel routinierter ab. Jeder weiß, was die Stärken der jeweiligen Akteurinnen sind. Insgesamt ist die Thematik für uns viel „normaler“ geworden. Auch die Zusammenarbeit mit den Psychotherapeuten, die noch einige Fragen und Sorgen hatten (z. B. bezüglich der Therapie mit einem Dolmetscher oder auch Klienten, die gerade aus einem anderen Land gekommen sind), gestaltet sich routinierter.

Durch die Mehrfachdiskriminierung, die einige Geflüchtete erleben oder erlebt haben, aber auch durch die Art der traumatischen Ereignisse, wie z. B. Diskriminierungen auf der Flucht oder Zwangsprostitution, wirken die Themen auf einige Fachkräfte sehr abschreckend und überfordernd. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Menschen über sehr viele Ressourcen verfügen und sehr resilient sind. Dementsprechend ist nicht nur ein problemorientiertes, sondern auch ein ressourcenorientiertes Arbeiten sehr wichtig.

Was sind eure Ziele?

Unsere Ziele sind vielseitig und orientieren sich in erster Linie daran, die Geflüchteten zu bestärken und dabei zu unterstützen, ihre eigenen Rechte zu kennen und durchzusetzen. Wir unterstützen sie in rechtlichen Angelegenheiten und versuchen, den Aufenthalt zu sichern. Wichtig ist uns aber auch, politisch auf die Strukturen einzuwirken und für den spezifischen Bedarf unserer Zielgruppe zu sensibilisieren, sodass z. B. die EU- Aufnahmerichtlinie umgesetzt wird. Auch die jeweiligen Städte sollen auf das Thema „häusliche Gewalt gegenüber Geflüchteten“ aufmerksam gemacht werden. Wir versuchen, Kooperationspartner zu gewinnen, die ebenfalls auf die spezifische Zielgruppe sensibilisiert werden, um in einen gegenseitigen Austausch zu kommen und voneinander zu lernen.  So können wir alle in Fällen häuslicher Gewalt bei Geflüchteten zugunsten der Opfer handeln.


Beispiele guter Praxis

Im Rahmen des EU-Projekts IMPRODOVA wurden verschiedene Beispiele guter Praxis der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams in Deutschland identifiziert.

Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.)

Die 1993 gegründete „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ (im Folgenden: BIG) setzt sich dafür ein, die Lebensbedingungen von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, einschließlich ihrer Kinder, zu verbessern. BIG setzt sich dafür ein, soziale und berufliche Bedingungen im Bereich der Ersthilfe bei häuslicher Gewalt zu schaffen, die die Inzidenz häuslicher Gewalt verringern und den von häuslicher Gewalt Betroffenen besseren Schutz und angemessene Unterstützung bieten. Dazu gehören die Stärkung der Rechte der Opfer und die Gewährleistung, dass misshandelnde Männer für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Nur wenn die Praktiken in allen relevanten Bereichen verbessert werden, hält man dies für möglich und nachhaltig. Um diese Arbeit durchführen zu können, sind daher ein multiprofessionelles, gut vernetztes und aktives Netzwerk und ein kooperativer Ansatz wie der von BIG erforderlich.

Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.)

BIG umfasst drei Arbeitseinheiten: BIG-Koordination, BIG-Hotline und BIG-Prävention.

Die BIG-Koordination etabliert eine interorganisationale Zusammenarbeit, indem sie alle relevanten Berufsgruppen und gesellschaftlichen Kräfte, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben, einbezieht und effiziente Kooperationsstrukturen für sie schafft.

Die BIG-Koordination konzentriert sich auf die drei Gruppen, die an häuslicher Gewalt beteiligt sind (Opfer, Kinder und Täter bzw. Täterin), analysiert Praktiken oder Lücken, um dann Praktiken zu entwickeln oder zu verbessern, die den Schutz der Opfer verbessern und erhöhen. Ihre Arbeitsmethoden zielen darauf ab, zunächst Schwächen und Lücken in der Praxis durch Rückmeldungen von Opfern und dem Kooperationsnetzwerk zu identifizieren. Die identifizierten Probleme beziehen sich z. B. auf Schwierigkeiten mit Behörden oder in der Zusammenarbeit, harte Verfahren, fehlende Angebote für bestimmte Zielgruppen, Gesetzeslücken usw. Die BIG-Koordination lädt dann die für ein Problem zuständigen Experten und Expertinnen ein, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die im besten Fall in der Praxis umgesetzt werden können.

Das Kooperationsnetzwerk der BIG-Koordination

Die BIG-Koordination verfügt über ein extrem großes und breit gefächertes Kooperations-netzwerk, an dem alle relevanten Akteure und Akteurinnen verschiedener Berufe und Institutionen beteiligt sind.

  • Psychosozialer Sektor: alle Beratungs- und Interventionsstellen, Projekte und Initiativen im Kontext häuslicher Gewalt und verwandter Bereiche, alle Frauenhäuser in Berlin sowie zahlreiche weitere in Deutschland, Asylunterkünfte, Jobcenter und viele mehr
  • Bereich der Kinder- und Jugendhilfe: insbesondere Jugendämter, Kindernotruf, Mädchennotruf und z. B. ein Kindertheater
  • Gesundheitssektor: Krankenhäuser, Traumakliniken, die Berliner Ambulanz zum Schutz vor Gewalt zur Dokumentation der Verletzungen und S.I.G.N.A.L. e.V., eine weitere koordinierende NGO in Berlin, spezialisiert auf Interventionen im Gesundheitssektor bei sexualisierter und häuslicher Gewalt
  • Exekutive: Beamte und Beamtinnen der Polizei Berlin auf verschiedenen Ebenen von der Basis bis zum Hauptsitz
  • Justizsektor: Rechtsanwälte, Bezirks- und Staatsanwälte, Familiengerichte
  • Bildungssektor: Schulen und andere Bildungseinrichtungen, einschließlich Universitäten
  • Politischer Sektor: alle relevanten Senatsverwaltungen sowie die Landeskommission gegen Gewalt, Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Gleichstellungsbeauftragte der Bezirke
Arbeitsmaßnahmen
  • Arbeitsgruppen kommen oft nur für eine ganz bestimmte Frage oder ein ganz bestimmtes Dilemma zusammen. Ein Beispiel für eine solche Praxis ist eine Expertengruppe, die sich mit Risikobewertung und Fallkonferenzen befasst.
  • Im Gegensatz zu den Arbeitsgruppen, die nur übergangsweise gebildet werden, gibt es auch eine Reihe regelmäßiger runder Tische. Ziel ist der Austausch von Informationen über aktuelle Entwicklungen, Anforderungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit.
Ergebnisse der multiprofessionellen Zusammenarbeit
  • Das Gewaltschutzgesetz (2002) geht auf eine Initiative der BIG-Koordination zurück.
  • Die Berliner Definition häuslicher Gewalt (2001) ist seit fast zwei Jahrzehnten gültig.
  • Das Vorgehen der Polizei bei häuslicher Gewalt beinhaltet einen proaktiven Ansatz. Dieser ist auch in den polizeilichen Qualitätsstandards verankert. Damit soll den Opfern der Zugang zu geeigneten Unterstützungsangeboten erleichtert werden: Mit dem Einverständnis des Opfers gibt die Polizei Berlin die Kontaktdaten an die BIG-Hotline weiter und ein Berater bzw. eine Beraterin nimmt innerhalb kurzer Zeit telefonisch Kontakt mit dem Opfer auf.
  • Gerade im Bereich der Aus- und Fortbildung ist durch die BIG-Koordination, die auch Schulungs- und Informationsveranstaltungen anbietet, viel erreicht worden. Das ist wichtig – schließlich ist die Weiterbildung eine wirksame Maßnahme, um die erzielten Ergebnisse in der Praxis zu festigen.
HAIP-Netzwerk (Hannoveraner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt)

Das HAIP-Netzwerk wurde 1997 vom „Runden Tisch gegen Männergewalt in der Familie“ (gegründet 1992) entwickelt und als Versuch, die Arbeit gegen häusliche Gewalt zu strukturieren, ins Leben gerufen. Es arbeitet seitdem erfolgreich als interdisziplinär vernetztes Programm.

Hannoveraner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt (HAIP)

Ziele des HAIP
  • Den von häuslicher Gewalt Betroffenen umfassenden Schutz, Hilfe und Unterstützung bieten
  • Den Täter bzw. die Täterin zur Rechenschaft und zur Verantwortung ziehen und eine Verhaltensänderung erreichen
  • Häusliche Gewalt durch eine vernünftig vernetzte Intervention aller Beteiligten verringern und eine nachhaltige, langfristige Unterstützung, Beratung und Intervention sicherstellen
  • Prävention, Information und Öffentlichkeitsarbeit fördern
  • Öffentlich Stellung gegen häusliche Gewalt und für Geschlechtergerechtigkeit beziehen und eine an gesellschaftlichen Entwicklungen und Notwendigkeiten orientierte Arbeit leisten
  • Insgesamt strebt HAIP im Kampf gegen häusliche Gewalt eine proaktive, schnelle Reaktion gegenüber Opfern und Tätern bzw. Täterinnen von häuslicher Gewalt an.
Runder Tisch

Das größte Gremium ist der „Runde Tisch“, der zweimal im Jahr zusammenkommt. Mitglieder und HAIP-Ausschüsse informieren sich gegenseitig über ihre Arbeit und Aktivitäten, die entsprechend dem Zweck des „Runden Tisches“ durchgeführt werden. Sie treffen Entscheidungen über die Arbeit von HAIP, einschließlich Entscheidungen, die in die Politik gehen, entwickeln Meinungen zu aktuellen Themen und verteilen dementsprechende Arbeitsaufträge an die HAIP-Ausschüsse. Dazu gehören etwa 40 verschiedene Institutionen, darunter Frauenschutzhäuser, das Jugendamt, das Amt für Chancengleichheit, das medizinische Netzwerk, verschiedene Beratungsstellen, Staatsanwält/innen, Richter/innen, Polizei und Vertreter/innen aller politischen Fraktionen im Stadtrat.

Bausteine

Das Zentrum oder Herzstück des HAIP ist der Ausschuss, der sich mit konkreten Fällen befasst: die elf Bausteine. Sie arbeiten unabhängig und führen z. B. Fallbesprechungen insbesondere bei Fällen mit hoher Risikobewertung durch. Zusätzlich werden dort Aufträge und Themen des „Runden Tisches“ sowie eigene Fragen, Falldarstellungen etc. bearbeitet. Darüber hinaus beteiligen sich die Bausteine an der Öffentlichkeitsarbeit von HAIP und organisieren Fachkurse, Vorträge, Schulungen und Seminare.

Die elf Bausteine sind:

  • Koordinationsstelle „BISS“,
  • Schutzhaus für Frauen und Kinder,
  • Staatsanwaltschaft Hannover,
  • Polizei Hannover,
  • Jugendamt „Waage e.V.“ (Beratung bei Täter-Opfer-Vereinbarungen),
  • Männerbüro Hannover e.V.,
  • Empowerment-Stelle („Bestärkungsstelle“, Beratung für weibliche Opfer),
  • „SUANA“ (Beratung für Migrantinnen),
  • leitende/r Direktor/in des HAIP-Büros,
  • Gleichstellungsbeauftragte/r.